SUPPLEMENT: Perspektiven der Urologie
Beurteilung des Prostatakarzinoms: Gleason-Score – Status 2016
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Ein neues quantitatives Gradierungssystem macht Pathologen untereinander vergleichbarer und erlaubt eine genauere prognostische Aussage als die herkömmliche fünfstufige Einteilung.
Autopsiestudien und Studien an Zystektomie-Präparaten männlicher Patienten haben gezeigt, dass circa 50 % der 50-jährigen und über 80 % der 75-jährigen Männer in ihrer Prostata mindestens ein kleines Karzinom tragen. Die meisten Betroffenen entdecken ihren Tumor allerdings nie. Männer mit diagnostiziertem Prostatakarzinom sterben in weniger als 20 % an dieser Tumorentität (1).
Um Übertherapie zu verhindern, ist eine zuverlässige Prognosebeurteilung zum Zeitpunkt der Diagnose wichtig. Die etablierten Prognosekriterien sind:
- PSA-Wert,
- Gleason-Score,
- das Ausmaß des Tumorbefalls in Biopsien und
- das klinische Stadium.
- Von diesen Parametern ist die Bestimmung des Gleason-Scores am schwierigsten.
Der Gleason-Score
Prinzipiell verläuft die Gradierung bei allen Tumorarten gleich. Der Pathologe legt aufgrund seiner Erfahrung und von vorher festgelegten Kriterien fest, wie weit sich das Tumorgewebe morphologisch von seinem Ausgangsgewebe entfernt hat. Gleicht das Tumorgewebe dem Ausgangsgewebe, besteht eine geringe Entdifferenzierung und ein niedrigerer Malignitätsgrad. Hat sich das Gewebe morphologisch weit entdifferenziert und gleicht nur noch marginal oder überhaupt nicht mehr dem Ausgangsgewebe, besteht ein hoher Malignitätsgrad.
Der Gleason-Score ist das weltweit etablierte Gradierungssystem beim Prostatakarzinom. Es basiert ausschließlich auf architektonischen Parametern. Zytologische Atypien der Tumorzellen werden komplett vernachlässigt. Stattdessen werden Form und Anordnung der Prostatadrüsen beurteilt. Die Befunde werden in fünf Muster eingeteilt.
Die von Epstein und Kollegen 2016 (2) publizierte Zeichnung, die die einzelnen Gleason-Muster beschreibt, ist in Grafik 2 dargestellt.
Die Gleason-Muster 1 und 2 kommen in Karzinomen kaum vor und sollten heute nicht mehr diagnostiziert werden.
Aus praktischer Sicht bildet ein Prostatakarzinom also maximal drei verschiedenen Gleason-Muster aus, nämlich die Muster 3, 4 und 5.
Bestimmung durch den Pathologen
Bei der Gleason-Gradierung mustert der Pathologe das gesamte Tumorgewebe durch, beurteilt jede einzelne Drüsenstruktur und ordnet ihr ein Gleason-Muster zu (Grafik 1). Für jedes einzelne Areal (mikroskopisches Gesichtsfeld) schätzt er ab, wie viel Prozent der Tumormasse Gleason 3, Gleason 4 und Gleason 5 sind. Am Ende werden die Ergebnisse aller beurteilten Areale „geschätzt“ zusammengeführt. Die Rohdaten der Befundung sind die prozentualen Anteile Gleason 3, 4 und 5 eines Tumors. Basierend darauf wird dann der Gleason-Score gebildet.
Unterschiedliches Regelwerk für Prostatektomien und Biopsien
Generell besteht der Gleason-Score aus (mindestens) zwei Gleason-Mustern (primäres und sekundäres). Das primäre Muster ist das in einem Tumor häufigste Gleason-Muster. Die Definition des sekundären Musters unterscheidet sich bei Stanzbiopsien und anderen Präparaten.
Bei der Stanzbiopsie ist das sekundäre Muster der schlimmste Gleason-Grad (aber nur, wenn das schlimmste Gleason-Muster schlimmer ist als das primäre Muster). Bei Prostatektomien und transurethralen Resektaten ist das sekundäre Muster das zweithäufigste Muster.
Falls zusätzlich kleinere Anteile eines dritten (noch schlimmeren) Gleason-Musters vorliegen, wird in diesen Präparaten ein sogenannter tertiärer Gleason-Grad vergeben.
