MEDIZIN: Originalarbeit
Prävalenz des Glaukoms bei jungen Menschen
Ergebnisse aus der populationsbasierten Gutenberg-Gesundheitsstudie
The prevalence of glaucoma in young people — findings of the population-based Gutenberg Health Study
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Hintergrund: Bisherige Angaben zur Prävalenz des kindlichen Glaukoms in Deutschland basierten lediglich auf Schätzungen. Diese Inzidenzen betragen je nach ethnischer Zugehörigkeit 1:10 000 bis 1:68 000 und beziehen sich auf das kongenitale Glaukom. Für das juvenile Glaukom liegt die Schätzung bei 1:44 000.
Methode: Die Gutenberg-Gesundheitsstudie ist eine populationsbasierte, prospektive, monozentrische Kohortenstudie mit 15 010 Teilnehmern im Alter von 35–74 Jahren. Um die anamnestisch ermittelte Prävalenz des kindlichen Glaukoms zu bestimmen, wurden die Diagnose Glaukom, die durchgeführten Glaukomoperationen, eine regelmäßige Applikation von Antiglaukomatosa sowie das Erkrankungsalter erfragt. Entsprechend des Erkrankungsalters wurden die betroffenen Probanden in 4 Gruppen eingeteilt: kongenital (< 2 Jahre), juvenil (2 bis < 18 Jahre), spätjuvenil (18 bis < 40 Jahre) und frühadult (40 bis < 45 Jahre). Bei den identifizierten Glaukompatienten wurden Visus, Augeninnendruck, Hornhautdicke, Gesichtfeld und Papille ausgewertet.
Ergebnisse: Es wurden 352 Personen mit einem anamnestisch erhobenen Glaukom identifiziert. Die gewichteten Prävalenzen in den 4 Gruppen lagen bei 0 % für das kongenitale, 0,01 % mit einem 95-%-Konfidenzintervall von [0; 0,03] für das juvenile, 0,16 % [0,09; 0,23] für das spätjuvenile und 0,17 % [0,15; 0,19] für das frühadulte Glaukom. Für die Teilnehmer über 45 Jahre betrug die gewichtete Prävalenz für ein Glaukom 1,98 % [1,7; 2,2].
Schlussfolgerung: In unserer Kohorte betrug die anamnestisch ermittelte Prävalenz juveniler Glaukome 0,01 % (n = 2). Für das 18. bis < 40. Lebensjahr erhöhte sich diese Prävalenz um das 10-Fache (0,16 %) und darüber hinaus im weiteren Verlauf des Lebens um mehr als den Faktor 10 (1,98 %). Damit scheint die Krankheitslast deutlich höher zu sein als bisher angenommen.


Glaukome sind im Kindesalter selten und führen aufgrund der langen Erkrankungsdauer zu häufigen Arztkontakten (1–5). Durch den möglichen Verlust visueller Funktionen kann die Entwicklung eingeschränkt und der Alltag behindert werden, sodass großes individuelles Leid entsteht.
Primäre und sekundäre Formen des kindlichen Glaukoms werden unterschieden. Die primären kongenitalen Glaukome sind entweder schon bei der Geburt vorhanden oder entwickeln sich als juvenile primäre Offenwinkel-Glaukome bis ins frühe Erwachsenenalter. Je nach Zeitpunkt des Auftretens verursachen hohe intraokulare Druckwerte Bulbuswachstum, Hornhauttrübungen durch Einriss in der Descemet-Membran (Haab-Linien) und/oder Sehnerven- sowie Gesichtsfeldschäden. Die sekundären Glaukome im Kindesalter können ebenfalls bereits bei der Geburt auftreten oder sich bis ins frühe Erwachsenenalter manifestieren, wobei sie mit morphologischen Veränderungen wie zum Beispiel Aniridie, Axenfeld-Rieger- Syndrom (dysgenetische Veränderungen im Kammerwinkel [6]) oder Sturge-Weber-Syndrom einhergehen (1).
Die Häufigkeiten des kindlichen Glaukoms werden in der Literatur sehr unterschiedlich geschätzt. In einigen Studien werden Inzidenzen je nach ethnischer Zugehörigkeit zwischen 1:10 000 und 1:68 000 angegeben (1, 3, 7). Für das kongenitale Glaukom werden für Kaukasier in den USA Inzidenzen von sogar nur 1:260 000 (3) und in Afrika von bis zu 0,4 %, also 1:250 (8–13) berichtet. Das Vorkommen des kongenitalen Glaukoms ist insbesondere in Regionen, in denen Konsanguinität üblich ist, höher (1). Aufgrund der geringen Inzidenz des kindlichen Glaukoms und den nicht immer ausgeprägten äußeren Zeichen wie Buphthalmus und Hornhauttrübung erfolgt die Diagnosestellung oft spät. Nicht überall ist ein direkter Therapiezugang möglich, sodass häufig erst eine Behandlung im fortgeschrittenen Stadium stattfindet (1, 4, 14). Eine späte chirurgische Therapie hat dann nur noch eingeschränkten Erfolg bezüglich des Funktionserhalts. Dies verursacht großes individuelles Leid und hohe sozioökonomische Kosten (15, 16).
Weltweit existieren nur wenige Untersuchungen zur Epidemiologie des kindlichen Glaukoms (1, 3) und für Deutschland finden sich bisher keine Daten. Große epidemiologische Studien haben meist die Prävalenz des Glaukoms in der Studienpopulation untersucht, ohne jedoch das Erkrankungsalter zu berücksichtigen. Somit lässt sich keine Aussage zur Prävalenz der Glaukome im Kindesalter machen (17–21).
Ziel der Untersuchung war daher, erstmalig anhand der Daten einer großen populationsbasierten Studie die Prävalenz des kindlichen Glaukoms in Deutschland zu schätzen, um unter anderem eine Basis für Fragen der medizinischen Versorgung und der Krankheitslast zu gewinnen.
Material und Methoden
Wir untersuchten die anamnestische Prävalenz des Glaukoms in der Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS). Die GHS ist eine populationsbasierte, prospektive, monozentrische Kohortenstudie.
Insgesamt wurden 15 010 Personen aus der Stadt Mainz und dem Landkreis Mainz-Bingen untersucht (22). Bei 14 700 (97,9 %) Teilnehmern lagen ophthalmologische Daten zur Auswertung vor.
Die Probanden durchliefen bei der Erstuntersuchung (2007–2012) ein fünfstündiges Untersuchungsprogramm. Ophthalmologische Daten wurden durch eine ausführliche mündliche Anamnese zu Augenerkrankungen, -medikamenten sowie -operationen und eine umfangreiche Augenuntersuchung inklusive Augeninnendruckmessung ermittelt (22) (eTabelle). Mit einer Veränderung der Datenlage über die letzten Jahre ist mangels exogener Einflussfaktoren nicht zu rechnen.
Für die Definition einer Glaukomerkrankung wurden folgende Kriterien betrachtet: In der Anamnese wurde eine Glaukomerkrankung angegeben und zusätzlich bereits eine Glaukomoperation durchgeführt und/oder Glaukommedikamente angewendet.
Nach diesen gewählten Einschlusskriterien (Glaukomdiagnose, -operation, -medikation) wurden die Teilnehmer als Glaukompatienten identifiziert und nach Erkrankungsalter in vier Gruppen eingeteilt:
- Gruppe 1: kongenitales Glaukom = Alter bei Diagnosestellung < 2 Jahre
- Gruppe 2: juveniles Glaukom = Alter bei Diagnosestellung zwischen 2 und 17 Jahre
- Gruppe 3: spätjuveniles Glaukom = Alter bei Diagnosestellung zwischen 18 und 39 Jahre
- Gruppe 4: frühadultes Glaukom = Alter bei Diagnosestellung zwischen 40 und 44 Jahre.
Bei den identifizierten Teilnehmern wurden glaukomrelevante Daten wie Visus, Augeninnendruck, Hornhautdicke, Gesichtsfeld und Papille ausgewertet (eKasten).
Ergebnisse
Es wurden 352 Teilnehmer als Glaukompatienten identifiziert (gewichtete Prävalenz: 2,02 %, 95-%-Konfidenzintervall: [1,79; 2,25]). Aufgrund fehlender Diagnosejahre wurden jedoch nur 303 Fälle in die verschiedenen Gruppen eingeteilt.
Bei 49 Teilnehmern lag das Erkrankungsalter unter dem 45. Lebensjahr. In Gruppe 1 (kongenital) wurden 0 Teilnehmer, in Gruppe 2 (juvenil) 2 Teilnehmer, in Gruppe 3 (spätjuvenil) 24 Teilnehmer und in Gruppe 4 (frühadult) 23 Teilnehmer eingeordnet (Tabelle 1).
Das Geschlecht der Teilnehmer war in allen Gruppen gleich verteilt (Tabelle 1).
Für die Prävalenz des Glaukoms ergaben sich entsprechend einer Gewichtung nach der Standardpopulation von Mainz/Mainz-Bingen die folgenden Prävalenzen (Tabelle 1):
- kongenital: 0 %
- juvenil: 0,01 % [0; 0,03]
- spätjuvenil: 0,16 % [0,09; 0,23]
- frühadult: 0,17 % [0,15; 0,19].
Dagegen betrug die Prävalenz für die Teilnehmer bei einem Erkrankungsalter ≥ 45. Lebensjahr (adultes Glaukom) 1,98 % [1,7; 2,2].
Von den anhand der Anamnese als Glaukompatienten identifizierten Teilnehmern nahmen in Gruppe 2 (juvenil) 100 % der Teilnehmer, also beide Probanden, in Gruppe 3 (spätjuvenil) 95,8 % [87,8; 100] und in Gruppe 4 (frühadult) 100 % einen oder mehrere Glaukomwirkstoffe ein. Für die Gruppe der 45-Jährigen und Älteren lag der Anteil der medikamentös behandelten Teilnehmer bei 97,6 % [95,7; 99,48] (Grafik 1).
Glaukomoperationen waren in Gruppe 2 bei keinem, bei Gruppe 3 bei 25 % [7,7; 42,3] und bei Gruppe 4 bei 21,7 % [4,9; 38,6] der Teilnehmer durchgeführt worden.
Im Vergleich dazu hatten 9,1 % [5,5; 12,5] der Patienten ≥ 45. Lebensjahr eine oder mehrere Glaukomoperationen erhalten (Grafik 2).
Der Visus war in allen 3 Gruppen mit im Median 0,5–0,8 sehr gut. Allerdings waren in allen Gruppen auch Patienten mit schlechtem Visus von ≤ 0,2 (8 Augen), die mit einem fortgeschrittenen Glaukom korrelierten (Tabelle 2).
Bei den Teilnehmern mit juvenilem Glaukom wurde ein Augeninnendruck (IOD, Median) von 15,5 mm Hg rechts und 16,4 mm Hg links gemessen. In der Gruppe der spätjuvenilen Glaukome lag der IOD rechts bei 16,4 mm Hg sowie links bei 16,3 mm Hg, in der Gruppe der frühadulten Glaukome rechts bei 15,5 und links bei 15,7 mm Hg (Tabelle 2).
Die Hornhautdicke betrug bei Teilnehmern mit juvenilem Glaukom im Median 567 µm für rechte Augen und 583 µm für linke Augen, bei Teilnehmern mit spät-juvenilem Glaukom 557 µm und 566 µm sowie bei Teilnehmern mit frühadultem Glaukom 547 µm und 548 µm.
In der Gruppe der juvenilen Glaukome zeigten sich etwas größere Hornhautdicken ohne klinische Relevanz (Tabelle 2).
Gesichtsfelddaten von 42 Teilnehmer (< 45 Jahre) lagen vor. Die Auswertung der Gesichtsfelduntersuchungen ergab bei keinem der 2 Teilnehmer (0 %) der Gruppe 2 (juvenil) eine Gesichtsfeldauffälligkeit nach den gegebenen Kriterien. In Gruppe 3 (spätjuvenil) hatten 27,27 % und in Gruppe 4 (frühadult) 29,41 % relevante Gesichtsfeldausfälle (Tabelle 3).
In Miosis durchgeführte Papillenfotos waren bei 33 Teilnehmern vorhanden. In 12 Fällen wurden keine Aufnahmen angefertigt (9) beziehungsweise waren diese nicht verwertbar (3).
Die Papillenfotos zeigten in Gruppe 2 bei 50 % der Probanden, in Gruppe 3 bei 46,66 % und in Gruppe 4 bei 87,5 % glaukomtypische Papillenveränderungen (Tabelle 3).
Diskussion
Wir haben uns in Anlehnung an verschiedene Autoren (16. Lebensjahr nach Childhood Glaucoma Research Network [CGRN], 20. Lebensjahr in der US-amerikanischen Literatur) für die Einteilung in 4 Gruppen entschieden (Tabelle 1) (26–28).
In der Literatur werden die Prävalenz oder die Inzidenz angegeben.
Die meisten Daten finden sich für das primär kongenitale Glaukom. Die geringste Inzidenz wird für eine vorwiegend kaukasische Population in den USA mit 1:260 688 und für Europa mit 1:10 000–18 000 angegeben (3, 7, 15). In einer ethnisch gemischten Population ist die Inzidenz höher (1:18 500 in Großbritannien, 1:30 200 in Irland) (1). Eine sehr hohe Inzidenz liegt mit 1:1 250 bei den Sinti und Roma in der Slowakei vor (29). Die Inzidenz für das kindliche Glaukom beträgt 1:43 575 für die vorwiegend kaukasische Population der USA (Tabelle 4) (3).
In unserer Kohorte litt keiner der 14 700 Teilnehmer an einem angeborenem Glaukom (Erkrankungsalter < 2 Jahre). Dies steht in Einklang mit den Literaturdaten, die Inzidenzen von circa 1:260 000 (USA) beziehungsweise circa 1:357 000 (Großbritannien) angeben. Die Prävalenz in Großbritannien ist zwar höher, jedoch liegen keine Daten für die kaukasische Population vor (1, 3). Die Erfahrung der glaukomspezialisierten Kliniken zeigen, dass in Deutschland wesentlich mehr Patienten kaukasischer Herkunft operiert werden. Daher sollte die Prävalenz in Deutschland höher liegen. Die Inzidenz aus den USA würde bezogen auf Deutschland nur wenige Fälle pro Jahr bei einer Lebendgeburtenrate von circa 738 000/Jahr (30) erwarten lassen.
Möglicherweise ist die Populationsgröße von 14 700 Teilnehmern nicht ausreichend, um in epidemiologischen Querschnittstudien Betroffene zu finden. Ferner ist die Konsanguinität und damit die Rate der genetisch bedingten Glaukome in unserer Population wahrscheinlich gering. Allerdings ist der Zugang zu medizinischer Versorgung in Deutschland gut, sodass die Patienten auch diagnostiziert werden könnten und die erfasste Prävalenz relativ hoch sein sollte. Die Daten unserer Studie wurden in einer mehrstündigen medizinischen Untersuchung erhoben. Daher könnten Patienten mit kongenitalem Glaukom aufgrund ihrer häufig schlechteren Sehschärfe (1, 31) sowie häufiger notwendiger Arztbesuche der Studieneinladung nicht gefolgt und damit in der Studienpopulation unterrepräsentiert sein. Weiterhin sehen möglicherweise gesunde Menschen keine Vorteile in einer gründlichen Untersuchung. Dadurch könnten die Prävalenzen verzerrt worden sein (Selektionsbias). Die Responsrate bei den ersten 5 000 Teilnehmern lag bei 60,3 % (32).
Auch muss ein gewisser Recall-Bias berücksichtigt werden. Wenn sich Teilnehmer nicht mehr an das exakte Erkrankungsalter erinnerten, zum Beispiel 1./2. Lebensjahr oder 17./18. Lebensjahr, könnten sie entsprechend der Gruppengrenzen in die andere Gruppe eingeteilt worden sein. Die anamnestische Unschärfe bei Krankheitsbezeichnungen wurde weitgehend dadurch reduziert, dass neben der Diagnose Glaukom auch zusätzlich die Einnahme von Medikamenten und/oder eine durchgeführte Operation, inklusive genauer Bezeichnung des Medikamentes sowie der Operation, angegeben werden musste. Konnten Teilnehmer diese Angaben nicht machen, wurden sie nicht als Glaukompatienten registriert.
Aufgeschlüsselt nach den einzelnen Gruppen lag die Prävalenz in der GHS für das juvenile Glaukom bei 0,01 %. Dies betraf 2 Teilnehmerinnen, die im Alter von 10 und 7 Jahren erkrankt waren. Beide nahmen glaukomspezifische Medikamente ein, aber waren keiner Glaukomoperation unterzogen worden. Die Gesichtsfelduntersuchung zeigte bei einer Patientin kleinere Ausfälle, die aber nach unseren Kriterien nicht als auffällig eingestuft wurden. Bei der anderen Teilnehmerin wies der Sehnerv glaukomtypische Veränderungen auf. Im Vergleich dazu lag die Inzidenz in der Bevölkerung der USA bei 2,29:100 000 (0,002 %) (3). Prävalenzdaten hierfür liegen nicht vor.
Weitere Vergleichsdaten zur Prävalenz in dieser Altersgruppe bei Kaukasiern sind in der Literatur nicht und daher erstmalig mit unserer Arbeit verfügbar.
Bisherige Studien untersuchten ältere Bevölkerungsgruppen, meist > 50 Jahren, an deutlich kleineren Kohorten. Zwar wurde die Prävalenz des Glaukoms untersucht, dabei aber nicht die Erkrankungsdauer beziehungsweise das Erkrankungsalter berücksichtigt (17, 19–21, 33). Demzufolge war bisher keine Aussage zum Auftreten kindlicher Glaukome in Deutschland möglich.
In der Rotterdam-Studie lag die Prävalenz in der Altersgruppe ≥ 55 Jahre bei 1,10 % (21) und war somit geringer als in unserer Studie. Im Baltimore Eye Survey wurden bei 3 % der weißen und schwarzen Einwohner ab dem 40. Lebensjahr ein primär chronisches Offenwinkelglaukom diagnostiziert (20), also ein etwas höherer Wert als in unserer Studie. In der Beaver Dam Eye Study wurde eine Untergruppe der 43- bis 54-Jährigen ausgewertet und die Prävalenz des Offenwinkelglaukoms für diese Gruppe mit 0,9 % angegeben (17). In der Egna-Neumarkt Studie lag der Anteil aller Glaukompatienten bei 0,4 % der weiblichen und 0,6 % der männlichen Teilnehmer im Alter von 40–49 Jahren (33). Wenn in der GHS alle vor dem 45. Lebensjahr Erkrankten betrachtet werden, ergibt sich eine Prävalenz von 0,37 %. Diese Prävalenz beinhaltet alle Glaukome, nicht nur die primären Offenwinkelglaukome, und liegt deutlich unter der Prävalenz der um 10 Jahre älteren Gruppe der Beaver Dam Eye Study, aber im Bereich der Egna-Neumarkt Studie für die jüngeren Teilnehmer. Offensichtlich steigt die Prävalenz ab dem 50. Lebensjahr deutlich an. In der Gruppe der 40- bis 49-Jährigen in der Egna-Neumarkt Studie betrug die Prävalenz 2,0 % für weibliche und 2,1 % für männliche Teilnehmer (33). Die Daten aus den USA beruhen auf der retrospektiven Analyse der Patientenakten, die von Kinderärzten untersucht wurden. Da unklar ist, ob alle Kinder auch ophthalmologisch untersucht wurden, kann hier von einer Unterrepräsentation der kindlichen Glaukomfälle ausgegangen werden.
Das Besondere an unserer Studie ist, dass der Fokus auf den Zeitpunkt der Diagnose der Erkrankung gelegt wurde und somit eine differenzierte Aussage über die unterschiedlichen Glaukomgruppen getroffen werden konnte.
Unterschieden werden sollte zwischen anamnestischen Prävalenzen und Prävalenzen nach erfolgter Untersuchung. In der GHS wurde eine anamnestische Prävalenz erhoben. Die Teilnehmer wurden aufgrund der Angaben zu Glaukomdiagnose, -operation und -medikation als Glaukompatienten definiert. Durch das genaue Erfragen der Medikamentenanamnese mit Angabe der Glaukomwirkstoffe und der Operationen mit genauer Bezeichnung wurde die Richtigkeit der Angaben erhöht sowie typische Verwechslungen mit beispielsweise dem grauen Star weitestgehend vermieden. Diese anamnestischen Angaben waren dem Untersucher bekannt. Jedoch ist nicht zu vermeiden, dass auch okuläre Hypertensionen erfasst wurden, obwohl wir durch die Papillen- und Gesichtsfeldbefunde nur 2 Teilnehmer identifizierten, die weder Gesichtsfeldpathologien noch auffällige Papillenbefunde aufwiesen.
Wir gehen davon aus, dass die tatsächliche Prävalenz höher liegt, da die Rate der nicht diagnostizierten Glaukome zumindest für das Offenwinkelglaukom im Erwachsenenalter in der Literatur mit 49–53 % angegeben wird (18, 19, 21, 33, 34). Allerdings führt das Glaukom im frühen Kindesalter zu erheblichen funktionellen Einschränkungen, sodass, wenn auch verzögert, das Glaukom doch prozentual häufiger diagnostiziert wird als beim Erwachsenen (35, 36).
Um die anamnestisch erhobenen Daten zu validieren, korrelierten wir diese mit den Parametern Visus, Augeninnendruck, Hornhautdicke, Gesichtsfeldanalyse und Papillenbefund. Daten zu Hornhautdurchmesser oder Bulbuslänge fehlten. Jedoch wurden keine kongenitalen Fälle festgestellt, sodass diese Daten vermutlich in der normalen Populationsverteilung vorlagen.
Der Visus sowie die Hornhautdicke erwiesen sich als wenig aussagekräftige Parameter zur Unterstützung der Diagnose, da die Hornhautdicke in allen Gruppen der durchschnittlichen Hornhautdicke der Teilnehmer entsprach (37) und auch der Visus mit ≥ 0,5 im oberen Bereich lag. Es gab weiterhin (Tabelle 2) Patienten mit sehr schlechtem Visus sowie funktioneller Erblindung, die durchaus mit einem fortgeschrittenen Glaukom korrelierten.
Der Augeninnendruck lag für alle Glaukompatienten im normalen Bereich und diente somit nicht als Ein- oder Ausschlusskriterium. Das gute intraokulare Druckniveau der Teilnehmer mag durch die erfolgreiche Therapie der bereits Erwachsenen erreicht worden sein (Grafiken 1 und 2) (38).
66 % der Teilnehmer mit kindlichem Glaukom wiesen glaukomtypische Papillenveränderungen auf, was die Eingruppierung der Teilnehmer in diese Diagnosegruppe stärkt.
Die Gesichtsfeldbefunde zeigten in 73 % der Fälle nur geringe oder keine Ausfälle. Dies ist ein erstaunlich hoher Anteil. Entweder sind die Teilnehmer ausgesprochen frühzeitig und sehr gut behandelt worden, sodass die Gesichtsfelder noch normal sind, oder die Untersuchungsmethode ist zum Screening nicht gut geeignet (39).
Da die GHS eine nichtinterventionelle Studie ist, können Teilnehmer bei auffälligen oder grenzwertigen Befunden leider nicht erneut einbestellt werden.
Danksagung
Wir danken allen Studienteilnehmern für ihre Bereitschaft, Daten für dieses Forschungsprojekt zur Verfügung zu stellen, und allen Mitarbeitern für ihr begeistertes Engagement.
Finanzielle Unterstützung
Die Gutenberg-Gesundheitsstudie wird durch die Regierung von Rheinland-Pfalz („Stiftung Rheinland-Pfalz für Innovation“, Vertrag AZ 961–386261/733), die Forschungsprogramme „Wissen schafft Zukunft“ und Center for Translational Vascular Biology (CTVB) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Boehringer Ingelheim, Philips Medical Systems und Novartis Pharma, darunter eine nicht zweckgebundene Zuwendung für die Gutenberg-Gesundheitsstudie, finanziert.
Interessenkonflikt
Dr. Marx-Gross bekam Reisekostenerstattung von der Firma Bayer.
Prof. Mirshahi erhielt Unterstützung bei der Abfassung des vorliegenden Manuskripts oder thematisch verwandten Arbeiten von der Firma Novartis Pharma GmbH. Studienunterstützung (Drittmittel) wurde ihr zuteil von den Firmen Bayer und Novartis Pharma.
Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 6. 7. 2016, revidierte Fassung angenommen: 12.12. 2016
Anschrift für die Verfasser
Dr. med. Susanne Marx-Gross
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Augenklinik und Poliklinik
Langenbeckstraße 1
susanne.marx-gross@unimedizin-mainz.de
Zitierweise
Marx-Gross S, Laubert-Reh D, Schneider A, Höhn R, Mirshahi A, Münzel T,
Wild PS, Beutel ME, Blettner M, Pfeiffer N: The prevalence of glaucoma in young people—findings of the population-based Gutenberg Health Study.
Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 204–10. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0204
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
Zusatzmaterial
eKasten, eTabelle:
www.aerzteblatt.de/17m0204 oder über QR-Code
Präventive Kardiologie und Medizinische Prävention, Kardiologie I, Universitätsmedizin Mainz: Dr. rer. nat. Laubert-Reh, Prof. Dr. med. Wild
Universitätsklinik für Augenheilkunde, Inselspital Bern, Schweiz: Dr. med. Höhn
Augenklinik Dardenne, Bonn: Prof. Dr. med. Mirshahi
Kardiologie I, Universitätsmedizin Mainz: Prof. Dr. med. Münzel, Prof. Dr. med. Wild
Centrum für Thrombose und Hämostase (CTH), Universitätsmedizin Mainz: Prof. Dr. med. Wild
Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung e. V., Mainz: Prof. Dr. med. Wild
Klinik und Poliklinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz: Prof. Dr. med. Beutel
Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik, Universitätsmedizin Mainz: Dr. rer physiol. Schneider, Prof. Dr. rer. nat. Blettner
Artemiskliniken, Frankfurt: Dr. med. Marx-Gross
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Schmidt, Dieter