ArchivDeutsches Ärzteblatt35-36/2016Fetales Alkoholsyndrom: Das Spektrum lebenslanger Komorbiditäten ist groß

MEDIZINREPORT: Studien im Fokus

Fetales Alkoholsyndrom: Das Spektrum lebenslanger Komorbiditäten ist groß

Gerste, Ronald D.

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Der Begriff Fetales Alkoholsyndrom (FAS) ist durch den Oberbegriff Fetale Alkoholspektrumstörungen (FASD) ergänzt worden, der neben dem Vollbild des FAS auch alkoholbedingte neurologische und alkoholbedingte Geburtsdefekte umfasst. Bei permanenter pränataler Alkoholexposition sind multiple Komorbiditäten beim Kind möglich. Deren Variabilität und Quantität zu erfassen, war Ziel einer Analyse von 127 internationalen Publikationen. In Kanada wird die Prävalenz des FASD auf 10/1 000 Einwohner geschätzt (Vollbild: 1–2/ 1 000). In Kroatien wurden auf 1 000 Kinder im Grundschulalter 40 FASD-Betroffene errechnet.

Insgesamt werden 418 Komorbiditäten beschrieben, von denen 18 eine gepoolte Prävalenz von mehr als 50 % hatten. Am häufigsten: elektrophysiologisch diagnostizierte Anomalitäten in peripheren Nerven (90,9 %), Verhaltensstörungen (90,7 %), rezeptive Sprachdefizite (81,8 %) und chronische Otitis media (77,3 %). Schwere Sehbehinderungen und Erblindung waren mit 61,9 % gegenüber der Normalbevölkerung (Blindheit: 0,87 %; Sehbehinderung: 1,97 %) stark erhöht, außerdem Otitis und verschiedene Arten des Hörverlustes (59 % vs. 0,45 %). Eine typische anatomische Veränderung war Hypertelorismus bei 50 % der Patienten.

Fazit: „Intrauterine Alkoholexposition kann eine Vielzahl von Organdysfunktionen oder -fehlbildungen bewirken. Hochrelevant für die Betroffenen ist die pränatale alkoholtoxische Gehirnschädigung, die zu schwerwiegenden und sich mit der Entwicklung verändernden, jedoch lebenslangen Beeinträchtigungen in Kognition, ZNS-Teilleistungen, Verhalten und selbstständiger Alltagsbewältigung führt“, erklärt Dr. med. Dipl.-Psych. Mirjam N. Landgraf vom Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU München. „FASD ist eine der häufigsten angeborenen Erkrankungen und eine der wenigen, die vollständig vermeidbar wären. Frühzeitige Diagnose, individualisierte alltagsbezogene Förderung und ein stabiles Umfeld sind essenziell für ein positives Langzeit-Outcome, besonders bei der selbstständigen Lebensführung.“

Dr. med. Ronald D. Gerste

Popova S, et al.: Comorbidity of fetal alcohol spectrum disorder: a systematic review and meta-analysis. Lancet 2016; 387: 978–87.

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