SUPPLEMENT: Perspektiven der Pneumologie & Allergologie
Weaning: Hilfe bei Entwöhnung vom Beatmungsgerät


Neben der respiratorischen Funktionsstörung tragen häufig hohes Alter und Komorbiditäten der Patienten zum prolongierten Weaningprozess bei.
Die Zahl der beatmeten Patienten steigt aufgrund zunehmender Fortschritte sowie des Einsatzes neuer Verfahren in der Beatmungs- und Intensivmedizin stetig an. Im europäischen Vergleich ist Deutschland dabei eines der Länder, das aktuell die meisten Betten auf Intensivstationen vorhält. Im Rahmen der intensivmedizinischen Versorgung besitzt dabei das Weaning (Entwöhnung) von der mechanischen Beatmung einen großen Stellenwert und wird zukünftig noch weiter an Bedeutung gewinnen.
Kategorien
Die Entwöhnung von der mechanischen Beatmung kann je nach Zustand des Patienten und begleitender Erkrankungen sehr unterschiedlich verlaufen. Grundsätzlich wurden nach internationalen Kriterien durch Boles et. al. im Jahr 2007 drei verschiedene Weaningkategorien definiert. In den aktuellen S2k-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. aus dem Jahr 2014 werden die Patienten in der Gruppe 3 (international nach Boles et. al.: prolongiertes Weaning) zudem in weitere Subgruppen eingeteilt (Tabelle).
Prozess und Weaningzentrum
Die Dauer des Entwöhnungsprozesses beträgt bei Patienten auf den Intensivstationen in der Regel zwischen 40 bis 50 Prozent der Gesamtbeatmungszeit. Bei Patienten im prolongierten Weaning kann dieser Anteil noch deutlich größer werden und stellt deshalb neben den medizinischen und pflegerischen auch aus ökonomischen Gesichtspunkten eine Herausforderung und Belastung dar. Entscheidend ist es, den richtigen Zeitpunkt für die Einleitung des Weaningprozesses frühzeitig zu erkennen und die Entwöhnung einzuleiten. Denn je länger die Patienten beatmet und sediert sind, desto schwieriger wird der Entwöhnungsprozess. Dies liegt zum einen an einer Dekonditionierung der Atemmuskulatur, zum anderem an der Gefahr einer tubusassozierten Pneumonie oder auch Entwicklung einer Critical Illness Polyneuropathie.
Funk und Mitarbeiter konnten 2010 zeigen, dass im Gruppenvergleich die Weaningpatienten in der Gruppe 3 (Tabelle) deutlich längere Entwöhnungszeiten (im Medan zehn Tage) sowie mit circa 30 Prozent die höchste Krankenhausmortalität aufwiesen. Aufgrund des zunehmenden Alters der zu versorgenden Patienten und der damit einhergehenden Zunahme der Begleiterkrankungen wird das Weaning jedoch zunehmend komplexer und anspruchsvoller.
Eine weitere Studie von Pilcher und Kollegen konnte zeigen, dass jüngere Patienten und auch Patienten mit geringer Beatmungszeit deutliche Vorteile in ihrem Outcome zeigten. Die Strategie des Weaningprozesses muss grundsätzlich an die individuellen Bedürfnisse des Patienten angepasst werden und sowohl die zugrunde liegende Erkrankung als auch wichtige Begleiterkrankungen berücksichtigen.
Das prolongierte Weaning stellt aus den genannten Gründen eine sehr große Herausforderung für das gesamte Behandlungsteam dar. Aus diesem Grund hat die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP) in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Lungenforschung e. V. das „WeanNet – Kompetenznetzwerk pneumologischer Weaningzentren“ gegründet und im Jahr 2010 mit der Zertifizierung von Weaningzentren begonnen.
Dadurch sollen gemeinsame Ziele, Standards und Qualitätsindikatoren für diesen Bereich der pneumologischen Intensivmedizin etabliert werden. Im Rahmen des Zertifizierungsprozesses werden neben den generellen Anforderungen auch die technische und personelle Ausstattung sowie eine Prozess- und Ergebnisqualität des Weaningzentrums geprüft. Ein wichtiger Aspekt bei der erfolgreichen Behandlung der schwerkranken Patienten ist ein harmonierendes, interdisziplinäres Behandlungsteam, das mit Ärzten, Fachpflegern, Atmungstherapeuten, Physiotherapeuten, Logopäden, Psychologen und Mitarbeitern des Sozialdienstes viele Berufszweige vereint.
Als eine der wesentlichen Eigenschaften einer Weaningeinheit ist dabei definiert, dass eine räumliche Trennung zum akuten intensivmedizinischen Bereich gegeben ist, um den Patienten unter anderem mehr Ruhe, Platz für Mobilität, regelmäßige Besuche von Angehörigen sowie eine bessere Schlafqualität mit Wiederherstellung des Tag-Wach-Rhythmus zu ermöglichen. Diese Voraussetzungen sind häufig auf einer allgemeinen und betriebsamen Intensivstation nicht vorhanden.
