THEMEN DER ZEIT
Arztbewertungsportale: Die Kritik der Ärzte
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Was halten niedergelassene Mediziner von Arztbewertungsportalen? Die Ergebnisse einer Onlinebefragung weisen die Bedenken der Ärzte aus.
Nach einer Dekade sind Arztbewertungsportale in der deutschen Gesundheitsversorgung angekommen, das verdeutlichen Zahlen einer online-repräsentativen Umfrage. Demnach hat bereits jeder dritte Internetnutzer Arztbewertungsportale für die Arztsuche verwendet (31 Prozent). Andere Studien zeigen darüber hinaus, dass jeder neunte Internetnutzer (11 Prozent) bereits einen Arzt auf einem der Arztbewertungsportale bewertet hat und zwei von drei Portalnutzern (65 Prozent) bei der Arztwahl durch die Onlinebewertungen beeinflusst werden.
Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie die Bewerteten selbst darüber denken. Betrachten sie die Portale als Chance, vom Patientenfeedback zu lernen? Was sind die größten aktuell bestehenden Schwachstellen der Portale? Diesen Fragen wurde im Rahmen einer online-basierten Befragung nachgegangen, in der niedergelassene Leistungserbringer zur Thematik der Arztbewertungsportale befragt wurden.
Auch positive Effekte
Erste Ergebnisse haben gezeigt, dass von den Portalen positive Effekte ausgehen; so gab mehr als die Hälfte der befragten Ärzte an (55 Prozent), die Onlinebewertungen für Qualitätsverbesserungen heranzuziehen. Diese bezogen sich zumeist auf die Kommunikation mit dem Patienten, den Terminvereinbarungsprozess oder die Abläufe in der Praxis. In den Freitextkommentaren gaben die Mediziner weitere positive Hinweise zu deren Einschätzung. So betrachten sie die Portale als Spiegel für die eigene Praxis („Die Bewertungsportale sind für mich sehr nützlich, um ein Feedback meiner Tätigkeit zu erhalten“), zum anderen auch als Qualitätsorientierung für Patienten, insbesondere vor einem Erstkontakt („Prinzipiell sind sie eine gute Orientierungsmöglichkeit für Patienten“). Ebenso sehen die niedergelassenen Ärzte in guten Bewertungen eine „Bestätigung für die eigene Arbeit“ und sie nutzen die Portale zum Teil als Marketinginstrument, um „gezielt neue Patienten, die zum Profil der Praxis passen“ zu akquirieren.
Es wurden aber auch Kritikpunkte angesprochen, von denen im Folgenden die bedeutsamsten gezeigt werden. Am schwersten wiegt der Aspekt der Anonymität. Die Ärzte kritisieren die Praxis, dass Patienten hinter vorgehaltener Hand ohne Darlegung der eigenen Identität Bewertungen abgeben können. Die Ärzte vermuten, dass hier teilweise schmutzige Wäsche öffentlich gewaschen werde und die Kritik sehr hart und teilweise auch unfair sei. Die Möglichkeit der anonymen Rufschädigung sei nicht tolerabel und sollte abgeschafft werden, so ein anderer Arzt.
Zudem fehle für die Ärzte die Möglichkeit, auf die Kritik der Patienten angemessen reagieren zu können. Bei einigen Patienten können die Ärzte zwar vermuten, wer sich hinter einer schlechten Bewertung verbirgt, und können inzwischen auch auf einigen Arztbewertungsportalen dazu online Stellung beziehen, trotzdem fordert ein Teil der befragten Ärzte die Aufhebung der Anonymität, um damit eine ehrliche und offene Kommunikation zu ermöglichen.
