MEDIZINREPORT
Schäden am Erbgut: DNA-Reparatur ist lebenswichtig, bei Krebszellen aber unerwünscht
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Für die unterschiedlichen Arten von DNA-Schäden existieren spezialisierte Reparaturmechanismen. Die wollen Mediziner jetzt nutzen.
Die Desoxyribonukleinsäure ist chemisch ziemlich stabil und hat sich vermutlich auch deshalb als Träger des Gencodes durchgesetzt. Über Tausende von Zellteilungsgenerationen wird die genetische Information korrekt abgebildet. Dennoch ist auch solch ein Molekül anfällig für Schäden. Diese müssen zwingend behoben werden, denn sonst drohen fehlerhafte Basenpaarungen – Mutationen – die chronisch krank machen können oder sogar tödlich sind. Es gibt zahlreiche Erkrankungen, deren Ätiologie so lange ungeklärt blieb, bis man verstand, wie die DNA-Reparatur funktioniert und wie die Defekte sich auswirken.
Uracil gehört nicht in die DNA
Die Onkologie versucht inzwischen Malignome dadurch zu bezwingen, dass sie solche Reparaturmechanismen lahmlegt. Der Tumor kann dann den DNA-Schaden nach der Chemotherapie nicht mehr beheben. Drei Biochemiker, Tomas Lindahl, Paul Modrich und Aziz Sancar, erforschten über Jahrzehnte, wie Zellen die DNA-Einzelstrang-Reparatur bewerkstelligen. 2015 ging der Chemienobelpreis nicht zuletzt deshalb an diese Laureaten, weil ihre Grundlagenforschung für die Medizin so bedeutend war.
So verliert etwa Cytosin nicht selten eine Aminogruppe, dann findet sich plötzlich Uracil in der DNA – wo es nicht hingehört. Denn Uracil paart sich mit Adenin statt mit Guanin, dem eigentlichen Partner von Cytosin. Schon früh sagte Lindahl für diese Ursache von Mutationen einen Reparaturmechanismus voraus. 1974 berichtete er von seiner Entdeckung der Uracil-DNA-Glykosylase (UNG), einem Enzym, das deplatziertes Uracil aus dem DNA-Strang herausschneiden kann (Grafik). Damit beschrieb er erstmals die bis dahin unbekannte Basenexzisionsreparatur (BER).
Seit Lindahls bahnbrechender Entdeckung sind neben der UNG eine Reihe weiterer DNA-Glykosylasen gefunden worden, die zielgerichtet veränderte Basen ausschneiden. Aufgrund dieser Enzymvielfalt ist BER einer der bedeutendsten, vielseitigsten und evolutionär ältesten DNA-Reparaturmechanismen.
Vor der Zellteilung muss die Erbinformation verdoppelt werden, beim Menschen sind das 3,3 Milliarden Basenpaare. Etwa 2 unter einer Million Basenpaare sind falsch in der neusynthetisierten DNA – sie passen nicht zum Gegenüber, es gibt ein DNA-Mismatch, das soschnell wie möglich repariert werden muss. Sonst „erben“ die Tochterzellen den Fehler. Aber woher wissen Reparaturenzyme, welche Base die richtige, welche die falsche ist und wie funktionieren sie?
Der Landarzt und die DNA
Paul Modrich prüfte Anfang der 1980er Jahre mit Kollegen, ob es hierfür Marker gibt. Tatsächlich reparieren die Enzyme nur DNA ohne Methylgruppen und genau die liegen im frisch synthetisierten Strang noch nicht vor. Es gelang ihm 1989, die beteiligten Enzyme zu identifizieren und den Mismatch-Repair (MMR) komplett außerhalb der lebenden Zelle nachzustellen.
Ein dritter Reparaturmechanismus, die Nukleotidexzisionsreparatur (NER), verdankt ihre Aufklärung Aziz Sancar, der in den 1970er Jahren als türkischer Landarzt nach Texas kam, um Molekularbiologie zu studieren. In seiner Doktorarbeit ging es um das Enzym Photolyase, das beispielsweise die Strahlungsschäden nach UV-Einwirkung mindert. Zunächst stieß er auf Desinteresse, erhielt keine Forschungsmöglichkeiten und musste in Yale eine Stelle als Techniker annehmen, um weiter an der DNA-Reparatur arbeiten zu können.
DNA-Teilstücke komplett neu
Sancar rekonstruierte, wie die an NER beteiligten Enzyme arbeiten. UV-Strahlung lässt DNA-Basen chemisch miteinander reagieren, es entstehen Dimere. Hier genügt die Entfernung eines einzigen Basenpaares nicht. Die von Sancar identifizierten Enzyme schneiden ganze Teilstücke der Doppelhelix heraus. Zusätzlich entfernen sie einige korrekte Basenpaare oberhalb und unterhalb der verletzten Region, danach wird das Teilstück wiederhergestellt, denn das nicht beschädigte Gegenstück des Doppelstrangs blieb erhalten. Sancar erforscht derzeit, wie DNA-Reparatur und zirkadiane Rhythmen zusammenhängen.
Was geschieht, wenn die Reparatur nicht mehr funktioniert, ist bei Bakterien einfach zu messen: Die Mutationsrate steigt und sie überleben nicht lange. Fallen beim Menschen die Kontrollsysteme aus, geht dies mit zum Teil höchst komplexen Krankheitsbildern einher. Fehlfunktionen der NER zum Beispiel verursachen drei seltene, aber schwere Erbkrankheiten: Xeroderma pigmentosum (XP), Cockayne-Syndrom (CS), und Trichothiodystrophie (TTD). Zurzeit werden mehr als 40 Gene mit der NER in Verbindung gebracht, entsprechend viele Syndrome werden von Mutationen in diesen Genen verursacht.