Kommt nur ein Gleason-Muster im Präparat vor, wird dieses zweimal verwendet, zum Beispiel 3+3=6 oder Gleason 4+4=8. Die möglichen Diagnosen bei einer Prostatastanze sind: 3+3, 3+4, 4+3, 4+4, 4+5, 5+4, 5+5, aber auch 3+5 oder 5+3.
An möglichen Diagnosen kommen beim Prostatektomiepräparat zusätzlich 3+4, Tertiärgrad 5, und 4+3, Tertiärgrad 5, hinzu. Die prognostische Bedeutung dieser Gruppen an Prostatektomiepräparaten ist in Grafik 4a dargestellt.
Da zwischen den Gruppen 4+5, 5+4 und 5+5 keine prognostischen Unterschiede bestehen, werden diese zusammengefasst.
Interobserverschwankung
Die deutschen Leitlinien zum Prostatakarzinom sehen vor, dass eine Low-Dose-Radiation-Brachytherapie (SEEDs) nur bei einem Gleason-Score von maximal 3+3 und eine „Active Surveillance“ nur bei Gleason ≤3+3 oder im Rahmen von Studien ausnahmsweise bei Gleason 3+4 möglich ist.
Weiterhin fallen Patienten mit einem Gleason-Score von 8 und höher automatisch in die schlechteste „High-risk“-Prognosegruppe und werden daher oft nur noch mit palliativer Intention behandelt.
Der Pathologe trifft also mit der Vergabe eines Gleason-Scores eine schicksalhafte Entscheidung für den Patienten. Die Reproduzierbarkeit der Gleason-Scores ist allerdings erschreckend gering.
Sie zeigt, dass die Klassifizierung von Tumoren durch zwei verschiedene Pathologen in beinahe 40 % zu einer unterschiedlichen Beurteilung führt. In einer neueren Arbeit wurde eindrucksvoll gezeigt, dass dies nicht nur für „periphere Pathologen“ gilt, sondern genauso für Experten-Panels (3). Insgesamt zeigen derartige Studien, dass die Gleason-Gradierung wohl nirgends mit leitliniengerechter Präzision durchführbar ist.
Kürzlich wurde von der International Society of Urological Pathology (ISUP) (2) vorgeschlagen, die Gleason-Nomenklatur zu verändern mit dem Ziel, die Klassifizierung für Patienten verständlicher zu machen. Dabei sollen nun folgende Umbenennungen erfolgen:
- Gleason 3+3=6 zu Prognostic Grade Group I,
- Gleason 3+4=7 zu Prognostic Grade Group II,
- Gleason 4+3=7 zu Prognostic Grade Group III,
- Gleason 8 zu Prognostic Grade Group IV und
- Gleason 9–10 zu Prognostic Grade Group V.
Es wird interessant sein zu verfolgen, inwieweit sich eine reine Namensänderung einer etablierten, aber schlecht reproduzierbaren Klassifikation im Alltag durchsetzt.
Der quantitative Gleason
Unabhängig von der Nomenklatur halten wir eine kategorische Einteilung der Prostatakarzinome in „nur“ fünf Kategorien für nicht mehr angemessen (4). Die Interobserver-Variabilität in der Gleason-Gradierung ist auch deswegen unvermeidbar, weil sich nicht alle Prostatakarzinome in der Art und Weise, wie sie wachsen, an die Vorgaben der Gleason-Klassifikation halten. Manche Drüsen sind nicht ohne Weiteres einzuordnen. Das Zusammenspiel von gut ausgebildeten Urologen und Pathologen kann die klinischen Auswirkungen dieses Problems allerdings kompensieren. Dazu ist es notwendig, dass der Pathologe seinen Gleason-Score nicht lediglich in Form von „Kategorien“ mitteilt, sondern dem Urologen seine Rohdaten übermittelt.
Die meisten „Gleason-Abweichungen“ sind nämlich durch Grenzbefunde bedingt. In der traditionellen Einteilung des Gleason-Befundes in fünf Gruppen führen bereits kleinste Abweichungen zu einem veränderten Gleason-Score. Besonders oft geschieht dies in der Abgrenzung 3+3 vs. 3+4.
Für die Diagnose eines Gleason-3+3=6-Karzinoms werden durchweg voneinander abgrenzbare Drüsen gefordert. Immer wieder finden sich aber in überwiegenden Gleason-3-Tumoren auch fraglich verschmelzende Drüsen, die naturgemäß nicht von allen Pathologen gleich beurteilt werden und sich auch nicht immer auf jedem Stufenschnitt gleich darstellen.
