ArchivDeutsches Ärzteblatt25/2016Zwangsbehandlung in der DDR: Traumatisierende gynäkologische Übergriffe

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Zwangsbehandlung in der DDR: Traumatisierende gynäkologische Übergriffe

Bomberg, Karl-Heinz

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Florian Steger, Maximilian Schochow: Traumatisierung durch Politisierte Medizin, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2016, 255 Seiten, kartoniert, 29,95 Euro
Florian Steger, Maximilian Schochow: Traumatisierung durch Politisierte Medizin, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2016, 255 Seiten, kartoniert, 29,95 Euro

Das Buch schlägt ein unbekanntes Kapitel der DDR-Medizin auf: Berichtet wird über die Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung von Mädchen und jungen Frauen, die unter Verdacht einer Geschlechtskrankheit standen. Wie sich durch die Untersuchungen herausstellte, traf dieser Befund nur auf ein Drittel der Betroffenen zu. Tatsächlich waren es nicht konforme Mädchen und junge Frauen, die vermutlich von Angehörigen denunziert wurden. Sie sollten in diesem Kontext zu sozialistischen Persönlichkeiten umerzogen werden. Die durchschnittlich sechswöchige Prozedur fand unter gefängnisähnlichen Bedingungen statt. Manche Chefärzte, wie der in der geschlossenen Venerologischen Station der Poliklinik Mitte in Halle (genannt „Tripperburg“), waren übereifrig. Tägliche gynäkologische Untersuchungen (Verletzungen waren dabei nicht selten), Gaben von Medikamenten, die Fieber verursachten, sollten den stationären Aufenthalt rechtfertigen. Verstöße gegen die Hausordnung wurden mit harten Strafen geahndet. Die Mädchen und Frauen wurden diszipliniert, verwahrt und schriftlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Somit sollten sie mundtot gemacht werden.

Neben der Erforschung der Einrichtung von Halle (Saale) werden weitere stationäre Bereiche beleuchtet, wie in Leipzig-Thonberg, Berlin-Prenzlauer Berg und Berlin-Buch, Dresden-Friedrichstadt, Magdeburg und Zwickau. Die Maßnahmen haben bei den betroffenen Frauen anhaltende gesundheitliche Spätfolgen psychischer und körperlicher Art erzeugt. Dazu zählen posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen, Ängste und psychosomatische Beschwerden. Neben Ängsten bei heutigen Arztbesuchen sind es die Erinnerungen und inneren Bilder, die die Betroffenen nachhaltig belasten. Aufgrund vorhandener Scham- und Schuldgefühle haben sie sich vermutlich lange nicht getraut, an die Öffentlichkeit zu gehen. Es ist der Kompetenz und Empathie der Autoren zu verdanken, dass Zugänge zu den Betroffenen hergestellt werden konnten. Neben einer individuellen Therapie ist die fachspezifische Aufklärung ein wichtiges Instrument der Verarbeitung dieser verordneten Übergriffe. Karl-Heinz Bomberg

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