THEMEN DER ZEIT
Psychotherapiepraxis als Unternehmen: Ein vielfältiges Spannungsfeld


Der betriebswirtschaftliche Blick auf die eigene Praxis ist für viele Psychotherapeuten immer noch ungewohnt. Um die finanzielle Seite des Praxisbetriebs kümmern sich viele eher selten. Doch es ist lohnenswert, sich darüber Gedanken zu machen.
Niedergelassene Psychotherapeuten mit einer Kassenzulassung sind durch ihre Ausbildung in einem Richtlinienverfahren meist sehr gut fachlich, theoretisch wie praktisch, ausgebildet. Gleichgültig ob sie als Psychologischer Psychotherapeut, als ärztlicher Psychotherapeut oder als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut arbeiten, sind sie aber selten angemessen vorbereitet auf die unternehmerische Seite ihrer Tätigkeit. Im Gegensatz zu anderen freien Berufen wie Ärzten, Apothekern, Architekten und Rechtsanwälten ist die Unwissenheit der meisten Psychotherapeuten auf dem Feld der betriebswirtschaftlichen Selbstständigkeit immer noch ziemlich groß – vor allem wenn es um Kapital, Kalkulationen, Konkurrenz und (Praxis-)Konzepte geht. Der Tenor ist eher: „Learning by Doing.“ Mehr schlecht als recht überlassen viele Psychotherapeuten dieses Thema gern ihrem Steuerberater, statt selbst das Heft in die Hand zu nehmen. Schließlich sind Selbstständige im deutschen Gesundheitssystem an mehreren Fronten gleichzeitig gefordert – einerseits die konkrete tägliche Arbeit mit Patienten, Klienten und Ratsuchenden, andererseits der Kampf mit Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Kammern; einerseits die Akquise neuer Klienten, andererseits der regelmäßige Blick auf den Kontostand. Wenn Psychotherapiepraxen in Konkurs gehen – was bislang glücklicherweise selten geschieht –, passiert das meist nicht deshalb, weil sie schlechte psychotherapeutische Arbeit leisten, sondern weil sie nicht rechnen.
Langfristig marktfähig werden und bleiben
Auch wenn die meisten Kollegen mit einer Kassenzulassung derzeit ganz und gar nicht über zu wenig Nachfrage nach Psychotherapie klagen werden – eine Garantie, dass das so bleibt gibt es nicht. Schließlich steht bei weitem noch nicht fest, welche Rolle die ambulante Psychotherapie im Gesundheitssystem ab 2020 spielen wird. Wie man an der Änderung der Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 16. Juni sehen kann, einer umfassenden Strukturreform der psychotherapeutischen Versorgung, können ein paar kleine Drehungen an den Stellschrauben die Situation der Psychotherapeuten radikal verändern. Deswegen lohnt es, sich Gedanken darüber zu machen, was es bedeutet, langfristig „marktfähig“ zu werden oder zu bleiben. Konkret heißt das, sich oftmals ungeliebte Fragen zu stellen wie:
- Wie viel muss ich mindestens verdienen, damit sich meine Psychotherapie-Praxis auch langfristig trägt und ich genügend in meine Altersversorgung einzahlen kann („Unternehmerlohn“)?
- Wie viel kann ich eigentlich maximal in meiner (Kassen-)Praxis verdienen (Erhöhung der Einnahmen, Kostenreduktion)?
- „Du sollst das Honorar nicht vor der Steuer loben“: Was bleibt wirklich übrig, von dem, was ich einnehme?
- Habe ich mir eigentlich schon mal Gedanken über die grundlegende Konzeption meiner Praxis gemacht („Corporate Identity“)?
- Will ich – langfristig – lieber in einer Einzelpraxis arbeiten oder in einer Gruppenpraxis? Und wenn Gemeinschaftspraxis oder Praxisgemeinschaft – wie soll die Rechtsform sein?
- Wie darf ich werben – und wo sind die Grenzen der Akquise?
- Welche (Praxis-)Versicherungen benötige ich?
- Was darf ich neben meiner psychotherapeutischen Kassenpraxis eigentlich noch anbieten?
