ArchivDÄ-TitelSupplement: PerspektivenSUPPLEMENT: Kardiologie 2/2016Bewegungstherapie und Patientenschulung: Nicht genügend eingesetzt

SUPPLEMENT: Perspektiven der Kardiologie

Bewegungstherapie und Patientenschulung: Nicht genügend eingesetzt

Dtsch Arztebl 2016; 113(41): [28]; DOI: 10.3238/PersKardio.2016.10.14.06

Schubmann, Rainer

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Die zahlreichen Möglichkeiten der Rehabilitation bei chronischer Herzinsuffizienz sowie weitergehender Nachsorgekonzepte werden bei Weitem nicht ausgeschöpft, obwohl ihre Effektivität zum wohl des Patienten bewiesen ist.

Foto: 123RF/lightwise
Foto: 123RF/lightwise

Die Anzahl der Patienten, die wegen einer chronischen Herzinsuffizienz (CHI) in Krankenhäusern behandelt werden müssen, nimmt seit vielen Jahren ständig zu. Diese Entwicklung wird vor allem durch den demografischen Faktor erklärt. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Insgesamt ist die CHI eine Erkrankung, die statistisch ab dem 70. Lebensjahr immer öfter diagnostiziert wird. In Deutschland leben aktuell knapp über zwei Millionen Menschen mit dieser Erkrankung.

Nach einer Empfehlung der New York Heart Association (NYHA) wird die Herzinsuffizienz international in vier Schweregrade eingeteilt:

  • NYHA-Stadium I: Die körperliche Leistungsfähigkeit ist normal; nur technische Untersuchungen wie die Echokardiografie zeigen Störungen an.
  • NYHA-Stadium II: Leicht eingeschränkte Leistungsfähigkeit, Spaziergänge bis zu 5 km Länge sind noch möglich.
  • NYHA-Stadium III: Leistungsfähigkeit ist erheblich eingeschränkt; nur noch leichte körperliche Belastungen möglich.
  • NYHA-Stadium IV: Jede körperliche Belastung bereitet Beschwerden. Es muss überwiegend Bettruhe eingehalten werden.

Die Gesamtheit der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten hat sich in den letzten drei Jahrzehnten erheblich verbessert – zum Beispiel durch leitliniengerechte Gabe von Medikamenten, Schrittmacher, Defibrillatoren, Herzunterstützungssysteme oder herzchirurgische Eingriffe. Dennoch ist die Sterblichkeit nach wie vor hoch.

Wegen der gesundheitspolitischen Relevanz der CHI steht eine Nationale Versorgungsleitlinie Chronische Herzinsuffizienz (8) und eine Leitlinie für die Diagnose und Behandlung der akuten und chronischen Herzinsuffizienz der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (1) zur Verfügung. In beiden Grundlagenwerken wird auf die wissenschaftlich fundierte Bedeutung der „ganzheitlichen Behandlung“ beziehungsweise der „nichtpharmakologischen Therapie“ verwiesen. Gemeint ist konkret die „Etablierung eines regelmäßigen körperlichen Trainings“ und die „Schulung des Patienten“.

Im Versorgungsalltag von CHI-Patienten (in kardiologischen oder internistischen Praxen, kardiologischen Krankenhaus-Fachabteilungen, Herzinsuffizienzambulanzen oder Herzchirurgien) sind diese beiden Aspekte sehr selten zu finden. Allerdings: Unter den gegebenen Rahmenbedingungen in Akutkrankenhäusern und Fachpraxen ist eine Erweiterung der Aufgaben in Richtung Patientenschulungen und Bewegungstherapie nicht realistisch erreichbar. Auffällig ist auch, dass diese beiden Aspekte in Leitartikeln und Übersichten zu Therapien bei Herzinsuffizienz keine Erwähnung finden (3, 7).

Bewegungstherapie und Patientenschulung sind hingegen Kernbestandteile von kardiologischer Qualitätsrehabilitation (9). In Anlehnung an die nationalen und internationalen Leitlinien ist eine auf Herzinsuffizienz ausgerichtete Rehabilitation in einer der etwa 80 kardiologischen Rehabilitationskliniken für alle Patienten dringlich angezeigt. Diese Möglichkeiten müssen vermehrt genutzt werden – zumal inzwischen eine manualisierte und an den Leitlinien ausgerichtete evaluierte Schulungskonzeption für die Rehabilitation zur Verfügung steht (2). Entsprechende Forschungsergebnisse wurden auch international publiziert (4, 5, 9).

