ArchivDeutsches Ärzteblatt18/2017Eichenprozessionsspinner-Allergie: Raupen mit reizenden Brennhaaren

MEDIZINREPORT

Eichenprozessionsspinner-Allergie: Raupen mit reizenden Brennhaaren

Rahlenbeck, Sibylle; Utikal, Jochen

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Nach Kontakt kann es zu Kontakturtikaria und einer toxisch-irritativen Dermatitis kommen, die mit starkem, mehrere Tage andauerndem Juckreiz einhergehen. Das Einatmen der Gifthärchen induziert eine Entzündung der Atemwege.

Abbildung 1: Im Frühsommer kann man die Raupen in Prozessionen an Eichenstämmen entlang hoch zum Blattwerk in der Krone wandern sehen. Fotos: dpa
Abbildung 1: Im Frühsommer kann man die Raupen in Prozessionen an Eichenstämmen entlang hoch zum Blattwerk in der Krone wandern sehen. Fotos: dpa

Seit Jahren ist der wärmeliebende Eichenprozessionsspinner (EPS, Thaumetopoea processionea) auf dem Vormarsch in Europa. Nicht nur in Nordfrankreich, Belgien, Holland und England, sondern auch in den wärmeren Gegenden Deutschlands ist er zu finden, besonders in Brandenburg, Berlin, NRW, Baden-Württemberg und Franken. Die Ausbreitung nach Norden wurde möglich durch eine Abnahme der Spätfröste, wodurch der Schlupf der EPS-Larven synchronisiert wurde.

Mit ihm hat die Raupendermatitis bei Forst- und Gartenarbeitern, aber auch Spaziergängern und Anwohnern stark zugenommen. Denn die Raupen des Schmetterlings tragen ab dem 3. Larvenstadium auf dem Rücken zunehmend feine, mit Widerhaken versehene Härchen („Brennhaare“, Setae, 0,2 mm). Bereits bei leichter Berührung fallen sie ab und können mit dem Wind über weite Strecken transportiert werden. Eine Gefährdung geht besonders von den älteren Raupen aus (5. bis 6. Stadium), die bis zu einer halben Million dieser Brennhaare tragen können. Aber auch die Kokons enthalten Brennhaare. Noch Jahre später können diese Reaktionen auslösen und stellen eine längerfristige Gesundheitsgefahr dar.

Die von Larven- und Puppenstadien beziehungsweise ihren Brennhaaren hervorgerufenen, auf die Haut beschränkten Krankheitsbilder werden als Erucismus oder Raupendermatitis bezeichnet, wohingegen es sich beim Lepidopterismus (Lepidopterae = Familie der Schmetterlinge) um die von erwachsenen Schmetterlingen verursachten, recht unterschiedlichen Krankheitserscheinungen handelt. Diese können Hauterscheinungen und systemische Reaktionen beinhalten. Nach einer Exposition ist fast immer die Haut betroffen, vor allem an unbedeckten Hautpartien wie Nacken, Gesicht und unbekleideten Extremitäten. Der Kontakt mit den Brennhaaren und einem Protein (Thaumetopoein) verursacht eine mechanische und pseudoallergische Hautreizung – Ausschüttung von Histamin und weiteren Kininen – und eine toxisch-irritative Dermatitis.

Prozessionsspinner verursachen Allergien vom Soforttyp (Typ-I-Reaktion). Im verwandten Kieferprozessionsspinner, der im Mittelmeerraum recht häufig ist, wurden 7 Allergene beschrieben (1). Im Vordergrund steht ein äußerst starker Juckreiz, Hautrötung mit Bildung von Quaddeln und Bläschen ist meist vorhanden. Manchmal bilden sich auch insektenstichähnliche Knötchen beziehungsweise Papeln (Abbildung 2). Eingeatmete Brennhaare können zu einer Reizung der oberen Atemwege, bei entsprechender Vorbelastung auch zu Atemnot führen. Werden Brennhaare verschluckt, kommt es zu Schleimhautschwellungen und Entzündungen im Rachenraum.

Abbildung 2: Am Stamm und in Astgabeln bilden sie die typischen tennisballgroßen Gespinste aus. Nicht nur die Raupen selber, sondern auch diese Gespinste beherbergen Raupenhaare.
Abbildung 2: Am Stamm und in Astgabeln bilden sie die typischen tennisballgroßen Gespinste aus. Nicht nur die Raupen selber, sondern auch diese Gespinste beherbergen Raupenhaare.

Sind die Augen betroffen, folgt eine Konjunktivitis mit oft starker Schwellung der Augenlider. Auch Allgemeinreaktionen wie Fieber und Malaise sowie anaphylaktoide Reaktionen bis hin zum anaphylaktischem Schock wurden beschrieben. Die Krankheitsdauer liegt meist bei 1–2 Wochen, Symptome können aber durchaus noch einen Monat später vorhanden sein.