Xeroderma pigmentosum ist hauptsächlich eine Hautkrankheit, die sonnenexponierten Hautpartien sind atrophisch und weisen Pigmentierungsstörungen auf. Hautkrebs ist die häufigste Todesursache, für diese Patienten beträgt die Wahrscheinlichkeit, älter als 20 Jahre alt zu werden, nur 40 %. Glücklicherweise kann UV-Schutz das Risiko nachhaltig verringern. Es können, abhängig vom Gendefekt auch neurologisch-degenerative Pathologien hinzukommen, so zum Beispiel, wenn die NER vollkommen funktionsunfähig ist.
Die klinischen Manifestationen von Cockayne-Syndrom hingegen könnten unterschiedlicher kaum sein. Hier kommt es während der ersten Lebensjahre zu dramatischen Wachstumsstörungen, gefolgt von einer Reihe typischer altersbedingter Pathologien. Beim Cockayne-Syndrom kann die NER-Funktion ebenfalls in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sein. Beim schwerwiegenden Typ ist es das Krankheitsbild eines Cerebro-Oculo-Facial-Syndroms (COFS), ungleich milder zeigt es sich als UV-Sensitivitätssyndrom (UVSS).
Welche Genmutationen in welcher Weise für diese Differenzierung verantwortlich ist, ist allerdings nicht verstanden. Die Trichothiodystrophie ist durch ähnliche Symptome wie eine Cockayne-Syndrom gekennzeichnet, hinzu kommen außerdem brüchige Haare und Nägel. Defekte in BER und MMR sind mit einer Prädisposition für maligne Erkrankungen oder andere Symptome, insbesondere neurodegenerative, verbunden. Der am besten erforschte MMR-Defekt ist das Lynch Syndrom (LS), die Malignominzidenz ist bei den Patienten erhöht, sie sind vor allem gefährdet, vermehrt Kolonkarzinome zu entwickeln.
MMR- und BER-Reparaturmechanismen schützen jedoch auch vor neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Huntington und Myotonischer Dystrophie 1. Inwieweit dies auch für die Alzheimerdemenz gilt, ist noch unklar; ähnlich ist es bei Autoimmunkrankheiten.
Viele Ansätze für die Klinik
Bisher existiert keine kurative Therapie für Reparaturdefekte, lediglich symptomatische Maßnahmen wie etwa UV-Schutz bei Xeroderma Pigmentosum. Es gibt allerdings vielfältige Ansätze, diese Mechanismen künftig zu nutzen. So stellte Sancar fest, dass die NER-Aktivität vom zirkadianen Rhythmus, der „inneren Uhr“, abhängt.
Die aktuellen Chemotherapien berücksichtigen dies noch nicht, allerdings könnte die Behandlung zum Zeitpunkt der niedrigsten NER-Aktivität der Tumorzellen vorgenommen werden. Bevor dies gelingt – um den Tumor maximal zu schaden bei minimalen Nebenwirkungen für das gesunde Gewebe –, müssen die Abhängigkeiten von zirkadianen Rhythmen allerdings noch genauer erforscht werden.
Ein weiteres Beispiel zeigt den Einfluss der MMR auf die immer häufiger eingesetzten Immuntherapien. Einige Krebszellen können T-Zellen überlisten. Dieser Mechanismus ist von der physikalischen Interaktion zwischen einem T-Zell-Rezeptor (PD-1) und einem Liganden der Krebszelle (PDL-1) abhängig. Blockiert ein Antikörper den PD-1-Rezeptor, stört dies die Immunevasion. Das gelingt umso effektiver, je mehr bei den Tumorzellen der MMR-Mechanismus gestört ist. So kann die Behandlung für jeden Patienten abhängig vom Status der DNA-Reparaturfunktion der Krebszellen stärker personalisiert werden. Auch die BRCA1- und BRCA2-Gene spielen bei der DNA-Reparatur eine wichtige Rolle. Sind die von diesen Genen kodierten Proteine nicht aktiv – was bei vielen Frauen mit Mammakarzinomen oder mit Eierstockkrebs der Fall ist –, dann hat zum einen die genetische Variante und Reparaturfunktionsstörung zur Entstehung der Tumore beigetragen. Gleichzeitig lässt sich diese Veranlagung jedoch für die Therapie mit sogenannten PARP-Inhibitoren nutzen: Denn speziell Krebszellen können nun therapieinduzierte DNA-Schäden nicht mehr neutralisieren, weil ihnen die Reparaturenzyme fehlen.
Die Arbeiten für diese Nobelpreise sind vor mehr als 25 Jahren veröffentlicht worden. Die Auszeichnungen machen einmal mehr deutlich, dass häufig die Bedeutung der Grundlagenforschung erst im Rückblick offensichtlich wird und noch lange positive praktische Anwendungen hervorbringen kann.
Ashley B. Williams, Prof. Dr. rer. nat. Björn Schumacher
Institut für Genomstabilität in Alterung und Erkrankung, Cologne Cluster of Excellence in Cellular Stress Responses in Aging-associated Diseases (CECAD) und Zentrum für Molekulare Medizin (ZMMK), Universität zu Köln
Interessenkonflikt: Autor Schumacher erhält Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, den European Research Council Marie Curie, die German-Israeli Foundation, die Deutsche Krebshilfe und das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
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