Patientenschulungen

Patientenschulung ist immer ein Kernbestandteil der medizinischen Rehabilitation. Inzwischen wurde wegen der hohen Bedeutung ein Spezialzertifikat für „Exzellente Patientenschulung“ etabliert (www.degemed.de/qualitaetsreha/zertifizierung-patientenschu
lung.html). Ziel dabei ist es, durch erwachsenenpädagogische und verhaltensbezogene Interventionen die Folgen chronischer Krankheiten zu verringern sowie die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern – und zwar durch gezielte Förderung der Einnahmetreue von Medikamenten und des Selbstmanagements.

Die gültige Definition von Rehabilitation lässt in Bezug auf diesen Bildungsauftrag von Rehabilitationskliniken keinen Raum für Interpretationen: „Medizinische Rehabilitation umfasst einen ganzheitlichen Ansatz, der über das Erkennen, Behandeln und Heilen von Krankheiten hinaus die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Gesundheitsproblemen eines Versicherten berücksichtigt, um im Einzelfall den bestmöglichen Rehabilitationserfolg im Sinne der Teilhabe an Familie, Arbeit, Gesellschaft und Beruf zu erreichen“ (Zitat aus: Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation).

Patientenschulung in der Rehabilitation beinhaltet definitionsgemäß alle Maßnahmen, die unter Einsatz erwachsenenpädagogischer Techniken beziehungsweise psychologischer Methoden auf eine positive Veränderung gesundheitsbezogener Verhaltensweisen und damit auf den Krankheitsverlauf abzielen. Grundlage dieser Maßnahmen bildet die Annahme, dass ein krankheitsbegünstigender Lebensstil durch Lernprozesse veränderbar ist.

Wesentliche Aspekte von einem Curriculum Herzinsuffizienz müssen sein:

  • Herzinsuffizienzursachen und Symptome
  • Begründung, Dosierung, Wirkung und Nebenwirkung von Medikamenten
  • Bedeutung der Therapietreue, Prognose
  • Gewichtsmonitoring, Wasserhaushalt
  • Ernährung, Alkohol
  • Herz-Kreislauf-Risikofaktoren (Hypertonie, Diabetes, Übergewicht, Bewegungsmangel, Rauchen)
  • Arbeit und Alltag
  • Reisen und Freizeit
  • Impfungen
  • Sexualität
  • Schlafbezogene Atemstörungen
  • Psychokardiologische Aspekte

In einer Studie mit HI-Patienten konnte zudem nachgewiesen werden, dass ein hohes Interesse an spezifischer Schulung besteht (6, 10) (Grafik).

Subjektives Schulungsbedürfnis/Informationsbedürfnis (n = 106) zur Erkrankung Herzinsuffizienz (6, 10)
Grafik
Subjektives Schulungsbedürfnis/Informationsbedürfnis (n = 106) zur Erkrankung Herzinsuffizienz (6, 10)

Regelmäßiges Training

Deutlich über die Hälfte des gesamten Therapieangebotes einer kardiologischen Rehabilitationsklinik besteht aus einem multimodalen ausdauerorientierten und muskulären Training. Dabei muss die Trainingsherzfrequenz für jeden Patienten individuell festgelegt und im Verlauf angepasst werden. Bewegung ist Leben, das konnte in großen Forschungsprojekten nachgewiesen werden (Klasse Ia-Empfehlung der European Society of Cardiology). Weitere Ziele sind die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit (muskulär inklusive Lungenfunktion) und der Lebensqualität.

Fallbeispiel

Ein 46-jähriger Patient hat als Folge einer Myokarditis eine schwer eingeschränkte Herzpumpfunktion (EF 30 %). Mit einer Schwerbehinderung von 80 % ist er erwerbsunfähig. 2013 wird ein Defibrillator implantiert; es besteht keine Anbindung an eine Herzinsuffizienzambulanz. Im November 2015 erfolgt wegen einer Vorhofrhythmusstörung eine Hochfrequenzablation. Danach wird er erstmals zur Rehabilitation angemeldet – mit einem Blutdruck von 103/70 mmHg und 85 kg Körpergewicht bei einer Größe von 178 cm. Der Patient ist körperlich inaktiv und kennt weder die verordneten Medikamente noch deren Wirkungen und Nebenwirkungen. Die Stimmungslage ist leicht- bis mittelgradige depessiv.