Feld der Manipulation
Am zweitschwersten wiegt der Vorwurf der Manipulationsanfälligkeit der Onlinebewertungen. Diese könne auf vielfältige Weise geschehen, zum einen durch die positive Bewertung der eigenen Arztpraxis. So verweisen die befragten Ärzte darauf, dass sich die Praxisinhaber selbst (positiv) bewerten, um ein positives Erscheinungsbild zu vermitteln. Ein Arzt führt beispielsweise an: „Onlinebewertungen von über 10 Patienten mit der Gesamtnote 1,0 sind geschönt, beauftragt oder anderswie entstanden und letztlich nichtssagend. Schließlich kann es kein Arzt allen recht machen.“
Andere weisen darauf hin, dass sie selbst schon Marketingangebote unterschiedlicher Firmen erhalten haben, welche die Bewertungsnote positiv beeinflussen würden. Zum anderen führen die niedergelassenen Ärzte an, dass Kollegen bewusst mit schlechten Noten bewerten. Diese würden den Kollegen den guten Ruf nicht gönnen und auf diesem Weg einen bewussten Schaden hervorrufen wollen. Aber auch eine mögliche Manipulation durch die Patienten wurde angesprochen. So berichten vereinzelt Ärzte davon, von Patienten mit einer angedrohten negativen Bewertung erpresst worden zu sein, um eine weitere Arbeitsunfähigkeit bestätigt oder bestimmte Rezepte ausgestellt zu bekommen. Andere Ärzte wiederum beklagen sich über Bewertungen von „klar bekennenden Nichtpatienten“, also von Leuten, die nicht in der Praxis behandelt worden sind. Mehrere Ärzte berichten beispielsweise von Patienten, die aufgrund von mangelnder Kapazität in einer Praxis nicht angenommen wurden und daher keinen Termin erhalten haben. Daraufhin hätten diese die Praxis bei allen Bewertungsfragen mit einer Note 6 bewertet.
Frustration als Motiv
Ein weiterer Kritikpunkt zielt auf die von den Portalen verwendeten Bewertungskriterien ab. Ganz allgemein zweifeln die Ärzte daran, ob über die Portale und die verwendeten Bewertungssysteme die Qualität eines Arztes tatsächlich eingeschätzt werden kann. So schreibt ein Arzt: „Ich bin mehr als skeptisch, die Qualität eines Arztes über Bewertungsportale zu erfassen. Die Positionen, die für eine gute Qualität angeführt werden wie die Wartezeit et cetera sind in meinen Augen mehr als drittklassig.“
Auch bewertete Aspekte wie das Entertainment in der Praxis seien diskussionswürdig, für andere Berufsgruppen relevante Aspekte würden hingegen fehlen. Dies führe dazu, dass einige Ärzte die dargestellten Noten als „absolut nichtssagend und grenzwertig“ und „nicht repräsentativ“ ansehen. Viele Ärzte kritisieren auch ganz allgemein die auf allen Arztportalen inzwischen integrierten Freitextfelder, in denen Patienten lediglich „ihren Dampf ablassen“ würden.
Eine ebenfalls große Bedeutung aus der Perspektive der Ärzte nimmt die Subjektivität der Bewertungen der Patienten ein. Diese würden hauptsächlich emotional bewerten und sich über die Freundlichkeit oder Arroganz eines Arztes auslassen. Ein Arzt beschreibt die Bewertungen daher als „emotional, unzutreffend, wirklichkeitsfremd und irrelevant.“ Im Kern kritisiert ein Teil der Ärzteschaft, dass die abgegebenen emotionalen Bewertungen nicht der sachgerechten Information der anderen Portalnutzer dienen, sondern von solchen Patienten mit einem hohen Frustrationslevel und dabei in einer unsachlichen Art und Weise abgegeben werden. Dies geschehe aufgrund des fehlenden Fachwissens der Patienten, die häufig (nicht) durchgeführte Maßnahmen sowie die Beweggründe hierfür nicht richtig einschätzen können. Ein besonderes Problem sei dies, sofern die Erwartungshaltung des Patienten nicht erfüllt werde, was sich sowohl auf die Behandlung als auch das Ergebnis der Behandlung beziehen kann. Die fachliche Kompetenz eines Arztes sei schließlich durch die Patienten nicht objektiv beurteilbar, sondern bleibe immer eine subjektive Einschätzung.
Daneben wird die dargestellte Verzerrung der Bewertungen angesprochen. Es wird angeführt, dass insbesondere unzufriedene bzw. verärgerte Patienten „schnell in die Tasten hauen“, während die zufriedenen Patienten eher selten dazu bewegt werden können, eine Bewertung abzugeben. Ein Arzt schreibt hierzu wie folgt: „Habe circa 15 000 zufriedene oder zumindest nicht unzufriedene Patienten in 16 Jahren behandelt. Davon haben circa 5 eine positive Bewertung abgegeben. Darüber hinaus habe ich circa 15 vernichtende Bewertungen erhalten, wo letztendlich nur Meinungsverschiedenheiten der Auslöser waren.“ Ein paar wenige schlechte Bewertungen würden bereits ausreichen, das ansonsten positive Gesamtbild einer Praxis ins Negative zu verkehren. Es wird dahingehend bemängelt, dass insbesondere ältere Patienten, die bereits seit mehreren Jahr(zehnt)en durch eine Praxis betreut werden, keine Bewertungen im Internet abgeben würden.
