MEDIZINREPORT
Roboterassistierte Viszeralchirurgie: Minimal-invasiv operieren, als sei der Situs offen


Auf dem diesjährigen Chirurgenkongress war die Gruppe derer, die robotikassistiert operieren, noch überschaubar. Das könnte sich bald ändern.
Der Name „Roboterchirurgie“ ist schlecht – das Konzept aber gut. Die meisten assoziieren damit fälschlich eine Maschine, die autonom operiert. „Sind Sie dann überhaupt bei mir im OP?“, lautet deshalb oft die bange Frage des Patienten, wenn der Chirurg das Vorgehen erläutert. Außerdem erinnert der Name an den automatisierten Hüftgelenksersatz, der als „Robodoc“ vor gut zehn Jahren kläglich gescheitert ist. Damit hat die roboterassistierte Viszeralchirurgie, die eine Art verfeinerte Laparoskopie darstellt, jedoch nichts zu tun.
Das System funktioniert über eine intelligente Fernsteuerung von Miniaturarmen im Operationsgebiet durch den Chirurgen. Er legt zwei Finger jeder Hand in Schlaufen und kann damit gleichsam „wie gewohnt“ agieren, denn so führt er auch den Nadelhalter. Seine Sicht bestimmt er über eine mit dem Fußpedal gesteuerte Kamera, wahlweise kann er vergrößern wie unter einem Operationsmikroskop. Zu keinem Zeitpunkt verliert der Chirurg die Kontrolle über das Gerät – nimmt er die Finger aus der Schlaufe oder wird der Kamerakontakt beendet, bewegt sich nichts mehr.
Register für Roboter-OPs
Auf dem Chirurgenkongress konnte man die noch kleine Schar der Pioniere auf der Sitzung „Roboterchirurgie“ treffen (1). Sie tauschten nicht nur Erfahrungen aus, sondern stellten auch die weltweit erste randomisiert-kontrollierte Studie zum Vergleich von herkömmlicher Laparoskopie und roboterassistierter Laparoskopie bei der Rektumresektion vor – die ROLARR-Studie.
Die Augusta-Kranken-Anstalt in Bochum nahm als einzige deutsche Klinik an dieser international vielbeachteten Studie teil, nicht zuletzt, weil der chirurgische Chefarzt, Priv.-Doz. Dr. med. Benno Mann, auf dem Gebiet der Viszeralchirurgie zu den erfahrensten „Roboterchirurgen“ hierzulande zählt. Er begann 2010 mit dem roboterassistierten Operieren und verantwortet mit sieben Kollegen das erste Register für die robotikassistierte Viszeralchirurgie der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) – das StuDoQ|Robotik. „Wir wollen damit so früh wie möglich die roboterassistierte Chirurgie im Sinne der Versorgungsforschung begleiten“, erläutert Mann. Das Register soll zudem Fragen für prospektive Studien generieren.
Denn den Chirurgen, die roboter-assistiert arbeiten, ist an Evidenz gelegen. „Als ich auf dem Chirurgenkongress 2013 erstmals meine Erfahrungen von 35 roboterassistierten Rektumresektionen vorstellte, schlug mir noch viel Skepsis entgegen“, erinnert sich Mann. Das diesjährige Treffen belegt, dass die Assistenz des Gerätes sich offenbar vor allem dort bewährt, wo minimal-invasives Operieren besonders schwierig ist. Verglichen wurden die Ergebnisse von 234 Patienten, die wegen eines Rektumkarzinoms auf traditionelle Weise laparoskopisch operiert wurden, mit denen von 237, deren Eingriff mit Hilfe der Robotik vorgenommen wurde. 29 Kliniken aus zehn Ländern nahmen teil. Ein Qualitätskriterium war die Konversionsrate: Wie oft war der Chirurg gezwungen, vom minimal-invasiven Vorgehen auf die offene Operation umzustellen?
Niedrige Konversionsrate
Bei jedem fünften adipösen Patienten war ein Switch nötig, hingegen in keinem einzigen Fall, wenn roboter-assistiert vorgegangen wurde. Ebenso profitierten Männer oder Patienten mit einer tiefen anterioren Resektion von der Robotik, auch hier lag die Konversionsrate unter Roboterassistenz signifikant niedriger als bei traditionellem Vorgehen. „Vor allem beim Arbeiten im engen Becken des Mannes oder dort, wo in der Tiefe präpariert und anastomosiert werden muss, bewährt sich das roboterassistierte Vorgehen. Anders als die langen, starren Trokaren in der herkömmlichen Laparoskopie besitzen die von außen gesteuerten Miniarme sieben Freiheitsgrade“, erläutert Mann die Vorteile. Die Roboterarme korrigieren außerdem den natürlichen Tremor, die Kamera erlaubt eine dreidimensionale Sicht in den Situs anstelle des zweidimensionalen Bildes beim traditionellen Laparoskopieren.
