ArchivDeutsches Ärzteblatt5/2017Mikrobiom und intestinale Gesundheit: Eine hohe Diversität von Darmbakterien ist günstig

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Mikrobiom und intestinale Gesundheit: Eine hohe Diversität von Darmbakterien ist günstig

Hahne, Dorothee

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Patienten mit akuter Gastroenteritis und Senioren mit einer chronischen subklinischen Entzündung profitieren von der immunmodulierenden Wirkung probiotischer Bakterien.

Foto: Fotolia/ag visuell
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Von A wie Allergie bis Z wie Zöliakie: Immer mehr Krankheiten werden mit einer intestinalen Dysbiose in Verbindung gebracht. Das Spektrum reicht von gastrointestinalen Infektionen und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) über Stoffwechselstörungen wie Adipositas, Typ-2-Diabetes und Fettleber bis zu zerebralen Erkrankungen wie Autismus und Depressionen. „Allerdings handelt es sich meistens um Assoziationsstudien, die keine Aussagen über die Kausalität erlauben“, sagte Prof. Dr. med. Stefan C. Bischoff, Universität Hohenheim, auf einem Kolloquium der Yakult-Stiftung.

Darm-Hirn-Achse

Zweifelsfrei belegt ist jedoch der Einfluss der Darmbakterien auf die Gesundheit. Ihre Effekte reichen weit über die lokale Wirkung hinaus. Im Darm hängt die Entwicklung und Funktion des mukosalen Immunsystems von ihrer Anwesenheit ab. Sie interagieren aber auch mit Organen wie der Leber und dem Gehirn. Speziell die Darm-Hirn-Achse wird derzeit intensiv erforscht: „Wir wissen heute, dass Darmbakterien Funktionen im Gehirn beeinflussen können“, so Bischoff.

Wie eine gesunde Mikrobiota zusammengesetzt ist, ist zwar nicht exakt definierbar, doch gilt eine hohe Diversität als günstig. Eine Dysbiose geht dagegen mit einer reduzierten Diversität, dem Verlust von Kern-Taxa und metabolischen Veränderungen einher. Eine Dysbiose tritt unter anderem bei Clostridium-difficile-Infektionen auf, einem Krankheitsbild mit immer mehr schweren Verläufen. 15–20 % der Patienten haben Rezidive, jeder Zweite von ihnen mehrfach. „Von 2000 bis 2011 kam es zu einem 22-fachen Anstieg der Patienten, die stationär im Krankenhaus behandelt werden mussten“, berichtete Prof. Dr. Andreas Stallmach, Universität Jena.

Die Einnahme von Antibiotika kann einer Clostridium-difficile-Infektion zwar vorbeugen. Ein Teil der Patienten entwickelt daraufhin jedoch eine antibiotikaassoziierte Diarrhoe; in einer Studie waren dies 6 % der Patienten (1). Die prophylaktische Gabe von probiotischen Lactobazillen konnte diese Komplikation effektiv verhindern. Dennoch gibt die S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten von 2015 keine allgemeine Empfehlung für den prophylaktischen Einsatz von Probiotika bei Clostridium-difficile-Infektionen; begründet wird dies mit der unzureichenden Datenlage und Heterogenität der eingesetzten Bakterienspezies (2). „Diese Einschränkungen gelten jedoch auch für Antibiotika, denn auch sie sind nicht alle wirksam bei Clostridium-difficile-Patienten“, kritisierte Stallmach und forderte eine differenzierte Bewertung beim Probiotika-Einsatz für diese Indikation.

Ob Probiotika die Therapie bei Patienten mit Clostridium-difficile- und anderen gastrointestinalen Infektionen unterstützen können, untersuchte eine prospektive Studie am Marienkrankenhaus in Frankfurt. Eingeschlossen waren 142 Patienten, die mit akuter Gastroenteritis stationär aufgenommen wurden, weil die Infektion zu Komplikationen wie akutem Nierenversagen, Hypokaliämie, Hypernatriämie oder Leukozytose geführt hatte (3). 100 Patienten erhielten zweimal pro Tag ein Produkt mit dem probiotischen Stamm Lactobacillus casei Shirota (LcS), 42 wurden in die Kontrollgruppe eingeschlossen.

Die Behandlung mit LcS verringerte die durchschnittliche und kumulative Stuhlfrequenz, nicht aber die Liegezeit und Isolationsdauer. Patienten mit akutem Nierenversagen profitierten besonders von LcS: Bei ihnen verbesserte sich die Nierenfunktion signifikant schneller als in der Kontrollgruppe, zudem fielen die Entzündungsparameter schneller ab.

Eine Erklärung könnte die Wirkung von LcS auf das Immunsystem sein: Es erhöht die Zahl der natürlichen Killerzellen und steigert die Produktion antientzündlicher Botenstoffe. „Bei Patienten mit akuter Gastroenteritis beeinflusste Lactobacillus casei Shirota Parameter, die für den Krankheitsverlauf und die Gesamtvitalität relevant sind: Nierenfunktion, Entzündungswerte und Darmmotilität“, resümierte Studienleiter Dr. Bora Akoglu vom Marienkrankenhaus in Frankfurt.