Im Folgenden wird vor allem auf die letzte Frage fokussiert. Wenn man sich als Psychotherapeut niederlässt, begibt man sich in ein Spannungsfeld. Denn einerseits ist man „Helfer“, „Begleiter“ und „Unterstützer“, andererseits ist man „Unternehmer“ und „Kämpfer“. Dieses Spannungsfeld ist ein – mitunter nicht leicht auszuhaltender – Spagat, da er völlig andere Konfliktlösemuster verlangt: Während es in der Psychotherapie (aber auch in den nichtklinischen Tätigkeitsfeldern) oft darum geht, jemanden langfristig zu begleiten, ihn zur (Selbst-)Reflexion anzuregen, Einstellungs- und Verhaltensänderungen zu bewirken, ist der Gesundheits- und Beratungsmarkt doch oft ein Feld auf dem man sich kämpferisch behaupten und durchsetzen muss – ganz abgesehen vom Umgang mit Banken, Finanzämtern und Mitbewerbern. Das klingt banal, ist aber vielen Kollegen nicht immer bewusst. Deshalb ist es notwendig sich auf eine angemessene Form von Rollenflexibilität vorzubereiten: „Unternehmerbewusstsein“ könnte man das nennen.
Freier Beruf: „Dienstleistung höherer Art“
Wenn man als Psychotherapeut tätig wird, bewegt man sich nicht in einem rechtsfreien Raum, sondern es gibt eine Reihe von rechtlichen Rahmenbedingungen. Als Psychotherapeut ist man schließlich kein Gewerbetreibender, sondern gehört, ähnlich wie Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, Apotheker oder Architekten, einem freien Beruf an, das heißt, man übt eine „Dienstleistung höherer Art“ aus. Die rund eine Million Freiberufler sind in Deutschland eine Wirtschaftsmacht, denn sie erwirtschaften circa neun Prozent des Bruttoinlandprodukts. Freie Berufe zeichnen sich durch eine weitgehende Berufsunabhängigkeit aus, haben eine spezielle Ausbildung und Sachkunde und ein umschriebenes Berufsethos. Als freier Beruf erbringt man seine Leistungen zumeist persönlich und hat ein besonderes Vertrauensverhältnis zu seinem Klienten oder Patienten. Außerdem hat man als Freiberufler eine besondere Verantwortung der Allgemeinheit gegenüber. Das heißt, man darf nicht nur die Gewinnoptimierung im Blick haben, ist dafür in weiten Bereichen der Tätigkeit steuerlich privilegiert, zum Beispiel von der Mehrwertsteuer im heilkundlichen Bereich befreit und unterliegt nicht der Gewerbesteuerpflicht. Dafür muss die Fachkompetenz nachgewiesen werden, etwa durch eine Fortbildungsverpflichtung. Im Kontakt mit dem Patienten/Klienten hat man eine Aufklärungspflicht, eine Aufzeichnungs- und Dokumentationspflicht und unterliegt der Schweigepflicht (§ 203 StGB). Daneben sind die Sozialgesetzbücher (SGB) V, VII, VIII und IX – je nach Arbeitsschwerpunkt – von großer Bedeutung. Neben Psychotherapeutengesetz, Psychotherapie-Richtlinien und Psychotherapie-Vereinbarung sind auch noch neuere Gesetze wie das GKV-Versorgungsstrukturgesetz, das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz, das GKV-Finanzierungsgesetz, Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz oder das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz relevant.
Manche behaupten zwar, dass die Selbstständigen im Gesundheitssystem durch ihre Abhängigkeit von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) sogar in einem abhängigeren Zustand seien als Angestellte. Diese wüssten zumindest am Ende des Monats, was sie in dieser Zeit verdient hätten, während ein Selbstständiger wegen oszillierender Punktwerte dies erst zwei Quartale später wisse. Hinzu komme, so die Kritik, dass die KV immer mehr Vorschriften mache, sie andererseits das Risiko der Selbstständigkeit aber allein zu tragen hätten. Auch das ist ein Grund, weshalb viele Psychotherapeuten neben ihrer Tätigkeit in der Regelversorgung der Kassen-Psychotherapie offen sind für andere Tätigkeitsfelder.
