ArchivDeutsches Ärzteblatt33-34/2016Präimplantationsdiagnostik: Der Wunsch nach einem gesunden Kind

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Präimplantationsdiagnostik: Der Wunsch nach einem gesunden Kind

Korzilius, Heike

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Darf man einen Embryo auf Erbkrankheiten oder Chromosomenanomalien untersuchen, um dann zu entscheiden, ob man ihn in die Gebärmutter einpflanzt? Darüber wurde in Deutschland lange heftig gestritten. Inzwischen etabliert sich das Verfahren.

Foto: iStockphoto
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Führt die Präimplantationsdiagnostik (PID) auf „die schiefe Bahn zur Eugenik“? Oder ist sie ein medizinisch sinnvolles Verfahren, das Kinder und ihre Familien vor großem Leid bewahren kann? Wenn Embryonen nach genetischen Defekten untersucht und gegebenenfalls ausgesondert würden, dann sei der Weg zur Eugenik eingeschlagen, schrieb im März 2000 der damalige Chefredakteur des Deutschen Ärzteblattes, Norbert Jachertz. Es war der Beginn einer ethischen Debatte, die sowohl die Ärzteschaft als auch Politik und Gesellschaft spaltete. Sie setzte zu einem Zeitpunkt ein, als das Verfahren in vielen Nachbarländern bereits etabliert war und betroffene Paare Hilfe im Ausland suchten.

In Deutschland war lange Zeit umstritten, ob die PID gegen das Embryonenschutzgesetz verstößt. Ein Urteil des Bundesgerichtshofes ebnete 2010 den Weg für eine gesetzliche Regelung, die die Anwendung des gendiagnostischen Verfahrens in engen Grenzen erlaubt. Inzwischen sind in Deutschland elf Zentren zugelassen, an denen eine PID durchgeführt werden darf. Fünf Ethikkommissionen haben sich, zum Teil länderübergreifend, konstituiert. Denn ohne deren Zustimmung darf das Verfahren nicht angewendet werden.

Der Dammbruch blieb aus

Der befürchtete Dammbruch ist bisher ausgeblieben. „Im Kernbereich der ethischen Diskussion sind die Wogen geglättet, weil wir bereits jetzt vorläufige Entwarnung geben können“, sagt Prof. Dr. med. Georg Griesinger vom Universitären Kinderwunschzentrum Lübeck. Der Reproduktionsmediziner hat zusammen mit Kollegen die Entwicklung der PID während des ersten Jahres ausgewertet und im September 2015 in der Zeitschrift „Der Frauenarzt“ veröffentlicht. Es sind die aktuellsten Zahlen, auf die man zugreifen kann – auch der erste Erfahrungsbericht der Bundesregierung von Dezember 2015 (Drucksache 18/7020) bezieht sich auf diese Daten. Zwischen Februar 2014 und Juni 2015 wurden danach 142 Anfragen für eine gendiagnostische Untersuchung an die beiden bis dahin einzigen zugelassenen Zentren in Lübeck und Hamburg gestellt. Bis zum Stichtag lagen 34 positive Voten der Ethikkommission vor. Vier Kinder wurden geboren.

Bei der bayerischen Ethikkommission, die sich im Frühjahr 2015 konstituierte, sind nach Angaben der Bayerischen Staatsregierung von März dieses Jahres 48 Anträge auf PID eingegangen. Wie auch in Norddeutschland wurde die überwiegende Zahl der Anträge positiv beschieden.

Mit 200 bis 400 genetischen Untersuchungen an Embryonen jährlich rechnete man aufgrund internationaler Erfahrungen im PID-Gesetzgebungsverfahren 2011. Reproduktionsmediziner Griesinger, der zurzeit einen gemeinsamen Bericht der Zentren zur Entwicklung der PID in Deutschland mit vorbereitet, hält diese Zahlen für realistisch. Zwar hätten einige der zugelassenen Zentren bisher noch keine Aktivitäten entwickelt. Die Daten ließen aber darauf schließen, dass das Geschehen „relativ überschaubar“ bleibe.

Nach der PID-Verordnung müssen die Zentren jedes Jahr die Zahl der dort vorgenommenen PID sowie die Begründung zur Indikationsstellung (Chromosomenstörung, autosomal-dominant, autosomal-rezessiv und geschlechtsgebunden erbliche Erkrankung) und die jeweils angewendete Untersuchungsmethode an eine Zentralstelle beim Paul-Ehrlich-Institut melden. Auf die Meldung weiter gehender Angaben habe man verzichtet, um der Entstehung einer Indikationsliste vorzubeugen, betont das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage. Ob eine PID angezeigt ist, soll immer im Einzelfall entschieden werden.

Das Ziel des Gesetzgebers, dadurch jeden Automatismus bei der Anwendung des Verfahrens zu verhindern, ist angesichts der ethischen Debatte um die PID nachvollziehbar. Experten halten es jedoch für „Wunschdenken“. Denn die Zentren tauschen sich über ihre PID-Fälle ebenso aus wie die Ethikkommissionen, deren Ziel eine möglichst einheitliche Spruchpraxis sein muss. Außerdem gibt es internationale Auswertungen.

