ArchivDeutsches Ärzteblatt12/2017Mindestmengen: Mehr Vorgaben, mehr Sanktionen

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Mindestmengen: Mehr Vorgaben, mehr Sanktionen

Osterloh, Falk

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Die Evidenz für die Wirksamkeit von Mindestmengen ist hoch. Trotzdem entfalten sie bis heute kaum eine Wirkung. Denn Krankenhäuser, die die Mindestmengen nicht einhalten, werden nicht sanktioniert. Das soll sich bald ändern.

Foto: picture alliance
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Untersuchungen über die Sinnhaftigkeit von Mindestmengen gibt es zuhauf. Im aktuellen Krankenhausreport 2017 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) sind einige neue Zahlen dazu zusammengefasst. So haben Mitarbeiter des Instituts anhand der Routinedaten der AOK untersucht, in welchen Krankenhäusern permanente Stimmbandlähmungen nach einer Schilddrüsenoperationen in den Jahren 2011 bis 2013 am häufigsten vorkamen. Dafür haben sie die Krankenhäuser nach der Zahl der durchgeführten Operationen in Fünftel eingeteilt. Ergebnis: In dem Fünftel der Krankenhäuser, die am wenigsten Schilddrüsenoperationen vornehmen, haben die Patienten ein um 110 Prozent erhöhtes Risiko, eine Lähmung zu erleiden, als in dem Fünftel der Häuser, die die meisten Schilddrüsen-OPs durchführen.

„Das ist beschämend wenig“

Ähnliche Ergebnisse über den Zusammenhang zwischen dem Volumen und dem Outcome sind im Krankenhausreport auch für den Hüftgelenkersatz bei Arthrose oder die Pankreaschirurgie aufgeführt. Zahlen wie diese sind seit Langem bekannt. Sie haben den Gesetzgeber dazu veranlasst, Mindestmengen in sieben Bereichen einzuführen. Komplexe Eingriffe am Ösophagus und am Pankreas dürfen seither zum Beispiel nur in Krankenhäusern vorgenommen werden, die mindestens zehn solcher Operationen pro Jahr durchführen. Bei der Lebertransplantation liegt die Mindestmenge bei 20 Eingriffen, bei Nierentransplantationen bei 25.

Der AOK-Bundesverband ist mit der Mindestmengenregelung in seiner aktuellen Form allerdings nicht zufrieden – aus zweierlei Gründen. „In Deutschland gibt es nur in sieben Bereichen Mindestmengen. Das ist beschämend wenig“, meinte der Vorstandsvorsitzende des Verbandes, Martin Litsch, bei der Vorstellung des Krankenhausreports Ende Februar in Berlin. Er forderte die Einführung von Mindestmengen zum Beispiel auch bei der Geburtshilfe, der Hüftendoprothetik, bei Eingriffen an der Schilddrüse und bei Brustkrebs.

Zudem kritisierte WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber, dass Mindestmengen dort, wo sie existieren, oft nicht eingehalten würden. „Nur etwa die Hälfte der Krankenhäuser, die komplexe Eingriffe am Pankreas vornehmen, kann die Mindestmenge von zehn Operationen überhaupt erreichen.“ Zu ähnlichen Ergebnissen war im vergangenen Jahr ein Team um Ulrike Nimptsch von der Technischen Universität Berlin gekommen (siehe 40/2016).

Gesetz bringt neue Regeln

Damit soll jedoch bald Schluss sein. Mit dem Krankenhaus-Strukturgesetz (KHSG) hat der Gesetzgeber den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beauftragt, „einen Katalog planbarer Leistungen, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, sowie Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen je Arzt oder Standort eines Krankenhauses oder je Arzt und Standort eines Krankenhauses“ zu definieren. Erbringt ein Krankenhaus weniger Leistungen als vom G-BA vorgegeben, erhält es von den Kassen künftig kein Geld mehr für diese Leistungen.

Die Aufgabe ist für den G-BA nicht leicht. Denn zwar ist ein Zusammenhang zwischen erbrachten Leistungen und deren Qualität allgemein akzeptiert. Bei welcher Zahl allerdings die Mindestmenge festgelegt werden soll, ist nach wie vor umstritten. Darauf verweist auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). „Die Logik, bei 50 Operationen darf man, bei 49 nicht, ist nicht nachvollziehbar und dient auch nicht der Sicherung der Versorgung“, heißt es in einer Erklärung der DKG anlässlich des Krankenhausreports. Ähnlich argumentiert auch die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH). Die Höhe der Fallzahlen, ab denen Krankenhäuser komplexe Eingriffe an Bauchspeicheldrüse oder Speiseröhre vornehmen dürfen, müsse „ganz klar“ durch Studien belegt sein und sie müsse sich an eindeutig definierten Schwellenwerten orientieren, meinte der Generalsekretär der DGCH, Prof. Dr. med. Hans-Joachim Meyer, ebenfalls in einer Reaktion auf den Report.

Meyers Vorgänger im Amt des DGCH-Generalsekretärs, Prof. Dr. med. Hartwig Bauer, ist anderer Ansicht. „Es muss endlich Schluss sein mit der Diskussion darüber, dass die genaue Anzahl der vorgegebenen Mengen nicht evidenzbasiert sei“, forderte Bauer bei der Präsentation des Krankenhausreports. „Es gibt eine Evidenz für den Zusammenhang zwischen Häufigkeit und Qualität.“ Nur für einen scharfen Trennwert gebe es keine Evidenz. Der müsse dann administrativ festgelegt werden.