Für die meisten Anwender gibt die Roboterassistenz letztlich dem minimal-invasiven Operieren die Vorteile des offenen Zugangs zurück. Die Kamera erlaubt zudem eine bis zu zehnfache Vergrößerung bei absolut ruhiger Sicht. „Bei der traditionellen Laparoskopie führt ein Assistent die Kamera per Hand, da lässt sich Wackeln kaum vermeiden“, erklärt der Chirurg. Die Instrumente über die langen Hebel der Trokare zu führen, ist insbesondere bei mehrstündigen Operationen ermüdend, weil die Arme weit ausgebreitet gehalten werden müssen und sich am Ende ein Zittern kaum noch vermeiden lässt.
Prof. Dr. med. Jan-Hendrik Egberts, stellvertretender Direktor der Klinik für Allgemeine-, Viszeral-, Thorax-, Transplantations- und Kinderchirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, sieht die Vorteile der Roboterassistenz ebenfalls bei besonders komplexen Interventionen. Er hat inzwischen 64 abdominothorakale Ösophagusresektionen auf diese Weise vorgenommen (2). Bei der Hauptindikation, dem Ösophaguskarzinom, wird der robotikassistierten Vorgehensweise in seiner Klinik inzwischen der Vorzug gegeben. Er habe dabei bislang keine Blutungskomplikation gesehen und auch keine Konserven benötigt. Außerdem würden bei manchen dieser Operationen 75 und mehr Lymphknoten herauspräpariert, deutlich mehr als beim bisherigen Vorgehen. „Ich gehe davon aus, dass die genannten Vorteile das Spektrum des Operierens insgesamt erweitern werden, weil kompliziertere Eingriffe dadurch eher oder überhaupt erst minimal invasiv möglich werden“. Das belegt wohl kein Eingriff eindrucksvoller als die pyloruserhaltende partielle Duodenopankreatektomie nach Kausch-Whipple, die in den meisten Fällen nach wie vor offen erfolgt. Dr. med. Heiko Aselmann, leitender Oberarzt in Kiel, stellte die roboterassistierte Whipple-Operation im Video vor. Der Film ist auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zu sehen (3,4). Auch andere Zentren in Deutschland wagen sich inzwischen daran (5). Studien mit größeren Kollektiven dokumentieren die Machbarkeit des Vorgehens bei diesem komplexen Eingriff (6,7).
Der Hauptgrund, den Operationsassistenten in Korea zur Schilddrüsenoperation einzusetzen, ist indes ein kosmetischer. Da öfter auch bei jüngeren Frauen ein Knoten entfernt werden muss und eine solche Narbe die Attraktivität erheblich mindert, wurde dort schon länger minimal-invasiv experimentiert. Vor der Ära der roboterassistierten Chirurgie limitierten indes starre Trokare, ungünstige Winkel und die engen Verhältnisse am Hals ein solches Vorgehen. Die roboterassistierte Thyreoidektomie (RATS) verschiebt jetzt das Verhältnis von offenem zu minimal-invasivem Vorgehen immer mehr. Seit der ersten Operation 2007 in Seoul boomen die Eingriffe in Korea, rund die Hälfte aller RATS finden allein dort statt (8). Auch in den Vereinigten Staaten steigt die Zahl dieser Operationen stetig und wird derzeit weltweit über 10 000 beziffert. In Europa, speziell in Deutschland, ist man allerdings noch zurückhaltend (9).
Dr. med. Elisabeth Maurer, Oberärztin an der Universitätsklinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Marburg, stellte in Berlin die Erfahrungen mit bislang knapp 50 Hemithyreoidektomien und Thyreoidektomien wegen uni- oder bilateraler Pathologien dar. Ihr Fazit: Sie sind machbar, jedoch technisch anspruchsvoll. Denn es gibt auch bisher unbekannte Komplikationen, etwa Armplexuslähmungen nach Überdehnungen des Armes, weshalb auf die richtige Lagerung zu achten ist. Abstand zum Stimmbandnerv ist ebenfalls essenziell, damit er in dem engen Operationsgebiet wegen der Hitzeentwicklung durch die Versiegelungsinstrumente nicht verletzt wird. Die bisher vor allem in Korea und in den USA veröffentlichten Daten konstatieren insgesamt vergleichbare Komplikationsraten wie bei der konventionellen Operation.