Mikrobiom bei Senioren

Eine Dysbiose kann je nach Gesundheitszustand auch im Alter auftreten. Gebrechlichkeit, Entzündung und Mangelernährung führen zu ungünstigen Veränderungen der Mikrobiota: Menge und Vielfalt der Bakterienstämme sinken, die Hauptstämme verschieben sich zugunsten der Pathobionten und zulasten der protektiven Anaerobier. „Hauptursache ist vermutlich eine einseitige Ernährung mit weniger Ballast- und Mikronährstoffen“, sagte Prof. Dr. rer. nat. Luzia Valentini, Hochschule Neubrandenburg.

Gesunde Senioren haben dagegen bis zum 80. Lebensjahr eine stabil zusammengesetzte Darmmikrobiota. Das Immunsystem altert jedoch bei jedem Menschen, egal ob gebrechlich oder nicht. Parallel steigt die Infektanfälligkeit und es kommt zum „inflamm-aging“ – einer chronischen, subklinischen Entzündung. Bei jedem zweiten Senior sind die Entzündungsparameter wie das C-reaktive Protein (CRP) geringfügig erhöht, was mit einem gesteigerten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall einhergeht. Zudem sinken die Folsäure- und Vitamin-B12-Spiegel im Alter.

Ob diätetische Interventionen das „inflamm-aging“, die intestinale Mikrobiota und Risikofaktoren (Cholesterin, Glukose, Insulin, Vitamin B12, Folsäure) bei älteren Menschen verbessern können, untersuchte das EU-Projekt Ristomed (4). 125 gesunde Teilnehmer zwischen 65 und 85 Jahren erhielten über 2 Monate hinweg personalisierte Ernährungspläne und wurden in 4 Gruppen randomisiert: Eine Gruppe befolgte nur die Ernährungspläne, die zweite nahm zusätzlich die Probiotikamischung VSL#3 ein, die dritte Gruppe erhielt ergänzend ein Orangenschalenkonzentrat, die vierte Arganöl. Lediglich in der Probiotikumgruppe stiegen die Folsäure- und Vitamin-B12-Spiegel, während der Homocysteinspiegel sank.

Folsäure von Bifidobakterien

Die Erklärung: Das Probiotikumpräparat enthielt unter anderem Bifidobakterien, die Folsäure produzieren können; sie haben die gesamte enzymatische Ausstattung dafür. Besonders deutlich stiegen die Folsäure- und Vitamin-B12-Werte bei Probanden mit einer geringgradigen Entzündung. „Bei ihnen korrelierte der Anstieg der Folsäurekonzentration sehr gut mit dem Anstieg der Bifidobakterien in der Mikrobiota“, so Valentini.

Die Entzündungsparameter wurden in dieser Studie nur bei ergänzender Aufnahme des Orangenschalenkonzentrates positiv beeinflusst. Frühere Untersuchungen lieferten dagegen Hinweise auf einen immunmodulierenden Effekt von Probiotika bei gesunden älteren Menschen. Ein Beispiel ist eine Cross-over-Studie, in der 30 Probanden 4 Wochen lang zweimal täglich LCS oder Placebo erhielten. Während der Interventionszeit bewirkte der probiotische Keim eine verstärkte Aktivität der natürlichen Killerzellen, der Phagozytose, und es kam zu einer Verschiebung des Zytokinmusters in Richtung antientzündlich (5). „Die Nutzung von Vitamin produzierenden Eigenschaften von Probiotika bietet eine interessante Perspektive, bedarf aber noch weiterer Untersuchungen“, schlussfolgerte Valentini.

Dorothee Hahne

Diplom-Oecotrophologin

Quelle: Kolloquium „Probiotika in Praxis und
Forschung“ in Bonn. Veranstalter: Yakult GmbH. Das Unternehmen veranstaltet regelmäßig Fachtagungen und arbeitet mit der Felix Burda Stiftung zusammen für die Aufklärung der Bevölkerung in Ernährungsfragen.

@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0517
oder über QR-Code.

Ballaststoffreiche Pflanzenkost:
Der Schlüssel für eine gesunde Mikrobiota

Foto: iStockphoto
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Ob vegetarisch, fleischbetont, mediterran oder normale Mischkost: Die Ernährungsweise beeinflusst die Zusammensetzung und Aktivität der Mikrobiota – und die ist wichtiger für die Gesundheit als lange angenommen. Die Mikrobiotaforschung der letzten zehn Jahre gab Einblicke in die Mechanismen. So kurbelt eine typisch westliche fett- und eiweißreiche Ernährung mit viel Fleisch und Fast Food das Wachstum von Bakterien an, die in ihrer Zellmembran Lipopolysaccharide enthalten. Diese wiederum fördern Entzündungen und destabilisieren die Darmbarriere.