Zweites Standbein neben der Kassenpraxis
Nichtsdestotrotz: Gerade im psychotherapeutischen Bereich sehnen sich noch immer viele Kollegen nach einem Kassensitz, weil sie glauben, damit eine „sichere Bank“ zu haben. Dabei sieht die Realität mit einer Kassenzulassung ganz und gar nicht nur „paradiesisch“ aus. Zwar ist die Sicherheit derzeit gegeben, dass man genügend Patienten hat – und man eher lernen muss, Patienten angemessen abzulehnen –, man bekommt von der KV auch sicher die Vergütung – was bei Privatpatienten und anderen nichtklinischen Tätigkeiten mitunter schon ein Kampf sein kann. Allerdings sind die Honorare nicht üppig und hinken den Arzthonoraren hinterher. Auch fordert die KV für diese Sicherheit eine Reihe von Vorgaben: Beginnend mit der Mindesttherapiestundenzahl pro Woche, der Vorschrift, kein anderes Beschäftigungsverhältnis einzugehen (§ 20, Abs. 1 Ärztezulassungsverordnung), über das ungeliebte Qualitätsmanagement (siehe: § 16 Musterberufsordnung der Bundespsychotherapeutenkammer) bis hin zu den dezidierten Dokumentations-, Datensicherheits- und Aufbewahrungspflichten (§§ 9 bis 10) und den Einsichtsrechten des Patienten in die Behandlungsdokumentation (§ 11). Deswegen gibt es immer mehr Psychotherapeuten, die sich neben ihrer Kassenpraxis, als zweites berufliches Standbein, noch andere Tätigkeiten suchen.
Gerade für Psychologische Psychotherapeuten gibt es eine Reihe von Tätigkeiten, die man neben der Psychotherapie im Rahmen der Kassenärztlichen Versorgung ausüben kann. Dabei ist es sinnvoll zwischen klinischer, semiklinischer und nichtklinischer Tätigkeit zu unterscheiden, da das diverse Auswirkungen, auch steuerlicher Art, haben kann.
Zu den klinischen Tätigkeitsfeldern zählen:
- Klinische Psychodiagnostik
- Klinische Psychologie, klinisch-psychologische Beratung
- Notfallpsychologie
- Prävention
- Rehabilitation
Zu den nichtklinischen Tätigkeiten zählen:
- Coaching
- Supervision
- Karriere-, Berufs- und Laufbahnberatung
- Mediation
- Paar-, Ehe- und Familienberatung
- Seminare, Workshops und Weiterbildungsangebote für verschiedene Berufsgruppen
- Lehrtätigkeit(en) an Universitäten, Fach(hoch)schulen und Schulen
- Wirtschaftspsychologische Beratung: ABO (Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie), Unternehmens- und Institutionsberatung
- Markt-, Werbe- und Kommunikationspsychologie
- Sport- und freizeitpsychologische Beratung
- Kleinere und spezielle Felder wie Arbeit mit Hochbegabten oder Beratung von Senioren.
Grenzlinien sind nicht immer eindeutig
Mitunter ist die Grenzlinie zwischen klinischer und nichtklinischer Tätigkeit allerdings nicht ganz so trennscharf und die Übergänge sind fließend, da die Tätigkeitsfelder mitunter sowohl klinische als auch nichtklinische Aspekte haben. Dieser Bereich wird hier mit semiklinisch bezeichnet. Dazu zählen auch eine Reihe von eigenen psychologischen Arbeitsfeldern:
- Gesundheitspsychologische Beratung
- Arbeit mit Mobbing-Geschädigten
- Burn-out-Behandlung
- Arbeit mit Messies
Viele Psychologische Psychotherapeuten sind sowohl im klinischen, als auch im nichtklinischen Bereich tätig, was grundsätzlich möglich und machbar ist. Allerdings sollten sie sich darüber bewusst sein, in welchem Feld sie gerade tätig sind. Denn obwohl die Grenzlinie in vielen Arbeitsgebieten nicht immer eindeutig ist, ist die grundsätzliche Unterscheidung zwischen klinischen und nichtklinischen Tätigkeiten wichtig. Diese Unterscheidung hat nämlich Auswirkungen auf viele Bereiche, beispielsweise ob die Krankenversicherung die Kosten dafür übernimmt (nur, bei einem klinischen Symptom „mit Krankheitswert“). Aber auch juristisch macht es einen Unterschied, ob ein Patient oder Klient Psychotherapie erhält oder eine allgemeinpsychologische Beratung. Und selbst steuerlich kann es Auswirkungen haben: heilkundliche, also klinische Tätigkeit ist beispielsweise von der Mehrwertsteuerpflicht befreit, im Gegensatz zu den meisten nichtklinischen Tätigkeiten.
Anschrift des Verfassers:
Dipl.- Psych. Werner Gross, Psychologisches
Forum Offenbach, Bismarckstr. 98, 63065 Offenbach/Main, E-Mail: pfo-mail@t-online.de,
www.pfo-online.de
1. | Gross, W: Erfolgreich selbstständig – Gründung und Führung einer psychologischen Praxis. Berlin, Heidelberg: Springer 2016. |
Mennemeier, Stefan
Andritzky, Walter
Hallier, Norbert