Die Implementierung der roboter-assistierten Chirurgie ist schon wegen des technischen Aufwandes nicht trivial, wie Egberts betont. Es gehe nicht nur darum, das Bedienen der Konsole zu erlernen. Das gesamte Operationsteam inklusive Anästhesie brauche eingehende Einweisung (10). Insgesamt tausche sich die Gruppe der Chirurgen ausgesprochen kollegial untereinander aus, jeder sei bemüht, die anderen beim Einführen eines Systems oder bei ungelösten Problemen zu unterstützen, heißt es unisono aus dem Kreis der Anwender. Die Nachteile kommen ebenfalls offen zur Sprache, ob in Publikationen oder im Gespräch. Dazu gehören manche technischen Limitationen der älteren Ausgaben des Operationsassistenten, die das Operieren in großen Operationssiten oder das Mobilisieren von Organen erschweren können. Ein weiterer Nachteil ist die fehlende Haptik, der Chirurg hat kein „Gefühl“ für das Gewebe. Die muss dann indirekt über optische Kontrolle erlernt werden. Oder, wenn es etwa um das Mobilisieren von Organen oder Gewebeteilen geht, muss der Zug mit Hilfe eines Assistenten kontrolliert werden.
Nachteilig sind in Zeiten der DRGs nicht zuletzt die höheren Kosten. Das können sich nur Universitäten im Rahmen von Forschungsschwerpunkten leisten, oder aber Kliniken, bei denen das System durch mehrere Disziplinen ausgelastet wird. „Wie in vielen anderen Zentren war auch bei uns in Bochum das Gerät zunächst auf Wunsch der Urologen angeschafft worden“, erläutert Mann. Viele Prostatachirurgen bestehen inzwischen auf Roboterassistenz. Gerade zu Beginn der Lernkurve ist häufig die Operationszeit noch länger als bei der herkömmlichen Laparoskopie, was aber nicht zuletzt der aufwändigen Lagerung und Vorbereitung der Patienten geschuldet ist.
Je mehr Erfahrung die Teams haben, desto geringer die Unterschiede. Die bisher publizierten Studien – und darunter insbesondere die höherwertigen randomisierten – konnten zeigen, dass die Morbidität der Patienten bei Einsatz des Roboterassistenten geringer ist (11). So zeigte sich vor allem für mesorektale Resektionen, dass das Tumorgewebe häufiger im Gesunden reseziert worden war und dass es seltener erektile Dysfunktionen gab.
Die ROLARR-Studie ist ebenfalls darauf angelegt, die Güte der onkologischen Resultate und die Lebensqualität der Patienten nach drei Jahren zu bewerten. „Bisher haben rund die Hälfte der Teilnehmer seit der Rekrutierung diese Zeit hinter sich, wir sind auf die Ergebnisse im übernächsten Jahr gespannt“, sagt Mann. Bleibt noch, den englischen Ausdruck „master-slave“ zu ersetzen. Er ist ebenso unpassend wie „Roboterchirurgie“, noch dazu politisch unzeitgemäß.
Dr. med. Martina Lenzen-Schulte
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2616
oder über QR-Code.
Roboterchirurgie: Wünschenswerter Wettbewerb
Noch ist das Da-Vinci®-System der Firma Intuitive Surgical mit Sitz in Sunnyvale in Kalifornien der Marktführer beim roboterassistierten Operieren. Die Monopolstellung bringt es mit sich, dass die Firma derzeit 1,8 Millionen Euro für die Grundausstattung verlangen kann, plus Zwang zu einem Wartungsvertrag. Hinzu kommen Verbrauchskosten bei jedem Einsatz. Je öfter der Da-Vinci® zum Einsatz kommt, desto geringer die Kosten, manche Kliniken konnten dadurch das Operationsvolumen so steigern, dass es sich schon wieder lohnt. Das schafft man gerade am Anfang nicht, daher sagt einem ausnahmslos jeder der Anwender: „Alle hoffen auf Konkurrenz.“
Erstmals auf den Markt kam der Roboterassistent 1999, die neueste Variante heißt Da-Vinci-Xi®, sie behebt einige der Einschränkungen der älteren Vertreter beim Operieren in einem großen Operationsfeld. Dabei wird es nicht bleiben, nicht nur bei Intuitive Surgical, denn der Markt hat ganz offensichtlich das Potenzial erkannt. Dass ein Verfahren überzeugt, lässt sich immer auch daran ablesen, dass sich Konkurrenz regt.
