ArchivDeutsches Ärzteblatt29-30/2016Point-of-Care-Diagnostik: Das Labor in der Kitteltasche

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Point-of-Care-Diagnostik: Das Labor in der Kitteltasche

Lenzen-Schulte, Martina

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Die patientennahe Labordiagnostik hat viele Vorteile, bringt rasche Ergebnisse und bietet künftig vor allem in der Infektionsdiagnostik viel Neues.

Differenzialdiagnose Gelenkschmerz: Auch für die Rheumadiagnostik gibt es schon Schnelltests für die Arztpraxis. Foto: Wikimedia Commons
Differenzialdiagnose Gelenkschmerz: Auch für die Rheumadiagnostik gibt es schon Schnelltests für die Arztpraxis. Foto: Wikimedia Commons

Eine Art Handy, das aus wenigen Blutstropfen zig Laborparameter misst und idiotensicher zu bedienen ist – die Werbeslogans auf der Industrieausstellung der Tagung „Mobile Diagnostik am Point of Care“ klingen vielversprechend. Die Experten, die die Deutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT) im Verband der Elektrotechnik Elektronik (VDE) nach Frankfurt geladen hatte, dämpften den Enthusiasmus jedoch, nicht zuletzt im Hinblick auf die Finanzierung.

Der Oberbegriff des „Point of Care Testing“ oder POCT meint die dezentrale, patientennahe Labordiagnostik direkt am Krankenbett, in der Notfallambulanz, im Operationssaal oder schon am Unfallort. In den Praxen der niedergelassenen Ärzte spielt das POCT ebenfalls zunehmend eine Rolle. Darüber hinaus zählen auch Selbsttestsysteme, mit denen beispielsweise Patienten ihre Diabetestherapie steuern oder den Gerinnungsstatus bestimmen, zu den POCT-Produkten.

Umsätze in Milliardenhöhe

Die Blutgasanalyse und Glukosemessung sind typische Beispiele für eine rasch verfügbare Einzelmessung, die vom Anwender keine intensive labortechnische Expertise verlangt. Erfolgreich etabliert sind auch Kleingeräte für Laboranalysen von Elektrolyten, Blutbild, Gerinnung und kardialen Markern. Der Arzt erhält im besten Fall unmittelbar vor Ort eine therapierelevante Antwort, der Probentransport zum Zentrallabor entfällt und man ist nicht darauf angewiesen, dass dort gerade jemand Dienst tut. Deshalb profitieren vor allem kleinere Kliniken von der breiter werdenden Angebotspalette im Wachstumsmarkt POCT. Der jährliche Umsatz für POCT-Diagnostik in Europa beträgt laut jüngstem VDE-Expertenbericht rund 3,5 Milliarden Euro. Daran ist Deutschland mit 1,1 Milliarden beteiligt, den größten Anteil haben Glukoseteststreifen und andere Messsysteme für Diabetiker.

Prof. Dr. med. Peter Luppa, Leiter des Zentrallabors mit Blutdepot am Klinikum rechts der Isar in München, erläuterte, dass das kontinuierliche Monitoring ein wichtiges neues Anwendungsgebiet sei. Vor allem bei Diabetikern, die damit ohne Stechhilfe ihren Blutzuckerwert abrufen können, würden solche POCT-Geräte zunehmend beliebter. Der Sensor ist subkutan anzubringen und hat eine Haltbarkeit von rund 14 Tagen. „Der Patient muss allerdings wissen, dass der subkutan gemessene Wert dem Blutzuckerspiegel hinterherhinkt“, mahnt Luppa. Bei sich schnell ändernden Blutzuckerwerten ist eine Verifikation notwendig.

Als weiteren Meilenstein nannte der Labormediziner das Nucleic Acid Testing oder NAT für die Diagnose von Infektionskrankheiten. Diese Geräte nutzen DNA/RNA-Amplifikationstechnik und können eine ganze Palette von Erregern erkennen. Darunter sind nosokomiale Keime, Erreger sexuell übertragbarer Krankheiten und das gängige respiratorische Keimspektrum. Luppa wertet vor allem die rasche Identifizierung von B-Streptokokken vor der Geburt bei Schwangeren als Fortschritt, um rechtzeitig Antibiose einleiten zu können. „Die Diagnostik von Infektionskrankheiten spielt nicht zuletzt in Entwicklungsländern eine ganz wichtige Rolle“, erläuterte Luppa weiter.

Wer soll das bezahlen?

Dass vor allem die Kostenerstattung der Nutzung von POCT Grenzen setzt, machte Dr. med. Peter-Friedrich Petersen deutlich. Der Chefarzt für die Zentrale Notaufnahme am Klinikum Frankfurt Höchst beklagte, dass für die ambulante Patientenversorgung je nach Bundesland nur 20 bis 50 Euro zur Verfügung stünden. Da gilt es, bei der Labordiagnostik den Gürtel eng zu schnallen, denn: „Die effektiven Kosten schlagen je nach Klinik mit etwa 100 bis 150 Euro zu Buche“, sagte Petersen. Da Höchst über ein extrem schnelles Zentrallabor verfüge, das zudem vieles kostengünstiger liefere als POCT-Geräte, falle die Entscheidung meist nicht schwer.

Dr. Jörg M. Hollidt, Geschäftsführer der in.vent Diagnostika, listete in Frankfurt die Vorteile von POCT-betriebener Immundiagnostik auf. Zur frühen Ausschlussdiagnostik einer Zöliakie oder zum Therapiemonitoring bei Rheumatoider Arthritis könne eine rasche Antwort für den niedergelassenen Arzt sinnvoll sein. Ob finanzierbar steht auch hier auf einem anderen Blatt.

Dr. med. Martina Lenzen-Schulte

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