Vorwiegend pflanzliche Kost mit viel Gemüse, Hülsenfrüchten, Obst und Getreideprodukten aus Vollkorn fördert dagegen eine breite Diversität und die Vermehrung von protektiven Bakterien, die kurzkettige Fettsäuren bilden und die Darmbarriere stärken. „Ballaststoffe sind der Schlüssel für eine gesunde Mikrobiota“, sagte Dr. oec. troph. Maike Groeneveld, Praxis für Ernährungsberatung in Bonn. Cellulose ist zum Beispiel nicht wasserlöslich, bindet daher viel Wasser, was sich positiv auf den Stoffaustausch zwischen den verschiedenen Bakterienarten auswirken kann. Lösliche Ballaststoffe werden zu kurzkettigen Fettsäuren abgebaut und fördern die Vermehrung protektiver Bakterien.

Inulin, Oligofruktose regen das Wachstum nützlicher Bifidobakterien an, ebenso Vollkornprodukte, wie eine Studie mit gesunden Übergewichtigen zeigt (6): „Im Vergleich zu den Probanden, die Weißmehlprodukte aßen, stieg in der Vollkorngruppe der Anteil an Bifidobakterien und parallel gingen inflammatorische Marker zurück“, sagte Groeneveld.

Polyphenole lenken die Mikrobiota ebenfalls in eine gesunde Richtung. Dazu gehören beispielsweise die farbigen Anthocyane in Beerenfrüchten oder Flavonoide in Äpfeln und Zwiebeln. Sie werden im Dünndarm nur zu 5–15 % resorbiert; der große Rest gelangt in den Dickdarm. Alle Daten deuten darauf hin, dass Polyphenole protektive Bakterien in der Mikrobiota fördern und die Darmbarriere stärken. Dorothee Hahne

1.
Pirker A, Stockenhuber A, Remely M, et al.: Effects of antibiotic therapy on the gastrointestinal microbiota and the influence of Lactobacillus casei. Food and Agricultural Immunology 2013; 24 (3) 315–30 CrossRef
2.
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten: S2k-Leitlinie Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple. 2015; AWMF-Register-Nr. 021/024. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/021-024l_S2k_Infekti%C3%B6se_Gastritis_2015-02.pdf (last accessed on 24 January 2017).
3.
Akoglu B, Loytved A, Nuiding H, et al.: Probiotic Lactobacillus casei Shirota improves kidney funktion, inflammation and bowel movements in hospitalized patients with acute gastroenteritis – a prospective study. J Funct Foods 2015; 17; 305–13 CrossRef
4.
Valentini L, Pinto A, Bourdel-Marchasson I, et al.: Impact of personalized diet and probiotic supplementation on inflammation, nutritional parameters and intestinal microbiota – the RISTOMED project: randomized controlled trial in healthy older people. Clinical Nutrition 2015; 34: 593–602 CrossRef MEDLINE
5.
Dong H, Rowland I, Thomas L, Yagoob P: Immunomodulatory effects of a probiotic drink containing Lactobacillus casei Shirota in healthy older volunteers. Eur J Nutr 2013; 52: 1853–63 CrossRef MEDLINE
6.
Vitagione P, Mennella I, Ferracane R, et al.: Whole-grain wheat consumption reduces inflammation in a randomized con-trolled trial on overweight and obese subjects with unhealthy dietary and lifestyle behaviors: role of polyphenols bound to cereal dietary fiber. Am J Clin Nutr 2015; 101 (2): 251–61 CrossRef MEDLINE
1.Pirker A, Stockenhuber A, Remely M, et al.: Effects of antibiotic therapy on the gastrointestinal microbiota and the influence of Lactobacillus casei. Food and Agricultural Immunology 2013; 24 (3) 315–30 CrossRef
2.Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten: S2k-Leitlinie Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple. 2015; AWMF-Register-Nr. 021/024. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/021-024l_S2k_Infekti%C3%B6se_Gastritis_2015-02.pdf (last accessed on 24 January 2017).
3.Akoglu B, Loytved A, Nuiding H, et al.: Probiotic Lactobacillus casei Shirota improves kidney funktion, inflammation and bowel movements in hospitalized patients with acute gastroenteritis – a prospective study. J Funct Foods 2015; 17; 305–13 CrossRef
4.Valentini L, Pinto A, Bourdel-Marchasson I, et al.: Impact of personalized diet and probiotic supplementation on inflammation, nutritional parameters and intestinal microbiota – the RISTOMED project: randomized controlled trial in healthy older people. Clinical Nutrition 2015; 34: 593–602 CrossRef MEDLINE
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6.Vitagione P, Mennella I, Ferracane R, et al.: Whole-grain wheat consumption reduces inflammation in a randomized con-trolled trial on overweight and obese subjects with unhealthy dietary and lifestyle behaviors: role of polyphenols bound to cereal dietary fiber. Am J Clin Nutr 2015; 101 (2): 251–61 CrossRef MEDLINE

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