ArchivDeutsches Ärzteblatt23/1996Konsensus zur Virusbelastung bei HIV-Infektion: Wie Therapiepläne individuell erstellt werden

POLITIK: Medizinreport

Konsensus zur Virusbelastung bei HIV-Infektion: Wie Therapiepläne individuell erstellt werden

Kelm-Kahl, Inge

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LNSLNS Nach aktuellem Konsensusbeschluß der nationalen Gesellschaften für die ambulante und klinische Versorgung von HIV-Infizierten (DAIG, DAGNÄ, KAAD und DAH) stellt die Virusbelastung den wichtigsten Parameter in der Diagnostik und Therapie HIV-Infizierter dar. Sie gilt als
1 Marker für den Therapiebeginn
1 Bemessungsgrundlage für die Prognose und Überlebenszeit
1 Kriterium für den Therapieerfolg
1 Warnzeichen für einen suboptimalen Therapieerfolg oder für den Beginn einer Resistenz
1 Indikator der Immunlage des Patienten, zusammen mit der CD-4-Zellzahl (anstelle von Surrogatmarkern wie HIV p24-Antigen, Neopterin, b2-Mikroglobulin, BSG).
Je höher die Virämie zu Beginn der Erkrankung, um so schlechter ist generell die Prognose, so die Experten bei ihrem Treffen im Paul-Ehrlich-Institut in Langen. Beträgt die Anzahl der Viruskopien ein halbes Jahr nach Serokonversion mehr als 100 000, ist die Prognose schlecht. Ab einer Grenze von 10 000 mRNA-Kopien oder weniger kann die Prognose relativ günstig in bezug auf opportunistische Infektionen und die Überlebenszeit eingeschätzt werden.
In einer US-Studie, die kürzlich von John P. A. Ioannidis auf der "3rd Conference of Retroviruses and Opportunistic Infections" in Washington D. C. vorgestellt wurde, fanden die Autoren eine deutliche Korrelation zwischen der Höhe der Virusbelastung (Viral Load), ihren Abfall unter Therapie und der Überlebenszeit der Patienten. Dabei stellte man folgende Beziehungen fest: Log 5,5 Überlebenszeit unter einem Jahr, Log 5,0 Überlebenszeit unter drei Jahren, Log 4,5 Überlebenszeit 1,9 bis 8 Jahre, Log 4 (10 000) Überlebenszeit 2,8 bis 19 Jahre.
Während vor kurzem noch eine Virusbelastung von 100 000 als Startpunkt für den Therapiebeginn galt, wird nach den Konsensus-Richtlinien eine retrovirale Kombinationsbehandlung bereits ab 10 000 Viruskopien empfohlen. Durch die Verbesserung der Meßmethoden ist die untere Grenze, bei der virale mRNA-Kopien registriert werden können, auf unter 500 gefallen. Zur Bestimmung der Virusbelastung werden derzeit im wesentlichen drei Methoden eingesetzt: die "quantitative PCR", die "Branched DNS-Methode" (bDNA) und die "NASBA". Nach Angaben von Frau Prof. Helga Rübsamen-Waigmann (Wuppertal) haben sich die PCR und die bDNA in Ringversuchen als etwa gleichwertig erwiesen.
Die kombinierte Messung von CD-4-Zellzahlen und Virusbelastung stellt zusammen mit der klinischen Untersuchung zur Zeit die zuverlässigste Verlaufskontrolle einer medikamentösen Behandlung dar. Bei einer persistierenden Reduktion der Viruskonzentration von mehr als 0,5 Logstufen ist ein therapeutischer Benefit anzunehmen. Eine Reduktion der Virämie um minus 1,5 Logstufen gilt nach Rübsamen-Waigmann, zumal bei einer Monotherapie, als ein "hervorragendes Ergebnis".
Nach Ansicht von Dr. Schlomo Staszewski (Frankfurt) beinhaltet eine effektive Therapie eine initiale Senkung der Viruslast im Plasma um mindestens das Zehn- bis Hundertfache des Ausgangswerts (1 bis 2 Log 10Reduktion) innerhalb der ersten zwei bis vier Therapiewochen; diese sollte mindestens sechs Monate erhalten bleiben. Eine geringere Senkung der Viral Load spiegelt eine suboptimale Therapie wider.
Nach Feststellung des Basiswerts sollte die Virusbelastung etwa zwei bis vier Wochen nach Behandlungsbeginn oder -umstellung zusammen mit der CD-4-Zahl gemessen werden. Weitere Kontrollen werden – individuelle Abweichungen eingeschlossen – etwa alle drei Monate empfohlen. Regelmäßige externe und interne Qualitätskontrollen werden von den Gesellschaften empfohlen.
Ein Anstieg der Virusmenge ohne akute Erkrankung oder Impfung weist auf eine Resistenzentwicklung hin. Die Menge der Mutanten steigt relativ im Verlauf der Therapie an. Sie läßt sich durch Kombinationsbehandlung reduzieren. Staszewski präsentierte eine Studie, bei der durch die Dreifachkombination von AZT, 3TC (Nukleosid-Analogon) und Indinavir (Proteinase-Hemmer) bei 90 Prozent der 120 Patienten kein Virusgenom mehr im Serum nachgewiesen werden konnte. Der klinische Zustand der Patienten besserte sich erheblich, bei einigen stiegen die CD-4-Zahlen bis zu Normwerten an. Die Rate schwerer opportunistischer Infektionen oder Todesfälle sank um 50 Prozent.
In einer anderen Untersuchung war nach einer Zweifach-Kombination von ddC (Nukleosid-Analogon) und Saquinavir (Proteinase-Inhibitor) bei 978 amerikanischen Patienten eine Reduktion der Mortalität um zwei Drittel erreicht worden. Im Vergleich zu Monotherapien nahm die klinische Krankheitsprogression auf die Hälfte ab. Die Patienten der letztgenannten Studie waren im Mittel 68 Wochen mit AZT allein behandelt worden. Sie hatten die Monotherapie aufgrund von Erfolglosigkeit oder Unwirksamkeit abgebrochen. Die mittlere Beobachtungsdauer bei Auswertung der Studie betrug 73 Wochen. Dr. med. Inge Kelm-Kahl

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