THEMEN DER ZEIT
Prävention: Erhalt der Erwerbsfähigkeit als Ziel


Mit dem Präventionsgesetz wurde Vorbeugung zu einer Pflichtaufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung. Doch wie lassen sich Programme flächendeckend an den Mann bringen? Das war ein Thema auf dem Reha-Kolloquium in Aachen.
Seit das Präventionsgesetz im vergangenen Jahr in Kraft trat, hat die Deutsche Rentenversicherung (DRV) ihren Leitsatz erweitert: Aus „Rehabilitation vor Rente“ wurde „Prävention vor Rehabilitation vor Rente“. Ihre Zielgruppe sind sozialversicherte Personen, „die aktiv im Erwerbsleben stehen“, heißt es in den Bundesrahmenempfehlungen der Nationalen Präventionskonferenz. Auch die Aufgabe, Betriebe zum Thema Gesundheitsförderung zu beraten, ist Teil des Präventionsauftrags.
Betriebsärzte mit im Boot
Die Rentenversicherung hat bereits seit der Änderung von § 31 SGB VI im Jahr 2009 Konzepte für Erwerbstätige entwickelt, „die eine besonders gesundheitsgefährdende, ihre Erwerbsfähigkeit ungünstig beeinflussende Beschäftigung ausüben“, was körperliche und seelische Faktoren einschließt. Die verhaltenspräventiven Programme wurden in Kooperation mit Betriebs- und Werksärzten von Großbetrieben erprobt und evaluiert. Mit den Themen Bewegung, Ernährung, Stressbewältigung, Resilienz und Suchtprophylaxe sind epidemiologisch bedeutsame Risikofaktoren angesprochen. Die Gruppenprogramme umfassen drei Basisleistungen: Der „Initialphase“ in einer Reha-Klinik oder ambulanten Einrichtung (zwei bis acht Tage für medizinische Diagnostik, Einführung ins Programm, Entwickeln individueller Präventionsziele) folgt eine mehrwöchige, berufsbegleitende „Trainingsphase“: Ein- bis zweimal pro Woche erhalten die Teilnehmer Sport- und Entspannungstrainings und Seminare zur Gesundheitsbildung in einem ambulanten Reha-Zentrum. Danach sollen sie ihre Ziele für drei bis sechs Monate in Eigenregie umsetzen und ziehen schließlich an einem Auffrischungstag Bilanz. Das Paket ist eine Primärprävention für Beschäftigte mit ersten Beeinträchtigungen, die noch keinen Krankheitswert haben (siehe Kasten). Die Trennschärfe zur Reha-Bedürftigkeit schwankt im Einzelfall, was Indikationsstellung und Zugang erschweren kann.
Als ein Best-practise-Beispiel gilt der trägerübergreifende „Plan Gesundheit“. Es ist ein Kooperationsprojekt der DRV Rheinland, die das diesjährige Rehawissenschaftliche Kolloquium vom 29. Februar bis 2. März in Aachen gemeinsam mit der DRV Bund und der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften ausrichtete. Die ersten Teilnehmer waren Männer mit hoher körperlicher Belastung im Beruf, die in chemienahen Unternehmen im Raum Leverkusen und Krefeld arbeiteten.
Feste Ansprechpartner
Als Erfolgsfaktor für die Compliance erwiesen sich die eingesetzten „Präventionsmanager“: Fachkräfte wie Sportlehrer oder Therapeuten, die von Anfang an als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, Veranstaltungen durchführen und ein Bindeglied zwischen allen Akteuren darstellen. „Die Menschen brauchen eine persönliche Ansprache“, betonte Dr. med. Wolfgang Mayer-Berger, Ärztlicher Direktor der Projektklinik in Leichlingen. So sei auch das ärztliche Beratungsgespräch für die Prävention „unentbehrlich“, gab er zu bedenken. Getragen wird die Funktion des Präventionsmanagers jeweils zwei Jahren von der Betriebskrankenkasse pronova BKK. „Das würde ich mir von allen Krankenkassen wünschen“, regte Dieter Roeloffs von der Wirtschaftsförderung Leverkusen an.
