MEDIZINREPORT
Extrakorporale Oxygenierung: Anoxie von 20 Minuten überlebt


Selbst infaust scheinende Ertrinkungsunfälle können dank ECMO inzwischen ein gutes Outcome haben.
Trotz 20 Minuten unter Wasser, 16 Stunden Hypoxie, schwerer Azidose, Lungenödem und Gerinnungsstörung spricht der Patient nach dem Aufwachen aus dem Koma und reagiert verständig. Diesen unerwartet guten Ausgang eines Badeunfalls kann das Ärzteteam des Zentrums für extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) der Medizinischen Klinik III und der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Freiburg berichten.
Ein 19-jähriger Flüchtling aus Afghanistan wurde nach 20 min aus 8 m Tiefe des 19 °C kalten Bodensees gerettet, 10 min erfolgreich reanimiert und in das Klinikum Konstanz gebracht. „Vermutlich hat ihn die bereits im Wasser einsetzende milde Hypothermie vor hypoxischen Sekundärschäden bewahrt“, erklärt Internist Dr. med. Peter Stachon, der den Patienten mit dem Anästhesisten Dr. med. Johannes Kalbhenn betreute.
Bei Reanimation betrug die Körperkerntemperatur noch 32 ºC. Eine mäßige Unterkühlung zwischen 33 und 36 °C wird auch klinisch gezielt eingesetzt, um den neuronalen Stoffwechsel einzuschränken. Das senkt den zerebralen Sauerstoffbedarf und kann die Hypoxietoleranz steigern (1). Bei hypothermen Kerntemperaturen von unter 30 ºC ist eine Reanimation allerdings meist frustran. Der junge Mann hatte also Glück, dass die Unterkühlung im exakt richtigen Bereich lag. Allerdings erklärt dies nicht allein, warum er überlebte. Denn unabhängig von Wassertemperatur oder Alter gilt: Je länger unter Wasser, desto schlechter die Prognose und das neurologische Ergebnis. Eine Submersionszeit von mehr als 25 min bedeutet fast 100 % Letalität (2). Aber auch eine Anoxie von 10 min unter Wasser geht noch mit 90 % Letalität einher, selbst bei Überleben ist mit schweren neurologischen Schäden zu rechnen (3).
Das ECMO-Team traf im vorliegenden Fall 4 Stunden nach der initialen Rettung ein. Der Patient wies typische Folgen des „sekundären Ertrinkens“ auf (4). Die Lunge resorbierte das hypotone Süßwasser, es gelangte in die Blutbahn und führte dort zur Hämolyse. Außerdem kam es zum Abbau von Surfactant und konsekutiv zum schweren Lungenödem und ARDS (acute respiratory distress syndrome). Eine Beatmung war schließlich nicht mehr möglich.
Trotz eingeschränkter Gerinnung bei hochgradiger Verbrauchskoagulopathie entschied sich das Team, eine veno-venöse ECMO über eine Doppellumenkanüle in die Vena iugularis zu implantieren. Die anspruchsvolle Platzierung der Kanüle gelang problemlos. Der Transport unter ECMO-Therapie verlief dennoch dramatisch. Erst mittels extremer Volumentherapie gelang ein suffizienter Einstrom in die Pumpe und eine ausreichende Oxygenierung. Letztlich verbrachte der junge Mann etwa 16 Stunden in eihypoxischem Zustand. Dennoch konnte nach 5 Tagen die ECMO entfernt und nach 10 Tagen bereits extubiert werden. Beim Aufwachen war er ansprechbar, es gelang ihm sogar, seine Deutschkenntnisse umzusetzen. Nach Entlassung aus der Reha-Einrichtung wird er zurzeit in einer Jugendeinrichtung betreut. Er übt erfolgreich laufen, die sprachliche Kommunikation funktioniert laut Betreuer problemlos.
„Das Beispiel zeigt, dass selbst unter extrem ungünstigen prognostischen Faktoren ein ECMO-Einsatz lohnt“, betont Stachon. Die Teams sind in der Regel rasch zur Stelle. Inzwischen gibt es flächendeckend eine ausreichende Versorgung mit ECMO-Zentren. Sie sind über die Homepage des Deutschen ARDS-Netzwerkes abrufbar (5).
Vor allem Kinder, bei denen Ertrinken die zweithäufigste Todesursache darstellt, können profitieren, da das Alter ein wichtiger Prognosefaktor ist – je jünger, desto besser das Outcome. 2014 sind laut Statistischem Bundesamt in Deutschland 389 Menschen ertrunken. Die DLRG erwartet einen Anstieg aufgrund der zahlreichen Flüchtlinge, die oft nicht richtig schwimmen können und die Gefahren hiesiger Gewässer falsch einschätzen.
Dr. med. Martina Lenzen-Schulte
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit3516
oder über QR-Code.
1. | Hypothermia after cardiac arrest study group: Mild therapeutic hypothermia to improve the neurologic outcome after cardiac arrest. NEJM 2002; 346: 549–556 CrossRef MEDLINE |
2. | Kieboom JK, Verkade HJ, Burgerhof JG, et al.: Outcome after resuscitation beyond 30 minutes in drowned children with cardiac arrest and hypothermia: Dutch nationwide retrospective cohort study. BMJ 2015; 350: h418 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
3. | Suominen P, Baillie C, Korpela R, et al.: Impact of age, submersion time and water temperature on outcome in near-drowning. Resuscitation 2002; 52: 247–54 CrossRef |
4. | Schilling U, Adamuszek AK, Joachim R, et al.: Ertrinkungsunfälle - Epidemiologie und Klinik. Zbl Arbeitsmed. 2008; 58: 372. http://link.springer.com/article/10.1007%2FBF03346244 (last accessed on 25 August 2016). |
5. | Internetseite des deutschen ARDS Netzwerks: http://www.ardsnetwork.de/. |