ArchivDeutsches Ärzteblatt47/2016Respiratorisches Synzytial-Virus: Prophylaxe sollte gemäß der Leitlinie erfolgen

MEDIZINREPORT

Respiratorisches Synzytial-Virus: Prophylaxe sollte gemäß der Leitlinie erfolgen

Forster, Johannes; Liese, Johannes; Herting, Egbert; Rose, Markus; Hager, Alfred

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Antikörper Palivizumab: Pädiatrische Fachgesellschaften nehmen Stellung zum Einsatz bei Risikogruppen und in der Umgebungsprophylaxe.

Elektronenmikroskopische Aufnahme eines respiratorischen Synzytial-Virus (RSV). Foto: open source
Elektronenmikroskopische Aufnahme eines respiratorischen Synzytial-Virus (RSV). Foto: open source

Schwere Erkrankungen, verursacht durch das respiratorische Synzytial-Virus (RSV), sind ein erhebliches bevölkerungsmedizinisches Problem und betreffen vor allem das frühe Kindesalter. Zur Prävention mittels Palivizumab existiert eine im Konsens erstellte AWMF-S2k-Leitlinie, die 2012 aktualisiert wurde und für die die pädiatrischen Fachgesellschaften DGPI, GNPI, GPP und DPGK verantwortlich zeichnen (1). Der im Heft 37 des Deutschen Ärzteblatts erschienene Artikel „Respiratorisches Synzytial-Virus: Prophylaxe nicht zu früh einsetzen“ von Adams (2) diskutiert eine Erweiterung der Empfehlungen. Im Folgenden soll aus Sicht der für die AWMF-Leitlinie verantwortlichen pädiatrischen Fachgesellschaft hierzu Stellung genommen werden.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die im Artikel von Adams publizierten Empfehlungen der Kommission „Antivirale Therapie“ der Gesellschaft für Virologie (GfV), der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) und der Paul-Ehrlich-Gesellschaft (PEG) nicht in Übereinstimmung mit der DGPI und ohne Einbeziehung einer der weiteren Fachgesellschaften erstellt wurden, die für die AWMF-Leitlinie verantwortlich sind.

Die Autoren dieses Artikels begrüßen ausdrücklich den Einsatz der virologisch-epidemiologischen Daten des RespVir-Netzwerks (3) zur besseren Bestimmung des jährlichen Beginns der RSV-Prophylaxe mittels Palivizumab bei Risikokindern (1, 3). Die berichteten Ergebnisse beruhen auf einer Sammlung von Daten aus 20 (jetzt bis zu 66) virologischen Labors in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden (3) und erscheinen mithin insgesamt repräsentativ. Gleichwohl sind regionale Schwankungen zu berücksichtigen, insbesondere was den Beginn der RSV-Saison betrifft.

Da die Daten aus dem RespVir-Netzwerk zeigen, dass nur ein kleiner Teil der RSV-Infektionen im Oktober und November auftreten, sollte die RSV-Prophylaxe in der Regel nicht vor Anfang und bis Mitte November beginnen, damit bei fünf monatlichen Gaben auch noch für die epidemiologisch relevanten Monate März bis April ein ausreichender Schutz gewährleistet ist. Bei diesem Vorgehen halten die unterzeichnenden Fachgesellschaften eine von Adams zusätzlich geforderte sechste Dosis Palivizumab für nicht erforderlich: Nach wie vor fehlen Daten, die die Effektivität und den Nutzen weiterer Dosen ausreichend belegen würden.

Hoher Aufwand und Kosten

Die hohen Kosten des monoklonalen Antikörpers Palivizumab und der hohe Aufwand von fünf intramuskulären Injektionen für sehr kleine Kinder erfordern eine ausgewogene, differenzierte und risikofaktorbasierte Indikationsstellung, wie sie in der derzeit geltenden AWMF-Leitlinie (1) ausführlich begründet und angegeben ist.

Adams (2) beklagt einerseits eine undifferenzierte Indikationsstellung, andererseits wird die differenzierte Einteilung der Kinder in solche mit hohem Risiko und Kinder mit mittlerem Risiko aus den Leitlinien im Kasten „Indikationen“ auf eine Indikation simplifiziert. Ein Blick in die AWMF-Leitlinie hilft, die Kinder dezidiert nach dem Ausmaß ihres Risikos einzuteilen. Anschließend kann entschieden werden, ob das jeweilige Kind die Prophylaxe erhalten soll (klare Empfehlung) oder erhalten kann (individuelle Entscheidung des behandelnden Kinderarztes).

