ArchivDeutsches Ärzteblatt35-36/2016Krankenhausplan: Wenn die Qualität die Planung bestimmt

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Krankenhausplan: Wenn die Qualität die Planung bestimmt

Osterloh, Falk

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Schlechte Qualität im Krankenhaus soll künftig anhand von „Patientengefährdung“ bewertet werden. Bei schlechter Versorgungsqualität könnten Krankenhäuser aus dem Krankenhausplan fallen.

Foto: 123RF/Sudok
Foto: 123RF/Sudok

Das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) hat einen ersten Vorschlag vorgelegt, wie die Krankenhausplanung künftig um Qualitätskriterien erweitert werden könnte. Einen entsprechenden Auftrag hatte das Institut auf der Grundlage des Krankenhausstrukturgesetzes vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vor einigen Monaten erhalten. Auf diese Weise sollen die Bundesländer Krankenhäuser aus dem Krankenhausplan herausnehmen können, die schlechte Qualität erbringen.

In seinem 189 Seiten starken Vorbericht zu „Planungsrelevanten Qualitätsindikatoren“, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, hat das IQTiG Vorschläge zu einer qualitätsorientierten Krankenhausplanung vorgelegt, die das Konzept der stationären Qualitätssicherung deutlich verändern würden. Grundlage der Qualitätssicherung soll demnach die „Patientengefährdung“ sein, anhand derer gemessen werden soll, ob die in einem Krankenhaus erbrachte Qualität nicht ausreichend ist.

Das Konzept zur Bewertung einer Patientengefährdung lehnt an das Risiko-Akzeptanz-Modell zur Bewertung gesundheitlicher Gefahren am Arbeitsplatz der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin an. Patientengefährdung beschreibt dabei „das vermeidbare Risiko eines Gesundheitsschadens im Rahmen der Patientenversorgung“, heißt es im IQTiG-Bericht. Der Bereich der Risiken für unerwünschte Ereignisse, der von „nicht vorhanden“ bis „sehr hoch“ anwachse, werde zu Zwecken der Gefährdungseinstufung in einen grünen, einen gelben und einen roten Bereich eingeteilt. Im roten Bereich sind die Kriterien einer relevanten Patientengefährdung erfüllt.

Grundsätzlich unterscheidet das IQTiG vier Arten von Patientengefährdung:

  • direkter Schaden durch gegebenenfalls katastrophales Einzelereignis (zum Beispiel Operationen auf der falschen Seite)
  • vermeidbare Schäden durch mangelhafte Versorgungsabläufe (entstehend durch ungenügende Qualität der Behandlungsprozesse)
  • mangelnde Abwehr von Risiken (zum Beispiel die fehlende Nutzung operativer Checklisten)
  • unnötige Risikoexposition (Patienten werden zum Beispiel ohne ausreichende Indikation einer risikobehafteten Prozedur unterzogen)

„Wenn kurzfristig keine Behebung des Qualitätsdefizits durch das interne Qualitätsmanagement und die externe Qualitätssicherung mehr erwartet werden kann, besteht für zukünftige Patienten eine erhebliche Gefahr, die einschneidendere Maßnahmen zur Beseitigung dieses Risikos erforderlich macht“, heißt es weiter. „Diese können neben der Information der verantwortlichen Krankenhausleitung sowie Zielvereinbarungen und kollegialen Gesprächen in persistierenden Situationen die Herausnahme einer Fachabteilung oder eines Leistungsbereichs einer Abteilung aus dem Krankenhausplan sein.“

Gemessen werden soll die Patientengefährdung zunächst anhand von 22 Qualitätsindikatoren aus den Leistungsgebieten „Frauenheilkunde und Geburtshilfe“ und „Herzchirurgie“. Diese hat das IQTiG aus den 416 Qualitätsindikatoren her-ausgesucht, die im Rahmen der externen stationären Qualitätssicherung erhoben werden.

Mehrstufige Berichtspflicht

Heute müssen sich Krankenhäuser, die bei der Überprüfung im Rahmen der externen stationären Qualitätssicherung auffällig wurden, gegenüber den Landesgeschäftsstellen für Qualitätssicherung erklären. Im Rahmen eines Strukturierten Dialogs sollen so die Ursache für die Abweichungen ermittelt und Ziele gesetzt werden, um eine künftige Abweichung zu vermeiden.

Insofern werden die Krankenhäuser ihre Daten weiterhin an die Landesgeschäftsstellen für Qualitätssicherung schicken. Diese leiten sie an das IQTiG weiter, das die Daten auswertet. Bei einer rechnerischen Auffälligkeit werden zunächst „die Fallzahlen einer Einrichtung, die Häufigkeit der Ereignisse oder angeforderten Prozesse sowie stochastische Effekte“ berücksichtigt, heißt es im IQTiG-Vorschlag. „Über einen entsprechenden Rechenalgorithmus“ soll definiert werden, ab wann der Anfangsverdacht eines erheblichen Qualitätsmangels gegeben ist.

Liegt dieser Anfangsverdacht vor, können die Prüfinstitutionen die entsprechenden Patientenakten einsehen. Gegenüber dem IQTiG und den Landesgeschäftsstellen für Qualitätssicherung sollen die Krankenhäuser den „relevanten Versorgungskontext verifizieren“. Im Anschluss soll der G-BA vom IQTiG eine „einrichtungsbezogene Jahresauswertung sämtlicher Einrichtungsergebnisse“ erhalten sowie „die Spezifikation der aktuell gültigen Maßstäbe und Kriterien zur Bewertung der Ergebnisse“, der dies an die Planungsbehörden der Länder weiterleitet.