Aus einer Analyse der Zeitschrift Human Reproduction Update von Mai/Juni 2012 geht hervor, dass zwischen 1997 und 2010 in Europa bei den autosomal-rezessiven Erkrankungen die ß-Thalassämie/Sichelzellenanämie, zystische Fibrose sowie die Spinale Muskelatrophie Typ I zu den häufigsten Indikationen für PID gehörten. Bei den autosomal-dominanten Erkrankungen führten Chorea Huntington, Myotone Dystrophie, Neurofibromatose Typ 1 sowie polypenreicher Darmkrebs die Liste an. Bei den X-chromosomalen Erkrankungen wurde am häufigsten auf Fragiles-X-Syndrom, Muskeldystrophie sowie Hämophilie A+B untersucht. Und in Großbritannien kann zum Beispiel das mögliche Vorliegen einer Disposition für erblichen Brustkrebs sowie früh beginnende Alzheimer- oder Parkinson-Erkrankung eine PID begründen, wie aus der offiziellen Indikationsliste hervorgeht (http://guide.hfea.gov.uk/pgd/).

Jetzt geht es um Grenzfälle

Reproduktionsmediziner Griesinger räumt ein, dass sich mit zunehmender Etablierung die ethische Diskussion um die PID verändert. Es geht nicht mehr um das Grundsätzliche, sondern um Grenzfälle: „Ist beispielsweise eine spät manifestierende Erkrankung wie Chorea Huntington eine schwere Erkrankung im Sinne der PID-Verordnung?“ Und was ist mit dem Aneuploidie-Screening? „In manchen Zentren in den USA ist es gang und gäbe, bei einer In-Vitro-Fertilisation den Embryo auf Chromosomenaberrationen zu untersuchen“, sagt Griesinger. Dort argumentiere man, es sei ethisch geboten, Frauen einen Abort oder eine Totgeburt zu ersparen, wenn man die technischen Möglichkeiten dazu habe.

In Deutschland wird zurzeit vermehrt darüber diskutiert, welche genetischen Untersuchungsverfahren überhaupt unter die PID-Verordnung fallen. Es gebe Ärzte und Juristen, die meinten, eine Trophektodermbiopsie sei keine PID im eigentlichen Sinne, da sie mit Zellen arbeite, die nur ein beschränktes Entwicklungspotenzial hätten, erklärt Griesinger. Sie hielten das Votum einer Ethikkommission deshalb nicht für erforderlich. Die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht, wie sie im PID-Bericht ausführt. Klären müssen diese Frage jetzt die Verwaltungsgerichte.

Bei der PID geht es längst nicht mehr um das „ob“, sondern um das „wie“. „Gegenüber der Pränataldiagnostik ist die PID aus meiner Sicht ein geradezu harmloses Verfahren“, meint Griesinger. Bei letzterer untersuche man einen Pränidationsembryo, während die Pränataldiagnostik nicht selten mit dem Abbruch einer Schwangerschaft ende. Da arbeite man nicht mit einem fünf Tage alten Embryo, sondern mit einem Fötus. Als „risikoarm“ und „ethisch unproblematisch“ bezeichnen inzwischen auch die Gegner der Genomchirurgie die PID (siehe „Weder Schwarz noch Weiß“ in diesem Heft). Reproduktionsmediziner Griesinger kann das nachvollziehen: Angesichts der medizinisch-technischen Entwicklungen „wird uns die aufgeheizte Diskussion, die wir über PID hatten, in ein paar Jahren reichlich überzogen erscheinen“.

Heike Korzilius

Foto: Fotolia/Juan Gärtner
Foto: Fotolia/Juan Gärtner

Bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) wird das Genom eines im Reagenzglas gezeugten Embryos auf bestimmte Erbkrankheiten oder Chromosomenanomalien untersucht. Liegen diese nicht vor, wird er eingepflanzt.

2010 Im Juli urteilt der Bundesgerichtshof, dass die genetische Untersuchung an nicht mehr totipotenten embryonalen Zellen nicht gegen das Embryonenschutzgesetz verstößt und damit zulässig ist. Das Gericht mahnt zugleich eine eindeutige gesetzliche Regelung für die PID an, damit Ärzte nicht länger in einer rechtlichen Grauzone agieren.

2011 Im Juli verabschiedet der Bundestag nach kontroverser Debatte ein Gesetz, das die PID nur in Ausnahmefällen erlaubt. Sie darf angewendet werden, wenn aufgrund der genetischen Disposition der Eltern für das Kind ein hohes Risiko einer schwerwiegenden Erkrankung oder aufgrund einer Schädigung des Embryos eine Tot- oder Fehlgeburt droht.

2012 Im Januar wird in Lübeck das erste Kind geboren, bei dem nach positivem Votum einer Ethikkommission eine PID vorgenommen wurde. Die Untersuchung fiel in die Zeit zwischen BGH-Urteil und Bundesgesetz. Ausgeschlossen werden sollte das Desbuquois-Syndrom, eine vererbte, seltene, schwere Skeletterkrankung.

2012 Im November wird die Rechtsverordnung zum PID-Gesetz verabschiedet. Nach Zustimmung des Bundesrates tritt sie am 1. Februar 2014 in Kraft. Sie regelt die Voraussetzungen für die Zulassung von PID-Zentren, die Qualifikation der dort tätigen Ärzte sowie die Tätigkeit der Ethikkommissionen, die einer PID zustimmen müssen.

2014 Zwischen Februar 2014 und April 2016 konstituieren sich auf Landesebene die für die PID zuständigen Ethikkommissionen. Weil sich mehrere Länder zusammenschließen, gibt es bundesweit zurzeit fünf Kommissionen. Am 18. November 2014 urteilt das Bundessozialgericht, dass die PID keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ist.

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