Im Beitrag von Adams (2) fehlen im Kasten „Indikationen“ vor allem die Kinder, welche mit einem besonders hohen Risiko für eine schwere RSV-Erkrankung behaftet sind. Das Fehlen dieser Risikogruppe ist problematisch, da es sich ja gemäß der AWMF-Leitlinie bei dieser Gruppe gerade um diejenigen Kinder handelt, die unbedingt die „Prophylaxe erhalten sollen“:

  • Kinder im Alter von ≤ 24 Lebensmonaten zum Beginn der RSV-Saison, die wegen mittelschwerer oder schwerer bronchopulmonaler Dysplasie/chronischer Lungenerkrankung (Bedarf der O2-Supplementation und/oder CPAP/Beatmung im Alter von 36 Wochen post menstruationem) bis wenigstens 6 Monate vor Beginn der RSV-Saison mit Sauerstoff behandelt wurden.
  • Kinder im Alter von ≤ 12 Lebensmonaten mit zum Beginn der RSV-Saison hämodynamisch relevanter Herzerkrankung (vor allem operations- bzw. interventionsbedürftige Herzfehler mit pulmonalarterieller Hypertonie, pulmonalvenöser Stauung oder Zyanose sowie bei schwerer Herzinsuffizienz unter medikamentöser Therapie).

Im Kasten „Indikationen“ in Heft 37 werden lediglich die Kinder mit mittlerem Risiko für eine schwere RSV-Erkrankung erwähnt, die gemäß der AWMF-Leitlinie eine „Prophylaxe erhalten können“, und solche, bei denen aus individuellen Gründen die Prophylaxe erwogen werden kann.

Indikationserweiterungen

Die von Adams (2) diskutierten Indikationserweiterungen für die RSV-Prophylaxe mit Palivizumab werden nur sehr kurz, in der zugrunde liegenden Stellungnahme (4) aber ausführlicher dargestellt und bedürfen eines Kommentars:

1) Die „Erweiterung der Indikation über die Einschlusskriterien der Zulassungsstudien hinaus“: Hierfür wird eine japanische zweischrittige retrospektive Erhebung angeführt (5), die ein erhöhtes Hospitalisierungsrisiko für verschiedene Grunderkrankungen postuliert, allerdings ohne verfügbare Angaben eines Nenners.

Dass Kinder mit bestimmten Grunderkrankungen (wie neuromuskuläre Erkrankung, Trisomie 21, Zwerchfellhernie) an schwer verlaufenden RSV-Infektionen erkranken oder eine Verschlechterung vor allem einer (pulmonalen) Grunderkrankung erleben können, ist in der gegenwärtigen AWMF-LL bereits berücksichtigt. Hier werden vor allem Säuglinge ≤ 12 Monaten, bei denen eine schwere Beeinträchtigung der respiratorischen Kapazität (z. B. anhaltender O2-Bedarf bei chronischer Lungenerkrankung) besteht, zum Beginn der RSV-Saison als mögliche Indikationsgruppe definiert.

Die entsprechende Kann-Indikation wurde ausdrücklich dem behandelnden Arzt überlassen, da dieser die Schwere der Grundkrankheit am besten einschätzen kann. Eine Empfehlung für eine darüber hinaus weitergehende Prophylaxe kann angesichts der begrenzten Datenlage und fehlenden Wirksamkeitsdaten derzeit nicht gegeben werden.

2) Auch der Verwendung von Palivizumab zur Bekämpfung nosokomialer Hospitalepidemien auf Frühgeborenenstationen kann ausdrücklich nicht zugestimmt werden. Für diese Indikation werden von Adams (2) einzelne Fallberichte zitiert (711), jedoch keine kontrollierte Studie, die die Wirksamkeit einer solchen aufwendigen und teuren Maßnahme belegen würde. In den berichteten Ausbrüchen wurden zwar entsprechende hygienische Maßnahmen (z. B. Kohortierung und getrennte Pflege) ergriffen; es bleibt allerdings unklar, inwieweit die Gabe von Palivizumab darüber hinaus die nosokomiale Ausbreitung der RSV-Infektionen auf weitere Patienten verhindern konnte. Daher fehlt die wissenschaftliche Grundlage für eine allgemeine Empfehlung zur Indikation für eine Umgebungsprophylaxe mit Palivizumab im Rahmen nosokomialer Ausbrüche.