„Erheblichen Änderungsbedarf“ sieht die Bundesärztekammer (BÄK) beim IQTiG-Vorbericht: „Es besteht das erhebliche Risiko, dass das Konzept der Patientengefährdung zu einer neuen und dabei unerwünschten Art von ‚Qualitätskultur‘ in deutschen Krankenhäusern führt, wenn künftig der Nachweis von Fehlern und Gefahren und nicht der Nachweis einer erfolgreichen und hochwertigen Patientenversorgung im Mittelpunkt stehen“, heißt es in einer Stellungnahme. „Vergleichbar mit den Nebenwirkungen von Pay-for-Performance-Modellen wird etwa eine Patientenselektion zur Vermeidung gefährlicher Situationen zu den naheliegenden Reaktionen der Krankenhäuser gehören. Die erwünschte und förderungswürdige Qualitätskultur, die mit dem bisherigen Verständnis von Patientensicherheit inzwischen erarbeitet werden konnte, droht damit konterkariert zu werden.“

Besonders kritisch sieht Günther Jonitz, Präsident der Berliner Landesärztekammer, BÄK-Vorstandsmitglied und Vorsitzender der Qualitätssicherungsgremien der BÄK, die unzulässige Verkürzung des bisher erreichten Verständnisses von Patientensicherheit auf das Konstrukt einer „Patientengefährdung“. „Dies ist nicht nur methodisch fragwürdig, sondern würde auch einen Rückschritt für den Aufbau einer Sicherheitskultur bedeuten, die auf Prävention setzt und nicht auf Schuld und Sanktion“, so Jonitz.

Ein weiteres zentrales Problem sei die Aggregation der verschiedenen vorliegenden Informationen zu einer Gesamtaussage. Der Gesetzgeber fordere vom G-BA „Maßstäbe und Kriterien zur Bewertung der Qualitätsergebnisse“, die so aussagekräftig seien, dass sie den Landesbehörden planerische Entscheidungen ermöglichten. „Der Vorbericht enthält aber kein Konzept, wie sich aus Ergebnissen einzelner Indikatoren ein aussagekräftiges Qualitätsprofil einer Fachabteilung ableiten ließe“, heißt es von der BÄK.

Erprobung im Modellprojekt

Daher plädiert die BÄK auf der Grundlage des Vorberichts dafür, für den Bereich der Gynäkologie und Geburtshilfe ein Modellprojekt aufzusetzen. Leider sei die Gesamtevaluation des Verfahrens nicht schon im gesetzlichen Auftrag enthalten. „Umso mehr müsste der G-BA den Erprobungscharakter in seinen Richtlinien festschreiben“, so die BÄK.

Auch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) kritisiert, dass vorhandene medizinische Qualitätsindikatoren in einem Schnellschussverfahren für die Krankenhausplanung zweckentfremdet würden. Es wird moniert, dass das IQTiG das Rad neu erfinden wolle, statt vorhandene Instrumente der Qualitätssicherung zu nutzen und weiterzuentwickeln. Die Fachgesellschaft befürchtet zudem, dass Kliniken künftig falsch beurteilt werden könnten. „Wenn das IQTiG einzelnen Qualitätsindikatoren so viel Gewicht verleiht, geraten andere Eigenschaften von Kliniken womöglich ins Abseits: etwa eine wohnortnahe Basisversorgung oder qualifiziertes Personal“, heißt es in der Stellungnahme.

Die Vertreter der Krankenhäuser fordern dagegen eine Ausweitung der verschiedenen Qualitätsindikatoren. Das Kriterium Repräsentativität sei für die jeweiligen Leistungsbereiche durchaus sachgerecht, hieß es aus Krankenhauskreisen als Reaktion auf den IQTiG-Vorbericht. Allerdings müssten noch weitere Kriterien ergänzt werden, die sowohl die krankenhausplanerische Relevanz als auch bereits implementierte Instrumente der Qualitätssicherung berücksichtigen.

Zudem werde der Beurteilungsspielraum der Planungsbehörden durch die Fokussierung auf den Begriff der Patientengefährdung unzulässig eingeschränkt. Weiterhin fehle es an einer theoretischen Auseinandersetzung, die die Verbindung zwischen der Krankenhausplanung und der Qualitätssicherung herstelle.

Die Krankenhäuser betonen, dass durch die neuen Pläne des IQTiG die externe stationäre Qualitätssicherung nicht gestört werden dürfe. Dabei sollte die Abwägung erfolgen, ob Qualitätsverbesserungen eher über krankenhausplanerische oder über Maßnahmen der bereits existierenden Qualitätssicherung erreicht werden können.

Schließlich kritisieren die Krankenhäuser, dass aufgrund der eng gesetzten Fristen eine angemessene Auswahl beziehungsweise erforderlichenfalls eine Neuentwicklung von Indikatoren zur Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität nicht möglich sei. Auch die Krankenhäuser plädieren für eine Evaluation, die die Wirksamkeit und Probleme im laufenden Betrieb untersuche.

Das IQTiG muss seine Ergebnisse bis zum 31. August dem G-BA vorlegen, der bis Ende des Jahres einen ersten Entschluss fassen will.

Falk Osterloh

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