Nach der Eingangsuntersuchung und der Routinediagnostik werden gemeinsam folgende Reha-Module geplant:

  • Bewegungstherapie
  • Muskelaufbautraining
  • HI-Patientenschulung
  • Ernährungsberatung
  • psychokardiologische Einzelgesprächen
  • Entspannungstherapie.

Begleitend werden Schulungs- und Informationsmaterialien ausgegeben. Innerhalb von vier Wochen wird die medikamentöse Therapie optimiert und – in Abstimmung mit dem multidisziplinären Rehabilitationsteam – eine Strategie für die Zeit nach der Reha entwickelt.

Weitergehende Nachsorgekonzepte

Für viele Herzpatienten bietet sich im Anschluss an einen Rehabilitationsaufenthalt die Einbindung in das Programm einer der 6 000 ambulanten Herzgruppen in Deutschland an. Vereinzelt haben sich auch schon Herzinsuffizienz-Selbsthilfegruppen gegründet. Diese gibt es aber nicht vielerorts.

Seit einigen Jahren entwickeln sich Schulungs- und Nachsorgemodelle mit dem sogenannten Telemonitoring. Generell gibt es zwei Angebotsformen: Eine Möglichkeit ist die Einbindung in ein strukturiertes Telefonmonitoring. Die andere Möglichkeit heißt Vitalparametermonitoring mit Hilfe von Messmodulen, die dem Patienten implantiert wurden und die regelmäßig Daten an ein Kontrollzentrum übertragen. Wesentliche Aufgabe des Telemonitorings besteht darin, Patienten mit chronischen Erkrankungen zwischen zwei stationären beziehungsweise ambulanten Arzt-Patienten-Kontakten oder im häuslichen Umfeld besser zu überwachen.

Beide Formen des Monitorings sollten also sinnvollerweise über einen längeren Zeitraum erfolgen. Dieses häufige Erheben von Befunden soll die Einschätzung des Gesundheitszustands des Patienten verbessern, so dass der behandelnde Arzt eine Verschlechterung der Erkrankung frühzeitig erkennt, diese durch gezielte Maßnahmen rechtzeitig behandelt und damit eine stationäre Einweisung vermeiden hilft. Eine weitere günstige Auswirkung ist eine größere Therapietreue der verordneten Medikamente.

Aber auch diese Nachsorgeangebote sind – genauso wie die Möglichkeiten der Rehabilitation – bei Weitem nicht ausreichend genutzt!