Positive Effekte
„Die Präventionsleistungen der Rentenversicherung erreichen die Zielgruppe, die am meisten davon profitiert: Männer mit oft niedrigem Sozialstatus und wenig gesundheitsförderlichem Verhalten“, betonen Ulrich Theißen und Jürgen Hinke vom Fachbereich Reha-Management in einem Bericht. Tatsächlich hat eine Nationale Verzehrstudie vor einigen Jahren belegt, dass sich Männer im Durchschnitt fett- und zuckerreicher ernähren und häufiger übergewichtig sind als Frauen. In Gesundheitskursen der Kassen sind sie dagegen (mit rund 20 Prozent) unterrepräsentiert. Über erste Evaluationsergebnisse von 53 Teilnehmern berichtete Anna Pape, Absolventin vom Fachbereich Gesundheitswesen der Hochschule Niederrhein in Krefeld. Die „selbstständige und eigenverantwortliche Teilnahme“ am Programm sei „ein wichtiges erreichtes Ziel“. Die Werte lieferten ein durchwachsenes Bild. „Erfolge messbar zu machen, erweist sich bei einem Präventionsprogramm als schwierig“, sagte Pape. So zeigte sich etwa eine „deutlich verbesserte Kondition“, gemessen als ergometrische Belastbarkeit. Für die subjektive Gesundheit gaben Befragte mit schlechten Ausgangswerten ein verbessertes Befinden zu Protokoll. Dass „gesündere“ Teilnehmer nur geringere Veränderungen erleben (können), legen auch Daten aus der Medizinischen Hochschule Hannover nahe, die Juliane Briest vorstellte. Dort unterschieden sich die Zuwächse bei der Arbeitsfähigkeit nach einem präventiven gegenüber einem rehabilitativen Angebot. Wissenschaftliche Übersichtsarbeiten aus dem In- und Ausland erlauben jedoch den Schluss, dass für Prävention „insgesamt positive Effekte auf die Gesundheit der Mitarbeiter ebenso belegbar (sind) wie der ökonomische Nutzen für Unternehmen“, wie die „Initiative Gesundheit und Arbeit“ (iga) in einem aktuellen Report zu Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Prävention vermerkt.
„Es gibt viele Modellprojekte und Netzwerke in den Regionen. Jetzt geht es darum, die Prävention in die Fläche zu bringen“, sagte Gundula Roßbach, Direktorin der DRV Bund in Berlin. Neben Großbetrieben sind kleine und mittlere Unternehmen ein wichtiges Handlungsfeld, arbeiten hier doch etwa 60 Prozent der Beschäftigten – die „größte Herausforderung“ für die Präventionsträger. Bereits das Freistellen von Mitarbeitern sei für Kleinbetriebe schwer durchführbar, berichtete Dr. med. Thomas Drüke, Chefarzt der Dr. Becker Klinik in Norddeich. Erkennbar sei auch die Befürchtung, externe Gesundheitsberater könnten Missstände aufdecken und unerfüllbare Verbesserungswünsche wecken. Inhouse-Veranstaltungen, und „aufsuchende Kontakte“ wurden empfohlen. Mit dem Instrument des „Firmenservice“ der DRV, der zurzeit ausgebaut wird, erhalten die Unternehmen persönliche Ansprechpartner in den Regionen, die auch vor Ort zum Thema Gesundheitsförderung beraten.
Welche Maßnahmen sind wirksam? Ein neurobiologisch fundiertes Plädoyer für die Verhältnisprävention hielt der Lübecker Endokrinologe und Hirnforscher Prof. Dr. med. Achim Peters. Seine Theorie vom selbstsüchtigen Gehirn („Selfish Brain“) gilt als Paradigmenwechsel in der Adipositasforschung und Diabetologie. Ein „Leben in Unsicherheit“ – mit unsicherer Nachbarschaft, unsicherer Arbeit, unsicherem Zuhause – löse psychosozialen Stress aus, erläuterte Peters. Auf die Dauer komme es zu Fehlsteuerungen im vom Gehirn dominierten Energiestoffwechsel und je nach Veranlagung zu Habituation und großer Körpermasse, Arthrose und Immobilität oder Nichthabituation und Bauchfett, Infarktrisiko und Depression. Peters stellte ein amerikanisches Sozialexperiment vor. Dabei erhielten 1 788 Familien aus Armutsvierteln, überwiegend alleinerziehende Frauen, die Möglichkeit, in besser gestellte Wohngebiete umzuziehen, was 852 von ihnen nutzten. 10 bis 15 Jahre später war der Anteil stark übergewichtiger und zuckerkranker Frauen (BMI > 35, HbA1c > 6,5 %) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe gesunken. Psychosoziale Bewältigungsstrategien zu vermitteln ist eine Option. „Aber noch besser sollte unsere Fürsorge darin bestehen, die Umgebung der Menschen zu verbessern und ihnen mehr Sicherheit zu geben“, schloss Peters.
Leonie von Manteuffel
Prävention der DRV
Individuelle Voraussetzungen für die Primärprävention
Patient oder Patientin
- ist gesetzlich rentenversichert
- übt eine körperlich und/oder seelisch belastende Tätigkeit aus
- leidet unter ersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ohne Krankheitswert, etwa beginnenden Funktionsstörungen des Bewegungsapparats, innerer Organe oder im psychischen Befinden
- Anzeichen: zum Beispiel auffällige Arbeitsunfähigkeitszeiten und Medikation, Schmerzproblematiken, Gewichts- und Stoffwechselprobleme