Es muss betont werden, dass immer zuerst die erwiesenermaßen wirksamen Hygienemaßnahmen (betreffend Personal und Besucher sowie Patientenkohortierung) einzuhalten und durchzuführen sind.

RSV-Erkrankungen sind einer der häufigsten Gründe für Hospitalisationen im Säuglings- und Kleinkindalter und können mit erheblichen Komplikationen einhergehen. Eine Diskussion zur RSV-Prophylaxe ist begrüßenswert, alle interessierten Fachgesellschaften sind daher aufgefordert, an der Erstellung der nächsten Fassung der AWMF-Leitlinie mitzuarbeiten.

Prof. Dr. Johannes Forster, Freiburg (DGPI)

Prof. Dr. Johannes Liese, Würzburg (DGPI)

Prof. Dr. Egbert Herting, Lübeck (GNPI)

Prof. Dr. Markus Rose, Leipzig (GPP)

Prof. Dr. Alfred Hager, München (DGPK)

Die Autoren sind Beauftragte ihrer Fachgesellschaften für die 2012 erstellte S2k-AWMF-Leitlinie zur Prophylaxe von schweren RSV-Erkrankungen bei Risikokindern (1).

@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit4716
oder über QR-Code.

1.
AWMF: Leitlinie zur Prophylaxe von schweren Erkrankungen durch Respiratory Syncytial Virus (RSV) bei Risikokindern. http://d.aerzteblatt.de/YN97 (last accessed on 3 November 2016).
2.
Adams O: Respiratorisches Synzytial-Virus: Prophylaxe nicht zu früh einsetzen. Dtsch Arztebl 2016; 113 (37): A-1600 / B-1350 / C-1326 VOLLTEXT
3.
RespVir, Netzwerk für respiratorische Viren und Bakterien. http://rvdev.medical-dpc.com/inhalte/respiratorische-viren-netzwerk.html (last accessed on 3 November 2016).
4.
Gesellschaft für Virologie e. V.: Stellungnahmen. Stellungnahme zum Einsatz von Palivizumab in der Prophylaxe und Therapie von RSV-Infektionen bei Risikopatienten. http://www.g-f-v.org/stellungnahmen_detail (last accessed on 3 November 2016).
5.
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6.
Liao RS, Tomalty LL, Majury A, Zoutman DE: Comparison of viral isolation and multiplex real-time reverse transcription-PCR for confirmation of respiratory syncytial virus and influenza virus detection by antigen immunoassays. J Clin Microbiol 2009; 47 (3): 527–32 CrossRef MEDLINE PubMed Central
7.
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virus infection in a special care baby unit. J Hosp Infect 2001; 48 (3): 186–92 CrossRef MEDLINE
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10.
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11.
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1.AWMF: Leitlinie zur Prophylaxe von schweren Erkrankungen durch Respiratory Syncytial Virus (RSV) bei Risikokindern. http://d.aerzteblatt.de/YN97 (last accessed on 3 November 2016).
2.Adams O: Respiratorisches Synzytial-Virus: Prophylaxe nicht zu früh einsetzen. Dtsch Arztebl 2016; 113 (37): A-1600 / B-1350 / C-1326 VOLLTEXT
3.RespVir, Netzwerk für respiratorische Viren und Bakterien. http://rvdev.medical-dpc.com/inhalte/respiratorische-viren-netzwerk.html (last accessed on 3 November 2016).
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5. Mori M, Kawashima H, Nakamura H, et al.: Nationwide survey of severe respiratory syncytial virus infection in children who do not meet indications for palivizumab in Japan. J Infect Chemother 2011; 17: 254–63 CrossRef MEDLINE
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10. Dizdar EA, Aydemir C, Erdeve O, et al.: Respiratory syncytial virus outbreak defined by rapid screening in a neonatal intensive care unit. J Hosp Infect 2010; 75: 292–4 CrossRef MEDLINE
11. O’Connell K, Boo TW, Keady D, et al.: Use of palivizumab and infection control measures to control an outbreak of respiratory syncytial virus in a neonatal intensive care unit confirmed by real-time polymerase chain reaction. J Hosp Infect 2011; 77: 338–42 CrossRef MEDLINE

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