ArchivDeutsches Ärzteblatt41/2016Maschinelle Beatmung: Ulkusprophylaxe und Chlorhexidinspülungen sind eher unvorteilhaft

MEDIZINREPORT: Studien im Fokus

Maschinelle Beatmung: Ulkusprophylaxe und Chlorhexidinspülungen sind eher unvorteilhaft

Siegmund-Schultze, Nicola

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Circa 370 000 Patienten wurden in Deutschland im Jahr 2010 maschinell beatmet (1). Um beatmungsassoziierten Pneumonien vorzubeugen und die Dauer der maschinellen Beatmung und des Klinikaufenthaltes auf das medizinisch Notwendige zu begrenzen, wird ein Bündel von Maßnahmen empfohlen. In einer Kohortenstudie haben US-amerikanische Ärzte jene Komponenten auf ihren Nutzen untersucht, für die es bislang inkonsistente Daten gab (2).

Von 5 539 konsekutiven Patienten, die für mindestens 3 Tage maschinell beatmet waren, wurden Effekte der Lagerung (Anhebung des Bettkopfendes um > 30°), Unterbrechung der Sedierung, Versuche zu Spontanatmung, Thrombose- und Stressulkusprophylaxe und Spülungen der Mundhöhle mit Chlorhexidin analysiert.

Regelmäßige Unterbrechungen der Sedierung waren mit einer signifikant verkürzten Intubationszeit assoziiert (Hazard Ratio [HR] für Extubation: 1,81; 95-%-Konfidenzintervall [KI]: 1,54–2,12; p < 0,001) und einer um 49 % verminderten Sterblichkeit (HR für Tod: 0,51; 95-%-KI: 0,38–0,68; p < 0,001). Versuche der Spontanatmung korrelierten mit einer um 2,48 erhöhten Wahrscheinlichkeit für Extubationen und um 72 % reduzierten Sterblichkeit (HR: 0,28; 95-%-KI: 0,20– 0,38; p = 0,001), außerdem sank das Risiko für ventilatorassoziierte unerwünschte Effekte um 45 %. Hebung des Bettkopfendes war mit einer um 1,38 verringerten Zeit bis zur Extubation assoziert (95-%-KI: 1,14– 1,68; p = 0,001). Bei Thromboseprophylaxe betrug der Faktor 2,57 (95-%-KI: 1,80–3,66; p < 0,001), diese hatte aber keinen Einfluss auf die Sterblichkeit. Tägliche Mundspülungen waren ungünstig: Sie erhöhten die HR für den Tod während Beatmung auf 1,63 (95-%-KI: 1,15–2,31; p = 0,006), möglicherweise wegen Aspiration von Spüllösung. Bei Stressulkusprophylaxe wurden mehr beatmungsassoziierte Pneumonien festgestellt (HR: 7,69; 95-%-KI: 1,44–41,10; p = 0,02) aber kein Einfluss auf die Sterblichkeit.

Fazit: Bei der Beatmung wirken sich Anhebung des Bettkopfendes, Unterbrechung der Sedierung, Spontanatmungsversuche und Thromboseprophylaxe positiv auf das Gesamtergebnis aus. Tägliche Mundspülungen mit Chlorhexidin und Stressulkusprophylaxe haben ungünstige Effekte. Die Ulkusprophylaxe sollte Patienten mit erhöhten Risiken für gastrointestinale Blutungen vorbehalten bleiben.

„Künstlicher Luftweg und mechanische Beatmung sind – so sehr sie zum Überlebensvorteil kritisch Kranker beitragen – per se geeignet, ,Kollateralschädenʻ hervorzurufen“, kommentiert Prof. Dr. med. Thomas Bein, Klinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums Regensburg. „Um die ,benefit/harm-Ratioʻ auszubalancieren, sind begleitende Maßnahmen zur Reduktion ungünstiger Effekte der Beatmung propagiert worden. Das Verdienst dieser Studie ist es, ein solches Maßnahmenbündel anhand einer großen, wenngleich retrospektiv-monozentrischen Analyse zu ,entmystifizierenʻ. Wichtigste Botschaft: Alle Maßnahmen, die die Dauer der Beatmung verkürzen wie adaptierte und kontrollierte Sedierung und frühe Spontanatmungsversuche, tragen zu einer besseren Prognose bei, während andere, vermeintlich sinnvolle Interventionen keinen Benefit haben oder gar schaden. Um die hochkomplexe Intensivmedizin transparenter zu machen, muss auf diese Weise im Sinne evidenzbasierter Medizin weitergearbeitet werden.“

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

  1. Biermann A, Geissler A: Beatmungsfälle und Beatmungsdauer in deutschen Krankenhäusern. TU Berlin 2013
  2. Klompas M, Li L, Kleinmann K, et al.: Associations between ventilator bundle components and outcomes. JAMA Intern Med 2016; 176: 1277–83
Themen:

Fachgebiet

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote