POLITIK
Umfrage des Hartmannbundes: Junge Ärzte hadern mit Klinikalltag


Nicht dokumentierte Überstunden, keine Pausen und zu wenig Kollegen bei Ärzten und Pflegekräften: Die Ergebnisse einer Umfrage des Hartmannbundes unter Assistenzärzten lässt aufhorchen. Der Verband will nun mit Klinikbetreibern diskutieren.
Der Traumberuf Ärztin oder Arzt wird im Krankenhaus für immer mehr junge Assistenzärztinnen und -ärzte zu einem Job am persönlichen Limit: In einer Umfrage des Hartmannbundes geben 76,2 Prozent der jungen Ärzte an, dass sie schon einmal zur Arbeit gegangen sind, obwohl sie aufgrund von Krankheit eigentlich nicht hätten arbeiten dürfen. Die Arbeitszufriedenheit bewerten 32 Prozent mit der Schulnote 3, 20,2 Prozent mit der Schulnote 4. Am schlechtesten schneiden dabei die Unikliniken ab – hier geben 22,1 Prozent der Assistenzärzte ihrer Arbeitszufriedenheit die Schulnote 4, 14 Prozent eine 5. Die Schulnote 2 sehen hier nur 22,8 Prozent der Befragten als angebracht. Zum Vergleich: Bei kommunalen Krankenhäusern, anderen öffentlichen Trägern sowie privaten und kirchlichen Häusern sind die Noten deutlich besser – eine 2 geben junge Ärzte, die in kommunalen Kliniken beschäftigt sind, in 29,6 Prozent der Fälle, bei anderen öffentlichen Trägern sind es 34 Prozent, bei privaten Trägern 31,4 Prozent und bei kirchlichen Häusern 30,3 Prozent.
Ambulante Medizin beliebt
An der Onlineumfrage des Hartmannbundes haben zwischen Dezember 2016 und Januar 2017 mehr als 1 300 Assistenzärzte teilgenommen, 36,1 Prozent davon haben bis zu einem Jahr Berufserfahrung, 24,2 Prozent arbeiten seit bis zu zwei Jahren, 20,4 Prozent sind bis zu vier Jahren in der Klinik. Dort bleiben wollen nach der Weiterbildung nur wenige: Insgesamt 44,6 Prozent wollen künftig in der ambulanten Medizin tätig sein, wobei mit 29,2 Prozent die Niederlassung in einer Gemeinschaftspraxis am attraktivsten erscheint. 23,5 Prozent geben das Karriereziel Oberarzt an.
Gründe für die Unzufriedenheit sind vielfältig: Beim Thema Überstunden geben 26,1 Prozent der Teilnehmer an, bis zu fünf Überstunden pro Woche zu leisten, 35 Prozent kommen auf bis zu zehn Stunden extra. 3,5 Prozent der Teilnehmer berichten von mehr als 20 Stunden zusätzlich. Betroffen sind fast alle Fächer – wobei in der Orthopädie und Unfallchirurgie sowie in der Inneren Medizin und Anästhesiologie besonders viele zusätzliche Stunden geleistet werden. Problematisch auch die Dokumentation der zusätzlichen Zeit: 52 Prozent der Ärzte geben an, schon einmal direkt oder indirekt vom Arbeitgeber aufgefordert worden zu sein, diese Extra-Stunden nicht zu dokumentieren. Dabei ist es interessant, dass 65 Prozent davon ausgehen, dass ihre Arbeitszeit nicht objektiv und manipulationssicher vom Arbeitgeber erfasst wird. 39,3 Prozent geben an, dass ihnen eine Opt-out-Regelung vorgelegt wurde – damit können Arbeitgeber die gesetzliche Arbeitshöchstzeit von 48 Stunden umgehen.
Auch die Vergütung der Überstunden oder ein Freizeitausgleich wird nicht einheitlich geregelt: Während 14,2 Prozent davon berichten, dass zusätzliche Stunden vergütet werden und 36,2 Prozent einen Freizeitausgleich bekommen, werden bei 21,4 Prozent die Überstunden „grundsätzlich nicht anerkannt“, so heißt es in der Studie, die dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.
Ob Pausenzeiten bei der Arbeitsbelastung eingehalten werden können, ist sehr unterschiedlich: 40,8 Prozent geben an, „meistens“ eine Pause machen zu können, 40 Prozent bewerten dies mit „selten“, 14 Prozent sagen „nie“.
Gesundheitliche Probleme
Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. med. Klaus Reinhardt, beklagt die Probleme an Kliniken schon lange. „Überrascht hat mich allerdings die Deutlichkeit der Umfrageergebnisse, die ich in Weiten Teilen als erschreckend empfinde und als einen Hilferuf der jungen Ärztegeneration verstehe, so nicht mehr arbeiten zu wollen“, sagt Reinhardt dem Deutschen Ärzteblatt.
Die hohe Arbeitsbelastung nagt an den jungen Assistenzärzten, in den ersten Berufsjahren beginnen die ersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen: So berichten 32 Prozent der Teilnehmer, dass sie unter Schlafmangel leiden – besonders die, die angeben, bis zu zehn Überstunden pro Woche zu leisten. 29,6 Prozent fürchten, dass sie künftig die Arbeitsbelastung gesundheitlich spüren werden. 25 Prozent geben an, dass es ihnen derzeit noch gut gehe. Dass unter der Arbeitsbelastung das Privatleben generell leidet, dem stimmen über 61,3 Prozent zu. Daher können sich 58,2 Prozent für die Zukunft ein Job-Sharing-Modell vorstellen, 45 Prozent präferiert eine Wochenarbeitszeit zwischen 35 und 40 Stunden.