Auch das Bundessozialgericht hat sich mit dieser Thematik befasst. 2012 hatte es die Heraufsetzung der Mindestmenge von 14 auf 30 bei der Betreuung von Frühchen mit einem Geburtsgewicht von unter 1 250 Gramm als unwirksam erklärt. Den Richtern zufolge gebe es gute Belege für die Mindestmenge 14, aber keine ausreichenden Belege, um Qualitätssteigerungen durch eine Schwelle von 30 zu begründen. Eine Klage gegen eine Mindestmenge in Höhe von 14 wies das Gericht drei Jahre später ab.

Streit um Ausnahmen

Problematisch ist die Aufgabe, die der Gesetzgeber dem G-BA im KHSG gegeben hat, zudem deshalb, weil das Gremium Ausnahmetatbestände zu den Mindestmengen vorsehen soll. Denn „um unbillige Härten insbesondere bei nachgewiesener, hoher Qualität unterhalb der festgelegten Mindestmenge zu vermeiden“, soll der G-BA definieren, wann Ausnahmen von der Mindestmengenregelung greifen.

Die DKG ist mit dieser Regelung zufrieden. Die Vorgaben des Gesetzes – erleichterte Festsetzungsmöglichkeiten bei den Schwellenwerten sowie Ausnahmemöglichkeiten bei erwiesener Qualität – seien eine gute Grundlage, Mindestmengen für weitere relevante medizinische Leistungen einzuführen und die Bestehenden weiterzuentwickeln, erklärte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum.

Die Krankenkassen halten die Regelung hingegen für problematisch. „Ohne Not wurde ein Ausnahmetatbestand eingeführt, der es Krankenhäusern ermöglichen soll, die entsprechende Leistung trotz nicht erfüllter Mindestmenge auch weiterhin zu erbringen. Aber wie soll ‚gute Qualität‘ nachgewiesen werden, wenn die Krankenhäuser nur so wenige Leistungen im Jahr erbringen, dass Qualität statistisch überhaupt nicht gemessen werden kann?“, fragt Dr. med. Horst Schuster, der aufseiten des GKV-Spitzenverbandes an den Verhandlungen im G-BA teilnimmt. Wie ein Qualitätsnachweis aussehen könne, der zu einer Abweichung von der Mindestmenge nach unten berechtige, sei völlig unvorstellbar. Überhaupt lägen die bisherigen Mindestmengen auf einem zu niedrigen Niveau. „Sie dienen allein dazu, durch Ausschluss von Gelegenheitsversorgung Risiken und Schaden vom Patienten abzuwenden, indem ein Mindestmaß an Erfahrung und Routine von den Kliniken verlangt wird“, meint Schuster. „Über die erbrachte Qualität liefern Mindestmengen keine Aussage, denn die lässt sich mit diesen kleinen Fallzahlen gar nicht messen.“

Qualität braucht Personal

Die Bundesärztekammer (BÄK) machte auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: „Es wäre hilfreich gewesen, wenn wir von den Krankenkassen nicht nur etwas über Mindestmengen gehört hätten, sondern auch über eine angemessene Mindestpersonalausstattung für die Kliniken“, betonte BÄK-Präsident Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery in einer Reaktion auf den Krankenhausreport. Es sei doch unbestritten, dass ausreichend verfügbares und gut qualifiziertes Personal Grundvoraussetzung für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung sei. Doch wenn es ums Geld gehe, würden die Kostenträger merkwürdig einsilbig.

Derzeit arbeitet der G-BA daran, einen Konsens zum Thema Mindestmengen zu finden. Wie auch immer ein solcher am Ende aussehen wird: Die Zeichen stehen auf Ausweitung der Mindestmengen und damit auch der Zentrenbildung in Deutschland.

Falk Osterloh

Kommentar

Falk Osterloh, D

eutsches Ärzteblatt

Wenige Regelungen im deutschen Gesundheitswesen sind so einleuchtend wie die Mindestmengenregelung. Wer eine Tätigkeit häufig erbringt, kann sie besser durchführen als jemand, der sie selten erbringt. Für jeden, der gesunden Menschenverstand besitzt, ist dies nachvollziehbar. Vor diesem Hintergrund erscheint es kleinkariert, sich jahrelang über die exakte Höhe einer Mindestmenge zu streiten. Ein solcher Wert kann nicht wissenschaftlich festgelegt werden. Alle Beteiligten müssen sich einmal auf einen Wert einigen und sich dann daran halten.

Unerlässlich ist es, diese Regelung mit Sanktionen zu hinterlegen. Dass viele Krankenhäuser die vorgeschriebenen Mindestmengen heute nicht erbringen und dafür noch bezahlt werden, ist nicht hinnehmbar.

Verständlich ist es, dass die betroffenen Krankenhäuser und Ärzte Vorschriften in Form von Mindestmengen ablehnen. Doch hier darf es nur um die Gesundheit der Patienten gehen – und nicht um finanzielles Wohl oder persönliche Befindlichkeiten.

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