Hilflos ausgeliefert
Ein großes Problem sehen die befragten Ärzte darin, der Kritik hilflos ausgeliefert zu sein. So besteht aufgrund der Schweigepflicht eigentlich keine Möglichkeit einer Richtigstellung von Diffamierungen; eine direkte Ansprache der Patienten sei beispielsweise sehr problematisch. Aufgrund der Anonymität der Bewertungen kann der Arzt auch nicht immer zweifelsfrei feststellen, welcher Patient letztendlich eine Bewertung geschrieben hat, sodass eine Reaktion schwierig sei. Viele Ärzte sehen auch darin ein Problem, nichts gegen die Listung auf den Portalen unternehmen zu können und bezeichnen dies als „Zwangsmitgliedschaft“. Man sei hier der Willkür ausgesetzt, ohne die Möglichkeit, etwas dagegen unternehmen zu können.
Zum anderen „vergisst das Netz nichts“, das heißt einmal veröffentlichte geschriebene Bewertungen können nicht mehr gelöscht werden, was zu einer lange anhaltenden Rufschädigung führen kann. So führt ein Arzt an, dass er die schlechten Bewertungen nicht aus dem Portal herausbekomme, auch wenn er schon längst geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen oder eine andere Version des Sachverhaltes geschildert habe.
Unbequeme Wahrheiten
Der Aspekt der Bewertungssysteme wurde bereits angesprochen, allerdings weisen insbesondere Ärzte bestimmter Fachrichtungen auf die Besonderheiten der jeweiligen Disziplin hin, welche überwiegend negativ bewertet werden. Mehrere Ärzte merken an, dass Bewertungsportale insbesondere im Fachbereich Psychotherapie heikel sein. Ein Arzt schreibt beispielhaft: „Die besten Psychotherapeuten verschonen Patienten nicht bezüglich unbequemer Wahrheiten – das ist wissenschaftlich erwiesen. Fehlender Behandlungserfolg entsteht oft, wenn Psychotherapeuten unbequeme Wahrheiten für sich behalten, damit es weiterhin nur nett und freundlich zugeht. Ebenso wissenschaftlich erwiesen. So, wer erhält jetzt wohl welche Bewertungen? Genau. Die Bewertungsportale bieten zu wenig Schutz für Psychotherapeuten.“
Schließlich sieht ein Teil der befragten Ärzte die Werbe- und Marktmacht der Portale ebenfalls kritisch. Die Ärzte führen hierbei an, dass besondere Mitgliedschaften auf den Portalen mit besseren Bewertungen einhergehen können. Daneben bestehe bei einigen wenigen Ärzten der Eindruck, dass bei gebuchten Premiumpaketen negative Bewertungen gezielt beseitigt werden würden. Andere wiederum sehen die Gefahr darin liegend, dass besondere Mitgliedschaften dem Patienten suggerieren können, dass der Arzt ein vertragliches Anrecht auf gute Bewertung haben könnte und die Bewertungen daher nicht neutral und objektiv sein würden. Der beste Arzt auf den Portalen ist demnach der Arzt, der am meisten Budget dafür übrig hat. Daher würden sich einige Ärzte zu einer teuren Premiummitgliedschaft gezwungen fühlen.
Trotz der aufgeführten Kritikpunkte vonseiten der Ärzteschaft sollen aber auch die positiven Effekte Erwähnung finden, so beispielsweise die durch die Onlinebewertungen angeregten Qualitätsverbesserungen. Werden die Bedenken der niedergelassenen Ärzte künftig adressiert und die Portale entsprechend weiterentwickelt, so dürfte sich die Einstellung der Ärzteschaft diesen gegenüber positiv(er) entwickeln. Darin, dass die Portale in der deutschen Gesundheitsversorgung angekommen sind, besteht kein Zweifel mehr. Folglich muss eine Entwicklung angeregt werden, welche vor allem aus gesundheitsökonomischer Perspektive positive Effekte für das deutsche Gesundheitswesen mit sich bringt. Zur Weiterentwicklung der Portale ist daher ein konstruktiver Dialog zwischen den verschiedenen Anspruchsgruppen der Portale (zum Beispiel Patienten, niedergelassene Ärzte, Krankenkassen, Portalbetreiber) unabdingbar.