Je nachdem, ob der Pathologe nun kleinste Anteile von Gleason 4 diagnostiziert oder nicht, lautet die Diagnose Gleason 3+3 oder Gleason 3+4.
Die Mitteilung, dass es sich nicht einfach um ein Gleason 3+4, sondern um ein Gleason 3+4 (mit quantifizierten 5 % Gleason-4-Anteil) Karzinom handelt, lässt den gut ausbildeten Urologen erkennen, dass ein „fast Gleason 3+3“-Karzinom vorliegt, welches sicher von einigen anderen Pathologen als Gleason 3+3=6 klassifiziert worden wäre.
Die klinische Relevanz des quantitativen Gleason-Grades wird auch dadurch illustriert, dass das Risiko eines PSA-Rezidivs nach Prostatektomie praktisch linear vom prozentualen Anteil Gleason 4 abhängig ist (Grafik 4b). Tumoren mit einem Grenzbefund zwischen zwei klassischen Gleason-Scores unterscheiden sich letztlich klinisch kaum.
Das Rezidivrisiko ist bei einem Gleason 3+3=6 und einem Gleason 3+4=7 (mit 5–10 % Gleason 4) sehr ähnlich. Auch Tumoren mit einem Gleason 3+4=7 (40 % Gleason 4) verhalten sich ähnlich wie Tumoren mit Gleason 4+3=7 (60 % Gleason 4).
Quantitativer Gleason an Stanzbiopsien
Aufgrund der hohen klinischen Relevanz des quantitativen Gleason-Grades empfehlen wir eine analoge Zusammenfassung der Befunde in Stanzbiopsien.
Ein zusammenfassender, quantitativer Gleason-Score kann bei systematischen Biopsien für einen Patienten, bei MR gesteuerten Biopsien auch für einzelne radiologisch identifizierte Tumorfoci gebildet werden.
Erste Daten zeigen, dass dieses Verfahren eine bessere Voraussage der in einer nachfolgenden Prostatektomie zu erwartenden Befunde erlaubt (Grafik 3) als die oft praktizierte Klassifizierung eines Patienten nach seiner „schlimmsten Biopsie“.
Fazit
- Der Gleason-Score ist der wichtigste prätherapeutisch verfügbare Prognosefaktor beim Prostatakarzinom.
- Der Gleason-Score unterliegt einer substanziellen Interobservervariabilität.
- Die Übermittlung der Gleason-Rohdaten (quantitativer Gleason-Grad) reduziert die klinische Relevanz der Interobservervariabilität.
- Das quantitative Gleason-Grading erlaubt eine feinere Einschätzung der Patientenprognose als die traditionelle Einteilung in fünf Kategorien.
DOI: 10.3238/PersUro.2016.08.22.03
Prof. Dr. med. Thorsten Schlomm
Martini-Klinik, Prostatakarzinomzentrum
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Prof. Dr. med. Guido Sauter
Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
@Literatur im Internet
www.arzteblatt.de/lit3316
1. | Bill-Axelson A, Holmberg L, Filen F, Ruutu M, Garmo H, Busch C, et al.: Radical prostatectomy versus watchful waiting in localized prostate cancer: the Scandinavian prostate cancer group-4 randomized trial. J Natl Cancer Inst 2008; 100(16): 1144–54 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
2. | Epstein JI, Egevad L, Amin MB, Delahunt B, Srigley JR, Humphrey PA, et al.: The 2014 International Society of Urological Pathology (ISUP) Consensus Conference on Gleason Grading of Prostatic Carcinoma: definition of grading patterns and proposal for a new grading system. Am J Surg Pathol 2016; 40(2): 244–52 MEDLINE |
3. | Egevad L, Ahmad AS, Algaba F, Berney DM, Boccon-Gibod L, Comperat E, et al.: Standardization of Gleason grading among 337 European pathologists. Histopathology 2013; 62(2): 247–56 CrossRef MEDLINE |
4. | Sauter G, Steurer S, Clauditz TS, Krech T, Wittmer C, Lutz F, et al.: Clinical utility of quantitative Gleason grading in prostate biopsies and prostatectomy specimens. Eur Urol 2016; 69(4): 592–8 CrossRef MEDLINE |