PRAXISMANAGEMENT
Hygiene: Guter Rat ist nicht immer teuer


Hygienemängel sind vermeidbar. Inzwischen gibt es zahlreiche Praxisleitfäden und Empfehlungen, die die immer höher werdenden Anforderungen bewältigen helfen.
Ein Medizinthriller „Keimzeit“ wird soeben gedreht, das Suchwort „Hygieneskandal“ ergoogelt auf Anhieb knapp 9 000 Einträge. Die ersten Treffer handeln stets von Hygienemängeln medizinischer Einrichtungen. Die Öffentlichkeit ist infolge zahlreicher Medienberichte alarmiert. So sehr, dass laut einer aktuellen Befragung repräsentativer Personen aus der Allgemeinbevölkerung nur noch 2,7 Prozent angeben, definitiv keine Angst vor Krankenhauskeimen zu haben (1).
Klinikkeime und Nagellack
Nicht nur deswegen steht derzeit das Hygienemanagement auf der Agenda von Kliniken und Praxen weit oben. Dreh- und Angelpunkt hierfür sind die regelmäßig aktualisierten Leitlinien der „Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention“ – KRINKO –, die am Robert Koch-Institut angesiedelt ist (2). Sie setzen die Standards zur Prävention nosokomialer Infektionen und für den Umgang mit Medizinprodukten. Sie geben Hinweise zu baulichen und organisatorischen Maßnahmen für eine bessere Hygiene, aber auch zu korrekter Kleidung – bis hin zur Länge der Fingernägel und der Verwendung von Nagellack. Die jüngste Publikation von gut 30 Seiten zur Händehygiene belegt, dass man selbst bei den Basics immer noch dazulernen kann (3).
Die Empfehlungen der KRINKO gelten nicht nur für Kliniken, sondern auch für Arztpraxen, Dialysezentren, Einrichtungen für ambulantes Operieren, Rehazentren und Pflegeheime. Für niedergelassene Ärzte hält zudem das Kompetenzzentrum Hygiene und Medizinprodukte der KVen und der KBV-Hygieneberater und eine Fülle von Informationen bereit: von Hygiene-Leitfäden über Fragebogentests, um den Hygienestatus der eigenen Praxis zu evaluieren, bis hin zu Videos über eine Begehung durch das Gesundheitsamt (4).
Hygiene für Anthroposophen
Das Kompetenzzentrum (CoC) mit Sitz bei der KV Baden-Württemberg adressiert auch Fachgruppen wie Psychotherapeuten, die man nicht auf Anhieb mit Hygieneproblemen assoziiert. Hier gibt es seit 2015 einen eigenen Hygieneleitfaden, etwa für den Umgang mit Krebspatienten oder für das Handling von Biofeedbackgeräten. Auch anthroposophische Praxen sind inzwischen aufgerufen, sich mit ihren spezifischen Hygieneanforderungen auseinanderzusetzen (5).
Der Service wird ständig aktualisiert. So ist etwa der Musterhygieneplan für Gastroenterologen unlängst um ein weiteres Aufbereitungsverfahren ergänzt worden. Endoskope geraten zunehmend in den Fokus der Hygieniker, seit von ihnen vermehrt Ausbrüche von MRE (multiresistenten Erregern) ausgegangen sind. Ihre Einstufung als lediglich „semikritisch B“ scheint manchen nicht mehr zeitgemäß (6).
Für niedergelassene Ärzte ist im Alltag der sachgerechte Umgang mit erkennbar infektiösen Erkrankungen entscheidend. Steht Mundschutz bereit, gibt es viruzide Desinfektionsmittel, muss das Stethoskop und was sonst noch desinfiziert werden? Hinzu kommt immer öfter die Frage, wie im ambulanten Sektor die Verbreitung von MRE-Problemkeimen zu minimieren ist. Experten betonen die Bedeutung einer offenen Informationspolitik, etwa gegenüber Praxen, die den Kranken ebenfalls betreuen. Ob sich der Patient überhaupt im Wartebereich aufhalten darf und eher am Ende des Tages einbestellt werden sollte, ist abhängig vom Streupotenzial und der Praxisorganisation zu beantworten (7).
Mangel an Hygienefachkräften
Unstrittig mangelhaft ist angesichts der vielfältigen Anforderungen auf dem Hygienesektor das personelle Angebot an Hygienefachkräften. Mindestens die doppelte Zahl an Krankenhaushygienikern würde hierzulande benötigt (8). Angesichts der Not bieten viele Firmen nicht nur Hygiene-Know-how, sondern auch Personal an. Externe Dienstleister werden nicht nur wegen mangelnder Einbindung in die Abläufe eines Hauses kritisiert. Auch juristisch sind sie nicht stets ein „voll beherrschbares Risiko“, so der juristische Fachausdruck. Während sonst bei Gesundheitsschäden der Patient den Fehler nachweisen muss, gelten Hygienemängel als vermeidbar. Hier muss die Klinik substanziiert dartun, dass die Hygienestandards befolgt wurden – eben auch vom externen Personal (9).
Das Krankenhausstrukturgesetz hat den Kliniken noch einmal Fristverlängerung gewährt. Statt nur bis Ende 2016 haben sie jetzt bis zum 31. Dezember 2019 Zeit, die personellen und organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen, die die KRINKO-Empfehlungen verlangen.