Prof. Dr. rer. pol. Martin Emmert,
Prof. Dr. med. Uwe Sander,
Dipl.-Volkswirt Benjamin Kolb, Gesundheitsökonom, Nina Meszmer, M. Sc. Management
Qualitative Bewertung
Die qualitativen Ergebnisse einer im September 2015 durchgeführten Umfrage des Forschungsverbundes „Public Reporting – Qualitätstransparenz im Gesundheitswesen“ benennen die Kritik von Ärzten an Gesundheitsportalen. Befragt wurden 25 000 Ärzte per E-Mail im Bundesgebiet. 2 360 Ärzte haben die Umfrage komplett beantwortet. Die quantitativen Ergebnisse wurden im „Journal of Medical Internet Research“ veröffentlicht. Eine von den Autoren zusammengefasste Darstellung der im Rahmen der Umfrage erfolgten qualitativen Aussagen finden sich in diesem Beitrag.
Gorenflos, Peter
Hermann, R.M.
Jung, Dieter
Löhler, Jan
Holderied, Rupert
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.am Samstag, 29. April 2017, 14:24
Unsinn
Als Thema der Zeit mögen wir die Arztbewertungsportale zwar sehen, doch ausschließlich und gerade deshalb ist ein ÄBP eine moderne digitale Entgleisung mit monetärem Interesse und Machtanspruch der einzelnen Anbieter: das kommerzielle Bashing-System! Die meisten Ärzte haben einerseits weder eine Einwilligung zur eigenen Listung abgegeben (z.B. Jameda), noch konnten anderseits Bewertungskriterien ("Entertainment, telefonische Erreichbarkeit, Parkmöglichkeiten ..." etc.) mitgestaltet werden. Das ist klassische Fremdbestimmung. Trotz meiner netten Gesamtnote warne ich alle Ärzte, sich mit einer anonymen Pseudokritik verunglimpfen zu lassen. Viele niedergelassene Ärzte arbeiten am Belastungslimit. Wenn repräsentativ alle treuen wie auch kritischen Patienten unsere Leistung bewerten würden, kann in einem Arztbewertungsportal vielleicht die Existenzberechtigung liegen. Zur Zeit muß jedoch einheitlich von Ärztekammern über Berufverbände bis KBV der Konsensus gefunden und geäußert werden, dass auf den Rücken von Ärzten keine Internetplattform bashen oder anonym kritisieren darf. Unsinn in Reinform ist vielleicht wissenschaftlich erfassbar. Es bleibt aber weiterhin Unsinn.
am Samstag, 29. April 2017, 00:40
nicht nur Bewertung der Ärzte, sondern auch Ranking der Ärzte - aber nach subjektiven Kriterien
Im wissenschaftlichen Umfeld werden heutzutage objektivere Kriterien verwendet, wie z.B. die Bewertung der publikatorischen Tätigkeit durch einen „citation index“, oder der Vortragstätigkeit. Solche nachprüfbaren und objektiven Kriterien finden zur Beurteilung des „medizinischen Reputation“ nach Auskunft der Betreiber dieser Website explizit keine Berücksichtigung, aus meiner Sicht völlig unverständlich und geradezu peinlich.
am Sonntag, 23. April 2017, 21:40
Arztbewertung janz nach Jefühl und Wellenschlag
Schmähungen und Lobpreisungen des Arztes sind als antikes Graffiti oder als Gedenktexte überliefert. Grounded Theory, enthnographische Hermeneutik und objektive Hermeneutik könnten qualitative Ergebnisse aus der Online-Umfrage erschließen, wenn sich Ärzte und Patienten für Gespräche über Mißmut und Zufriedenheit beim Beratungskontakt in diesem Setting äußern.
Das vorliegende Manuskript zeigt die Gemütsbewegungen der betroffenen Ärzte. Im Kontakt mit der Praxis brandete Unmut auf der mit seien Wogen und seinem Wellenschlag durchaus den Versorgungskutter Arztpraxis in Bedrängnis zu bringen vermag.