MEDIZINREPORT
Vernachlässigte Tropenkrankheiten: Bemerkenswerte Fortschritte


Aktuelle Daten der Weltgesundheitsorganisation zeigen, dass Medikamente zur Prophylaxe von NTDs bereits fast eine Milliarde Menschen jährlich erreichen.
Bahnbrechende Fortschritte im Kampf gegen die vernachlässigten Tropenkrankheiten (NTDs) vermeldet der 4. Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der anlässlich eines Gipfeltreffens in Genf vorgestellt wurde. Hierbei gingen Staats- und Regierungschefs, Pharmaunternehmen und gemeinnützige Organisationen weitere Verpflichtungen ein, um die Reichweite und die Auswirkungen der NTD-Programme auf der ganzen Welt zu erweitern. Dazu gehört auch die Bereitstellung von 812 Millionen US-Dollar, um zehn NTDs* (eTabelle) unter Kontrolle zu bringen oder ganz auszurotten.
NTDs gehören zu den schwerwiegendsten Krankheiten der Erde, die vor allem die ärmsten Bevölkerungsschichten betreffen. Einer von 6 Menschen weltweit ist davon betroffen, darunter mehr als eine halbe Milliarde Kinder. NTDs führen zu schweren Einschränkungen und Behinderungen. Sie sind letztendlich ein Grund, dass Kinder nicht zur Schule gehen und Erwachsene nicht arbeiten können; sie verringern damit jede Chance für wirtschaftliches Wachstum. „NTDs gehören zu den schmerzhaftesten, schlimmsten und stigmatisierendsten Krankheiten, die die ärmsten Bevölkerungsgruppen der Welt betreffen“, sagte Bill Gates, Mitvorsitzender der Bill & Melinda Gates Foundation, in Genf.
Nach Angaben des aktuellen WHO-Berichts werden durch konzertierte Aktionen und Partnerschaften heute mehr Menschen von Maßnahmen zur Bekämpfung von NTDs erreicht als je zuvor. So erhielten 2015 fast 1 Milliarde Menschen eine von Pharmaunternehmen gespendete Behandlung für mindestens eine NTD, was eine Steigerung von 36 % seit 2011 bedeutet. Da mehr Regionen und Länder NTDs ausrotten, ist die Anzahl der therapiebedürftigen Menschen von 2 Milliarden in 2010 auf 1,6 Milliarden in 2015 gesunken. „Wir haben rekordverdächtige Fortschritte beobachtet, um alte Geißeln wie die Schlafkrankheit und die Elephantiasis in die Knie zu zwingen“, bemerkte WHO-Generaldirektorin Dr. Margaret Chan.
Dabei würden 2 Ansätze verfolgt: Die Behandlung der gesamten gefährdeten Bevölkerung mit effektiven Medikamenten („Massenbehandlung“) und das „Intensified Disease Management“ (IDM). Hierbei werden verschiedene Maßnahmen − von der Bekämpfung der infektiösen Überträger bis zu chirurgischen Eingriffen − in Einzelfällen eingesetzt, wenn eine großflächige medikamentöse Behandlung nur eingeschränkt möglich ist. Diese Strategie war bei
4 Erkrankungen besonders erfolgreich.
- So nähert sich die Bekämpfung der lymphatischen Filariose (LF) der Ziellinie: 2016 haben 8 Länder (Kambodscha, Cookinseln, Malediven, Marshallinseln, Niue, Sri Lanka, Togo und Vanuatu) die LF eliminiert; und 10 weitere Länder warten auf die Ergebnisse der Überwachung, um die Eliminierung der Krankheit zu bestätigen. Die Zahl der Menschen, die weltweit prophylaktisch behandelt werden müssen, ist von 1,4 Milliarden in 2011 auf weniger als 950 Millionen in 2015 gesunken.
- Noch nie gab es so wenig Erkrankungen an der afrikanischen Trypanosomiasis (Schlafkrankheit): Mit weniger als 3 000 Fällen weltweit wurde 2015 die historisch geringste Fallzahl gemeldet − dies entspricht einer Abnahme um 89 % seit 2000. Innovative Technologien zur Vektorkontrolle und Diagnose, unterstützt durch eine größere Beteiligung gemeinnütziger Produktentwicklungspartnerschaften, revolutionieren Diagnose, Prävention und Behandlung der Schlafkrankheit.
- Seit 2008 sind die Fälle von viszeraler Leishmaniose (VL) in Indien, Nepal und Bangladesch um 82 % zurückgegangen. Grund dafür sind Erfolge bei der Vektorkontrolle, die soziale Mobilisierung von Freiwilligen in den Dörfern, die Zusammenarbeit mit
anderen NTD-Programmen und Medikamentenspenden der Pharmaindustrie. - Die Dracontiasis (Medinawurmerkrankung) steht kurz vor der Ausrottung: 1986 waren weltweit schätzungsweise 3,5 Millionen Menschen an Dracontiasis erkrankt, 2016 wurden nur noch 25 Fälle aus 3 Ländern (Tschad, Äthiopien, Südsudan) gemeldet.
Trotz der erreichten Erfolge mahnte Gates weiteres Engagement an: „Um sicherzustellen, dass die am schwersten erreichbaren Menschen mit verfügbaren Medikamenten versorgt werden können, bedarf es der weiteren und nachhaltigen Kooperation von Pharmaunternehmen, Spendern, Regierungen und Gesundheitsmitarbeitern vor Ort.“
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
* Die 10 vernachlässigten Tropenkrankheiten sind: Onchozerkose (Flussblindheit), Dracontiasis (Medinawurmerkrankung), Elefantiasis, Trachom-Erblindung, Schistosomiasis (Bilharziose), bodenübertragene Helminthosen (Geohelminthosen), Lepra, Chagas-Krankheit, viszerale Leishmaniose und Schlafkrankheit (afrikanische Trypanosomiasis).
Der WHO-Bericht kann abgerufen werden unter: http://daebl.de/RL72
eTabelle im Internet:
www.aerzteblatt.de/17839
oder über QR-Code.