DOI: 10.3238/PersKardio.2016.10.14.06

Dr. med. Rainer Schubmann

Abteilung Kardiologie und Psychokardiologie,

Dr. Becker Klinik Möhnesee, Möhnesee

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit4116

1.
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie: Leitlinie für die Diagnose und Behandlung der akuten und chronischen Herzinsuffizienz. http://leitlinien.dgk.org/2013/pocket-leitlinie-herzinsuffizienz-update-2012/ (last accessed on 21. September 2016).
2.
Deutsche Rentenversicherung Bund: Gesundheitstraining in der medizinischen Rehabilitation: Curriculum Herzinsuffizienz. Standardisierte Patientenschulung der Deutschen Rentenversicherung Bund, 2013. http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/3_Infos_fuer_Experten/01_sozialmedizin_forschung/downloads/konzepte_systemfragen/gesundheitstraining/kardiologie_herzinsuffizienz.html (last accessed on 21. September 2016).
3.
Gonska B-D, Vetter H (Hrsg.): Schwerpunkt Herzinsuffizienz. Herzmedizin 2014; 31.
4.
Meng K, Musekamp G, Schuler M, et al.: The impact of a self-management patient education program for patients with chronic heart failure undergoing inpatient cardiac rehabilitation. Patient Educ Couns 2016. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26898600 (last accessed on 21. September 2016) CrossRef MEDLINE
5.
Meng K, Musekamp G, Schuler M, et al.: Evaluation of a self-management patient education program for patients with chronic heart failure undergoing inpatient cardiac rehabilitation: study protocol of a cluster randomized controlled trial. BMC Cardiovascular Disorders 2013. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23968340 (last accessed on 21. September 2016) CrossRef MEDLINE PubMed Central
6.
Meng K, Schubmann R, Hohoff M, Vogel H: Schulungsbedürfnis von Patienten mit Herzinsuffizienz in der medizinischen Anschlussrehabilitation. Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation 2009; 83: 67–77.
7.
Müller-Werdan U, Werdan K: Chronische Herzinsuffizienz. Die Zahl der Patienten steigt, aber auch die differenzierter Therapien. Dtsch Ärztebl 2016; 113 (25) VOLLTEXT
8.
Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische Herzinsuffizienz, aktualisiert August 2013. http://www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/herzinsuffizienz/herzinsuffizienz-1aufl-vers7-lang.pdf (last accessed on 21. September 2016).
9.
Reibis RK, Schlitt A, Glatz J, et al.: Rehabilitation bei Herzinsuffizienz. Rehabilitation 2016; 55: 115–129 CrossRef MEDLINE
10.
Schubmann R, Hohoff M: Patientenschulung bei Herzinsuffizienz – Kurrikulum zur kardiologischen Rehabilitation. Cardio Vasc 2011; 2: 56–57.
Subjektives Schulungsbedürfnis/Informationsbedürfnis (n = 106) zur Erkrankung Herzinsuffizienz (6, 10)
Grafik
Subjektives Schulungsbedürfnis/Informationsbedürfnis (n = 106) zur Erkrankung Herzinsuffizienz (6, 10)
1.Deutsche Gesellschaft für Kardiologie: Leitlinie für die Diagnose und Behandlung der akuten und chronischen Herzinsuffizienz. http://leitlinien.dgk.org/2013/pocket-leitlinie-herzinsuffizienz-update-2012/ (last accessed on 21. September 2016).
2.Deutsche Rentenversicherung Bund: Gesundheitstraining in der medizinischen Rehabilitation: Curriculum Herzinsuffizienz. Standardisierte Patientenschulung der Deutschen Rentenversicherung Bund, 2013. http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/3_Infos_fuer_Experten/01_sozialmedizin_forschung/downloads/konzepte_systemfragen/gesundheitstraining/kardiologie_herzinsuffizienz.html (last accessed on 21. September 2016).
3.Gonska B-D, Vetter H (Hrsg.): Schwerpunkt Herzinsuffizienz. Herzmedizin 2014; 31.
4.Meng K, Musekamp G, Schuler M, et al.: The impact of a self-management patient education program for patients with chronic heart failure undergoing inpatient cardiac rehabilitation. Patient Educ Couns 2016. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26898600 (last accessed on 21. September 2016) CrossRef MEDLINE
5.Meng K, Musekamp G, Schuler M, et al.: Evaluation of a self-management patient education program for patients with chronic heart failure undergoing inpatient cardiac rehabilitation: study protocol of a cluster randomized controlled trial. BMC Cardiovascular Disorders 2013. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23968340 (last accessed on 21. September 2016) CrossRef MEDLINE PubMed Central
6.Meng K, Schubmann R, Hohoff M, Vogel H: Schulungsbedürfnis von Patienten mit Herzinsuffizienz in der medizinischen Anschlussrehabilitation. Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation 2009; 83: 67–77.
7.Müller-Werdan U, Werdan K: Chronische Herzinsuffizienz. Die Zahl der Patienten steigt, aber auch die differenzierter Therapien. Dtsch Ärztebl 2016; 113 (25) VOLLTEXT
8.Nationale VersorgungsLeitlinie Chronische Herzinsuffizienz, aktualisiert August 2013. http://www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/herzinsuffizienz/herzinsuffizienz-1aufl-vers7-lang.pdf (last accessed on 21. September 2016).
9.Reibis RK, Schlitt A, Glatz J, et al.: Rehabilitation bei Herzinsuffizienz. Rehabilitation 2016; 55: 115–129 CrossRef MEDLINE
10.Schubmann R, Hohoff M: Patientenschulung bei Herzinsuffizienz – Kurrikulum zur kardiologischen Rehabilitation. Cardio Vasc 2011; 2: 56–57.

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