ArchivDeutsches Ärzteblatt17/2017Nachhaltiges Risikomanagement
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Unter der Überschrift der Arbeit von Havla et al. (1) hätte man Überlegungen zu einem nachhaltigen Risikomanagement als integralen Bestandteil eines evidenzbasierten Therapiekonzeptes der Multiplen Sklerose (MS) erwartet, nicht nur eine Art Frühwarn- und Kontrollsystem für Nebenwirkungen. Ein echtes Risikomanagement bedeutet, dass Indikationsstellungen adaptiert an das bei MS außerordentlich variable Krankheitsrisiko erfolgen müssen. Leider existieren hierzu in der Neurologie statt evidenzbasierter Nutzen-Risiko-Abwägungen lediglich Expertenmeinungen, zum Beispiel das Stufentherapieschema der MS-Leitlinie und eben das „no evidence of disease activity“-Konzept (NEDA). Problematisch ist, dass gemäß NEDA schon das Auftreten neuer Läsionen in der Magnetresonanztomographie (MRT) bei klinisch stabilen Patienten als Therapieversagen und Indikation zur Zweitlinientherapie gewertet werden kann, ohne wissenschaftlich nachgewiesenen Kausalzusammenhang zwischen subklinischer MRT-Aktivität und Langzeitresultat.

Als zweite Konsequenz für Betroffene muss die MS-Immuntherapie ab Diagnose prinzipiell als Dauertherapie durchgeführt werden, um das NEDA-Therapieziel zu erreichen. Das NEDA-Therapiekonzept ist weder evidenzbasiert noch individuell zugeschnitten. Es führt zu einem konsekutiven Durchprobieren zugelassener Immuntherapien, ohne Berücksichtigung potenzieller kumulativer Risiken und Spätfolgen. Bedenkt man zusätzlich die Diagnoseausweitung auf leichte klinische Verläufe infolge der Einführung der McDonald-Kriterien ab 2001, laufen MS-Betroffene derzeit Gefahr, durch Nebenwirkungen größeren Schaden zu erleiden, als sie von der MS allein zu erwarten gehabt hätten.

Um Schlimmeres zu verhüten, könnte man sich beispielsweise erfolgreiche onkologische Forschungs- und Behandlungsnetzwerke (German Hodgkin Study Group [www.ghsg.org], Behandlungsnetzwerk HIT [www.kinderkrebsstiftung.de]) zum Vorbild nehmen, die mittels systematisch aufeinander aufbauender Therapieoptimierungsstudien – und tatsächlich interdisziplinär zusammenarbeitend – die Datengrundlage für eine Risikostratifikation und Risikogruppen-adaptierte Therapie zahlreicher Krebserkrankungen geliefert haben.

DOI: 10.3238/arztebl.2017.0299a

Dr. med. Jutta Scheiderbauer

Trierer Aktionsgruppe Multiple Sklerose

jutta.scheiderbauer@tag-trier.de

Interessenkonflikt

Die Autorin erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

1.
Havla J, Warnke C, Derfuss T, Kappos L, Hartung HP, Hohlfeld R: Interdisciplinary risk management in the treatment of multiple sclerosis. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 879–86 VOLLTEXT
1.Havla J, Warnke C, Derfuss T, Kappos L, Hartung HP, Hohlfeld R: Interdisciplinary risk management in the treatment of multiple sclerosis. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 879–86 VOLLTEXT

Fachgebiet

Der klinische Schnappschuss

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