Die Häufigkeit des Vorkommens kann nur geschätzt werden, da Erkrankungsfälle bisher nicht systematisch erfasst wurden, es weder einen spezifischen ICD-10-GM-Code noch eine Meldepflicht gibt und somit eine Auswertung von Krankenkassendaten nicht möglich ist. Datenerhebungen bei niedergelassenen Ärzten und Kliniken in Brandenburg ergaben, dass in den Jahren 2011 und 2012 mehr als 5 700 Patienten eine Praxis wegen EPS-assoziierter Symptome aufsuchten, hiervon war jeder Vierte ein Kind oder Jugendlicher (2, 3).

Fast jeder Betroffene (98 %) klagte über Juckreiz, 15–20 % über Konjunktivitis, 10–12 % über Entzündungen der oberen Atemwege. Bei jedem dritten Patienten wurde eine Arbeitsunfähigkeit attestiert, eine stationäre Behandlung war aber äußerst selten (0,2–0,7 %). Ähnliche Ergebnisse ergab eine Erhebung in Rostock (4).

Abbildung 3: Raupendermatitis am Unterschenkel. Foto: © Utikal
Abbildung 3: Raupendermatitis am Unterschenkel. Foto: © Utikal

Differenzialdiagnose: Zwar treten die Krankheitserscheinungen zuerst an der Haut auf, meist werden aber Allgemeinärzte und Kinderärzte aufgesucht, da oft der Zusammenhang der Krankheitserscheinungen mit dem EPS nicht hergestellt wird. Man kann deshalb eine große Dunkelziffer vermuten. Differenzialdiagnostisch ist speziell bei einem erst kürzlich zurückliegenden Kontakt mit Raupenhaaren an eine Urtikaria sowie an Insektenstichreaktionen zu denken. Aufgrund des vielfachen urtikariellen Aspektes kommt auch das urtikarielle Frühstadium eines bullösen Pemphigoids, ein Sweet-Syndrom oder verschiedene Formen von figurierten Erythemen in Betracht. Bei länger bestehenden Hautveränderungen im Rahmen einer Raupendermatitis muss man auch an eine irritative Dermatitis anderer Genese sowie an eine polymorphe Lichtdermatose denken. Ebenso sind Exantheme anderer Ursache immer differenzialdiagnostisch zu erwägen. Aufgrund der Konjunktivitis, Pharyngitis und der auch vorkommenden asthmatischen Beschwerden müssen auch andere allergische und toxische Ursachen ausgeschlossen werden (5). Nach Kontakt empfehlen sich:

  • Sofortiger Kleiderwechsel und der Versuch, mit einem Klebeband vorhandene Brennhaare von der Haut abzunehmen.
  • Duschbad mit Haarwäsche.
  • Bei Augenbeteiligung das Spülen mit Wasser.
  • Hautreaktionen können lokal symptomatisch mit mittelstark bis stark wirksamen topischen Kortikosteroiden behandelt werden.
  • Bei Konjunktivitis ophthalmologische Externa, die auch ein Antiseptikum enthalten.
  • Gegen den meist stark ausgeprägten Juckreiz sind orale Antihistaminika hilfreich.
  • Bei respiratorischen Symptomen ist der Einsatz von Betasympathomimetika und/oder steroidhaltigen Dosieraerosolen indiziert.
  • Schwerere Verläufe können eine systemische Kortikosteroidtherapie notwendig machen.

Bekämpfung und offene Fragen: Aus Sicht des Gesundheitsschutzes ist eine Bekämpfung notwendig, wenn befallene Bäume in der Nähe von Kindergärten, Schulen oder Erholungsgebieten stehen, wobei die Hauptgefährdungszeit in die Urlaubszeit fällt: von Mitte Juni bis August. Für eine Bekämpfung kommt besonders das mechanische Absaugen (Sauger Filterklasse H, Atemschutzgeräte Vollmaske mit FFP-2-Filter) infrage oder der Einsatz von Insektiziden (6). Ein breiter Einsatz chemischer Mittel ist aber aus Umweltsicht bedenklich, da die Mittel oft über eine Breitbandwirkung verfügen und daher auch Nützlinge abtöten (7).

Da es keine standardisierte Nachweismethode für Brennhaare gibt, ist die Dosis-Wirkungs-Beziehung noch unklar. Auch der genaue Ablauf des Krankheitsprozesses ist unbekannt und bedarf gezielter Untersuchungen. Dermatologische Untersuchungsmethoden fehlen, und auch die Einordnung des Krankheitsbildes sowie Kriterien der Diagnosestellung sind bisher nicht geklärt (8).