Seit 2013 bietet auch die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) 2013 eine Zertifizierung „Entwöhnung von der Beatmung“ für Intensivstationen an. Die zu erfüllenden Kriterien unterscheiden sich dabei hinsichtlich der beiden Fachgesellschaften, wobei zum Beispiel die DGP eine jährliche Betreuung von mindestens 40 Patienten im prolongierten Weaning (Gruppe 3) fordert und die DGAI dagegen mit 20 eine geringere Fallzahl. Die Gültigkeit besteht nach einer erfolgreichen Zertifizierung bei beiden Fachgesellschaften für jeweils drei Jahre, bevor eine Rezertifizierung notwendig wird.
Überleitmangement bei erfolglosem Weaning
Nicht bei allen Patienten im prolongierten Weaning gelingt die Entwöhnung von der Beatmung vollständig. Einige Patienten können mit Hilfe einer nichtinvasiven Beatmung (Tabelle, Gruppe 3b) erfolgreich entwöhnt werden, wobei ein Teil dieser Patienten die Therapie möglicherweise auch außerklinisch fortführt. Eine große Herausforderung an das Beatmungszentrum besteht jedoch dann, wenn eine invasive außerklinische Beatmung notwendig wird. Dies ist zum Erhalt der Lebensqualität der Patienten mit Weaningversagen essenziell und ermöglicht ihnen auch außerhalb des Krankenhauses trotz Abhängigkeit von der Beatmung eine Unterbringung und Versorgung in einem privaten Lebensraum. Die außerklinische Versorgung ist dabei grundsätzlich in der häuslichen Umgebung, einer Beatmungswohngemeinschaft oder einem Beatmungsheim möglich.
Für die Planung und Organisation einer invasiven außerklinischen Beatmung muss im Beatmungszentrum ein interdisziplinäres Überleitteam aus Ärzten, Pflegeteam, Therapeuten sowie dem Sozialdienst bereitstehen, um gemeinsam mit dem Patienten eine auf seine individuellen Bedürfnisse angepasste Versorgung zu erarbeiten und zu organisieren (Abbildung).
Die Verantwortung für diese Organisation liegt beim betreuenden Arzt, der die Entlassung in die außerklinische Versorgung initiiert hat. Die Etablierung einer invasiven außerklinischen Beatmung setzt eine erhebliche logistische und personelle Organisation voraus und sollte erst durchgeführt werden, wenn alle Möglichkeiten des Weaning erschöpft wurden. Dies schließt auch die oben genannte Möglichkeit ein, die Patienten auf eine nicht-invasive Beatmung umzustellen oder über eine Rehabilitationsmaßnahme entscheidend zu stabilisieren. Idealerweise sollte die Entscheidung, ob ein Patient nicht entwöhnbar ist, in einem zertifizierten Weaningzentrum erfolgen oder zumindest ein solches Zentrum konsiliarisch hinzugezogen wurde.
Als weitere medizinische Voraussetzungen für die Entlassung in eine invasive außerklinischen Beatmung fordert die DGP, dass keine Fortschritte im Weaningprozess innerhalb der kommenden vier Wochen zu erwarten sind, dass
- eine stabile Beatmungs- und Organfunktion über mindestens sieben Tage vorliegt,
- ein stabiler Beatmungzugang (in der Regel ein plastisches Tracheostoma) vorliegt,
- die Ernährung gesichert (oral oder über eine Magensonde) und
- der Patient hämodynamisch stabil ist (ohne kreislaufunterstützende Medikamente).
Für den Fall einer Dialysepflicht muss die außerklinische Versorgung ebenso sichergestellt sein. Neben diesen medizinischen müssen auch weitere technische und organisatorische Voraussetzung wie zum Beispiel die Versorgung mit Hilfsmitteln erfolgen sowie Angehörige und betreuende Haus- und Fachärzte mit einbezogen werden (Abbildung).
Sollte sich im Verlauf im außerklinischen Umfeld zeigen, dass der Patient ein Weaningpotenzial entwickelt, sollte die Verlegung in das Weaningzentrum erfolgen, um diese Möglichkeit zu prüfen und gegebenenfalls durchzuführen. Entsprechend ist die Anbindung dieser Patienten an ein Weaning- oder Beatmungszentrum absolut wünschenswert. ▄
DOI: 10.3238/PersPneumo.2016.06.17.04
Priv.-Doz. Dr. med. Jan Hendrik Storre
Lungenklinik Köln-Merheim, Kliniken der Stadt Köln,
Klinik für Pneumologie, Universitätsklinikum Freiburg im Breisgau
Interessenkonflikt: Der Autor erhielt Vortragshonorare beziehungsweise Reiseunterstützung für die Teilnahme an nationalen und internationalen Fachkongressen von den folgenden Firmen: AB, Breas Medical AB, Philips Respironics Inc., ResMed Germany, Heinen und Löwenstein, Werner und Müller Medizintechnik, Keller Medical GmbH, Radiometer Medical Aps, Sen Tec AG, VitalAire, Vivisol Deutschland, Linde Deutschland, Santis GmbH, Weinmann GmbH.
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/2416
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