So entwickeln Forscher am Institut für Robotik und Mechatronik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit dem MIRO-Surge einen eigenen Roboterassistenten, der neben der laparoskopischen Anwendung vor allem für die Gelenkchirurgie geeignet ist. Er wird über Joysticks gesteuert, ein Vorgehen, das nicht jedem Operateur liegen wird. Allerdings ahnt man, dass die junge Chirurgengeneration aufgrund ihrer Computerspielerfahrung mit speziellen Mausvarianten am PC bis hin zu den Joysticks an einschlägigen Konsolen solche Geräte spielend beherrschen wird.
Ein weiteres System, der ALF-X Endoskopie-roboter der Firma TransEnterix, verspricht, dass die Kosten nicht die des herkömmlichen laparoskopischen Operierens übersteigen werden. Es verfügt über haptisches Feedback, so dass der Chirurg eher „erfühlen“ kann, was er am Gewebe tut. Außerdem wird die Kamera automatisch über die Erfassung der Augenbewegungen des Operateurs nachgeführt. Der ALF-X hat bereits das CE-Prüfsiegel erhalten, ist aber in den USA noch nicht zugelassen.
Ein anderes System, SPORT™ (surgeon-controlled single incision robotic platform) wird derzeit von der kanadischen Firma Titan Medical vorangetrieben. Angekündigt ist, schon bis Ende 2016 die FDA für die Zulassung zu überzeugen und das CE-Prüfsiegel zu erhalten. Auch Ethicon, der zum US-Konzern Johnson & Johnson gehörende Gerätehersteller, schickt sich an, die Chirurgen im Operationssaal mit einem Robotikassistenten zu unterstützen. Dafür ist die Firma eigens ein Joint Venture mit Google eingegangen.
Quellen: All about robotic surgery / The Official Medical Robotics News Center: http://allaboutroboticsurgery.com/surgicalrobots/surgicalrobotspage2.html
1. | 33. Kongress Deutsche Gesellschaft für Chirurgie, 26. bis 29. April 2016, Berlin. |
2. | Egberts J-H, Aselmann H, Hauser C, et al.: Roboterchirurgie des Ösophagus. Zentralblatt für Chirurgie 2016; 141: 145–53 CrossRef MEDLINE |
3. | Aselmann H: Roboterassistierte, pyloruserhaltende partielle Duodenopankreatektomie nach Kausch-Whipple. Zentralblatt für Chirurgie 2016; 141: 139–41 CrossRef MEDLINE |
4. | Mediathek der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgie – Video „Die roboterassistierte, pyloruserhaltende partielle Duodenopankreatektomie nach Kausch-Whipple“. |
5. | Kirchberg J, Weitz J: Roboterchirurgie des Pankreas. Zentralblatt für Chirurgie 2016; 141: 160–4 CrossRef MEDLINE |
6. | Chen S, Chen J-Z, Zhan Q, et al.: Robot-assisted laparoscopic versus open pancreaticoduodenoectomy: a prospective, matched, mid-term follow-up study. Surg Endosc 2015; 29: 3698–711 CrossRef MEDLINE |
7. | Zureikat, AH, Moser AJ, Boone BA, et al.: 250 Robotic Pancreatic Rsections. Safety and Feasability. Annals of Surgery 2013; 258: 554–62 MEDLINE PubMed Central |
8. | Rabinovics N, Aidan P: Robotic transaxillary thyroid surgery. Gland Surgery 2015; 4: 397–402 MEDLINE PubMed Central |
9. | Eckhardt S, Maurer E, Fendrich V, et al.: Transaxilläre roboterassistierte Schilddrüsenresektion. Der Chirurg 2015; 86: 976–82 CrossRef MEDLINE |
10. | Egberts J-H, Beham A, Gahdimi M: Aufbau eines Roboterprogramms. Zentralblatt für Chirurgie 2016; 141: 143–44 CrossRef MEDLINE |
11. | Lorenzon L, Bini F, Balducci G, et al.: Laparoscopic versus robotic-assisted colectomy and rectal resection: a systematic review and meta-analysis. Int J Colorectal Dis. 2016; 31: 161–73 CrossRef MEDLINE |