Wenig Pausen, viele Überstunden und keine strukturierte Weiterbildung: Bei 67,9 Prozent der Teilnehmer fehlt auch ein strukturierter Plan mit definierten Jahreszielen.
Noch mehr ärgert es die jungen Ärzte allerdings, wie sie den ärztlichen Arbeitsalltag auf den Stationen erleben: Eine Mehrheit von mehr als 74 Prozent ist (in mehreren Abstufungen) unzufrieden mit der Zeit, die sie zur Versorgung von Patienten haben. „Man wird von seinem Vorgesetzten aufgefordert, Patienten zu entlassen, die noch nicht gesund sind. Im Arztbrief wird der Entlassungszustand beschönigt“, heißt es in einer anonymen Antwort in der Umfrage. Die Personaldecke in Kliniken wird von 64 Prozent der Befragten als „nicht ausreichend“ bezeichnet. Ein Ärgernis dabei sind die Stunden, die für die Dokumentation benötigt werden: 34,7 Prozent setzen täglich bis zu drei Stunden ein, bei 36,5 Prozent sind es mehr als drei Stunden. „Verschwendung der Ressource ‚Ärztliche Arbeitszei“, kommentieren die jungen Mediziner.
Den ökonomischen Druck von Kliniken spüren die Assistenzärzte genau. Ein anonymer Kommentar lautet beispielsweise: „Wir haben eine Fallmanagerin, die jeden Tag mehrmals zu uns kommt und detailliert fragt, warum der Patient noch da ist.“ Den starken Eingriff in die ärztliche Entscheidungsfreiheit belegt auch diese Aussage eines anderen Teilnehmers: „DRG-Mitarbeiter begleiten teilweise die Visiten und vermerken in Kurven, ab wann der Patient Geld kostet anstatt welches einzubringen.“
Gespräch mit Klinikleitungen
Mit den Umfrageergebnissen will der Hartmannbund jetzt vor allem auf die Klinikbetreiber zu gehen. „Wir müssen mit Krankenhausträgern nicht nur über Gehälter, sondern intensiver auch über Arbeitsbedingungen sprechen“, erklärt Hartmannbund-Vorsitzender Reinhardt. Dafür sucht der Verband das Gespräch mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft. „Da gibt es Dinge, die man kurzfristig anpacken kann. Aber machen wir uns nichts vor: Wir reden angesichts der vorhandenen Strukturen auch über Prozesse, die wir nicht von heute auf morgen bewältigen werden.“
Rebecca Beerheide
Grafiken im Internet:
www.aerzteblatt.de/17399
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3 Fragen an . . .
Theodor Uden, Sprecher der Assistenzärzte im Hartmannbund
Seit einem Jahr sind Sie Assistenzarzt. Welche Erfahrungen machen Sie im Alltag? Deckt sich das mit den Ergebnissen der Umfrage?
Ich persönlich mache gerade sehr gute Erfahrungen, da an meiner Klinik zum Beispiel ein gut strukturiertes Weiterbildungsprogramm angeboten wird. Weiterhin ist es meistens gut möglich, die Arbeitszeiten in akzeptablem Umfang einzuhalten und die Patientenversorgung zu gewährleisten. Nach allem, was die Umfrage zeigt, ist das allerdings, vorsichtig formuliert, leider nicht die Regel.
Warum ist die heutige Generation von Assistenzärzten vom Klinikalltag so erschreckt?
Ich glaube „erschreckt“ ist hier das falsche Wort. Bei vielen jungen Kolleginnen und Kollegen würde ich stattdessen – mit Blick zum Beispiel auf die Verlässlichkeit von Arbeitszeiten oder die ökonomischen Zwänge in der Patientenversorgung – eher von Ernüchterung sprechen. Ich denke, ein gewisser „Aha-Effekt“ ist sicherlich auch in anderen Berufsgruppen beim ersten wahren Kontakt mit der Arbeitswelt ganz normal, die Diskrepanz zwischen engagierter Ambition und erlebtem Alltag auf der Station scheint mir allerdings im Arztberuf besonders frappierend zu sein.
Was müsste geschehen, damit jüngere Ärzte sich im Klinikalltag wieder näher an ihrem Ideal der ärztlichen Tätigkeit fühlen?
Jenseits des grundsätzlichen Themas „Arbeitszeiten“ ist ganz sicher die Belastung durch bürokratische Vorgänge ein entscheidender Grund dafür, dass junge Ärzte diese Diskrepanz zu ihrem Ideal der ärztlichen Tätigkeit empfinden. Es ist schlicht frustrierend, sich drei Stunden am Tag mit Papieren aufzuhalten, während auf der Station die Arbeitskraft am Patienten sinnvoller verbracht wäre. Hier ist eine konsequente Entlastung bei bürokratischen Tätigkeiten einzufordern. Darüber hinaus bin ich fest davon überzeugt, dass eine auf die pflegerischen und ärztlichen Bedürfnisse abgestimmte Digitalisierung Fortschritte in der Patientenversorgung und in der Mitarbeiterzufriedenheit bewirken wird. Ein weiterer Aspekt ist, dass Weiterbildung ein selbstverständlicher und fest eingeplanter Bestandteil jedes Arbeitstages sein muss.
Nau, R.
Staden, Michael von
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