Dr. med. Sibylle Rahlenbeck
Public Health Advisor, Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, Eschborn

Prof. Dr. med. Jochen Utikal
Klinische Kooperationseinheit Dermato-Onkologie des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1817
oder über QR-Code.

1.
Rodriguez-Mahillo A, Gonzalez-Munoz M, Vega JM, et al.: Setae from the pine processionary moth (Thaumetopoea pityocampa) contain several relevant allergens. Contact Dermat 2012; 67: 367–74 CrossRef MEDLINE
2.
Floss H: Eichenprozessionsassoziierte gesundheitliche Gefahren im Land Brandenburg. In: Ökologische Schäden, gesundheitliche Gefahren und Maßnahmen zur Eindämmung des Eichenprozessionsspinners im Forst und im urbanen Grün. Julius-Kühn-Archiv 2011; 440: 34–6.
3.
Baeker R, Korn M, Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (MUGV): EPS-assoziierte Symptome bei niedergelassenen Ärzten im Land Brandenburg. http://www.bfr.bund.de/cm/343/eps-assoziierte-symptome-datenerhebung-2012-bei-niedergelassenen-aerzten-im-land-brandenburg.pdf (last accessed on 9 March 2017).
4.
Gloyna K: Der Eichenprozessionsspinner: Biologie, gesundheitliche Relevanz und Gegenmaßnahmen. Jahrestagung DGMEA, Basel 26.–28. 9. 2013, Abstract 10.
5.
Utikal J, Booken N, Peitsch WK, Kemmler N, Goebeler M, Goerdt S: Lepidopterismus. Ein zunehmendes Problem in klimatisch wärmeren Regionen Deutschlands. Hautarzt 2009; 60: 48–50 CrossRef MEDLINE
6.
Stang C, Schwander M: Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners (Thaumetopoea processionea) zum Schutz der menschlichen Gesundheit im öffentlichen Raum. UMID 2, 2015. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/umid_02-2015-2_bekaempfung_eichenprozessionsspinner.pdf (last accessed on 27 March 2017).
7.
Jäckel B: Erfahrungen und Versuchsergebnisse bei der Eindämmung des EPS in einer Großstadt. Fachgespräch EPS, Berlin 2012.
8.
Umweltbundesamt: Eichenprozessionsspinner. Antworten auf häufig gestellte Fragen, 2016. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/eichenprozessionsspinner (last accessed on 27 March 2017).
1.Rodriguez-Mahillo A, Gonzalez-Munoz M, Vega JM, et al.: Setae from the pine processionary moth (Thaumetopoea pityocampa) contain several relevant allergens. Contact Dermat 2012; 67: 367–74 CrossRef MEDLINE
2.Floss H: Eichenprozessionsassoziierte gesundheitliche Gefahren im Land Brandenburg. In: Ökologische Schäden, gesundheitliche Gefahren und Maßnahmen zur Eindämmung des Eichenprozessionsspinners im Forst und im urbanen Grün. Julius-Kühn-Archiv 2011; 440: 34–6.
3.Baeker R, Korn M, Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (MUGV): EPS-assoziierte Symptome bei niedergelassenen Ärzten im Land Brandenburg. http://www.bfr.bund.de/cm/343/eps-assoziierte-symptome-datenerhebung-2012-bei-niedergelassenen-aerzten-im-land-brandenburg.pdf (last accessed on 9 March 2017).
4.Gloyna K: Der Eichenprozessionsspinner: Biologie, gesundheitliche Relevanz und Gegenmaßnahmen. Jahrestagung DGMEA, Basel 26.–28. 9. 2013, Abstract 10.
5.Utikal J, Booken N, Peitsch WK, Kemmler N, Goebeler M, Goerdt S: Lepidopterismus. Ein zunehmendes Problem in klimatisch wärmeren Regionen Deutschlands. Hautarzt 2009; 60: 48–50 CrossRef MEDLINE
6.Stang C, Schwander M: Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners (Thaumetopoea processionea) zum Schutz der menschlichen Gesundheit im öffentlichen Raum. UMID 2, 2015. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/umid_02-2015-2_bekaempfung_eichenprozessionsspinner.pdf (last accessed on 27 March 2017).
7.Jäckel B: Erfahrungen und Versuchsergebnisse bei der Eindämmung des EPS in einer Großstadt. Fachgespräch EPS, Berlin 2012.
8.Umweltbundesamt: Eichenprozessionsspinner. Antworten auf häufig gestellte Fragen, 2016. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/eichenprozessionsspinner (last accessed on 27 March 2017).
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