Martina Lenzen-Schulte
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0317
oder über QR-Code.
Weitere Informationen
Wo soll man Hygienefehler melden, wann Handschuhe verwenden? Hier gibt es Tipps.
Aus Hygienefehlern lernen
Probleme im Hygienesektor gefährden Patienten und Mitarbeiter aller Gesundheitsberufe. Sie sollten daher wie andere sicherheitsrelevante Ereignisse eigens gewürdigt werden. Fortan gibt es ein spezielles Hygiene-CIRS, ein critical incident reporting system für kritische Ereignisse, Beinaheschäden und Fehler, die für überregionales, interdisziplinäres oder interprofessionelles Lernen relevant erscheinen.
Das Hygiene-CIRS-Portal funktoniert wie andere CIRS-Meldesysteme anonym. Es wurde im Oktober 2016 vom Beratungszentrum für Hygiene (BZH) in Freiburg implementiert. Ärzte und Hygienefachkräfte können sich unter info@bzh-freiburg.de einloggen.
Links und Leitfäden
- www.hygiene-medizinprodukte.de/info-quellen/
- www.krankenhaushygiene.de/informationen/fachinformationen/
- www.hygiene-medizinprodukte.de/download/
Neue Handschuh-Studien
Das Universitätsklinikum Leipzig (UKL) hat Anfang des Jahres eine Studie zur Frage gestartet, ob gefürchtete Krankenhausinfektionen durch den Einsatz desinfizierender Waschhandschuhe verhindert werden können. Die Handschuhe werden mit dem Wirkstoff Octenidin getränkt und drei Jahre lang bundesweit auf 45 Intensivstationen getestet. Sie kommen beim Waschen von Schwerkranken zum Einsatz. Die Forscher erhoffen sich einen Schutz gegen multiresistente Darmkeime. http://www.aerzteblatt.de/n72289.
Um Handschuhe geht es auch in einer aktuellen systematischen Übersichtsarbeit. Immer wieder kommt die Frage auf, ob bei kleineren Eingriffen in Dermatologie oder Zahnmedizin Handschuhe steril sein müssen. Eindeutig ließ sich dies nach Auswertung von 14 Studien zwar nicht beantworten. Bei Eingriffen in „No-touch“-Technik wie Zahnextraktionen oder bei kleinen Wundverschlüssen genügen nicht sterile Handschuhe aber offenbar, ohne dass dem Patienten ein Nachteil erwächst. Für komplexe Eingriffe, bei denen womöglich palpiert werden muss, gilt dies indes nicht. JAMA Dermatology 2016; 152 (9): 1008–14. http://d.aerzteblatt.de/KZ99.
Save the date
- 15.–17. März 2017, Ulm: 2. Ulmer Symposium Krankenhausinfektionen, http://www.krankenhausinfektionen-ulmer-symposium.de/
- 3.–7. Oktober 2017, Bonn: Weltkongress der Word Federation for Hospital Sterilisation Sciences, http://www.wfhssbonn2017.com/
- 18.–20. Oktober 2017, Freiburg: Freiburger Infektiologie- und Hygienekongress, http://www.bzh-freiburg.de/Hygienekongress
Buchtipp für Fachkräfte
Weber LC: Reinigungsdienste und Hygiene in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Ein Leitfaden für Hygieneverantwortliche. 2. Auflage. 2016 Springer Verlag.
1. | Bitzer B-E, Schulz-Stübner S: Gesundheitskompetenz und Hygienewissen in Deutschland. Krankenhaushygiene up2date 2016; 11 (04): 399–411 CrossRef |
2. | Robert Koch-Institut: Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO). http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/kommission_node.html (last accessed on 11 January 2017). |
3. | Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO): Händehygiene in Einrichtungen des Gesundheitswesens. Bundesgesundheitsblatt 2016; 59: 1189-220. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Downloads/Haendehyg_Rili.pdf?__blob=publicationFile (last accessed on 11 January 2017) CrossRef MEDLINE |
4. | Kompetenzzentrum Hygiene und Medizinprodukte der KV‘en und der KBV. http://www.hygiene-medizinprodukte.de/start/ (last accessed on 11 January 2017). |
5. | Sitzmann F: Hygienische Besonderheiten der Arbeit an anthroposophischen Kliniken. Krankenhaushygiene up2date 2016; 11 (03): 231–43. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0042-113375 (last accessed on 11 January 2017). |
6. | Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene e. V. (DGKH): Infektionsausbrüche durch Endoskope. Hygienetipp vom 27. Oktober 2016. http://www.krankenhaushygiene.de/informationen/hygiene-tipp/hygienetipp2016/316 (last accessed on 11 January 2017). |
7. | Schulz-Stübner S: Hygiene, Infektionsprävention und Antibiotikaeinsatz in der Hausarztpraxis. Krankenhaushygiene u2date 2016; 11 (04): 363–76. https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0042-119961 (last accessed on 11 January 2017). |
8. | Lenzen-Schulte M: Nach dem Putzen ist vor dem Putzen. Deutsches Ärzteblatt 2016; 113 (48): A2206–9 VOLLTEXT |
9. | Vogel R: Reinigung durch externe Dienstleister– ein voll beherrschbares Risiko? Krankenhaushygiene up2date 2016; 11 (04): 326–9. https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0042-119096 (last accessed on 11 January 2017). |
Sommer, Markus; Martin, David D.