ArchivDeutsches Ärzteblatt22-23/2017Prehabilitation: „Fit“ werden für eine Operation

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Prehabilitation: „Fit“ werden für eine Operation

Bloch, Wilhelm

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Die Prehabilitation steht noch am Anfang, doch das Potenzial ist erheblich. Individuell angepasste präoperative Bewegungs- und Sporttherapien können die Komplikationsrate reduzieren und verbessern die Lebensqualität der Patienten.

Der Begriff Prehabilitation steht – analog zur Rehabilitation – für den Aufbau von Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer bereits vor dem Eingriff. Dieses neue Konzept soll mit speziellen Trainingsprogrammen für Mus - kulatur und Kreislauf Patienten helfen, gestärkt in eine Operation hineinzugehen und sich hinterher auch schneller wieder zu erholen. Das funktioniert selbst bei schwer kranken Menschen. Durch gut dosierte und gezielte Reize für den Körper werden nicht nur die Muskulatur und das Herz-Kreislauf-System aktiviert, sondern auch andere Körperfunktionen angesprochen, etwa die Gelenkfunktion und das Immunsystem. Fotos: iStockphoto
Der Begriff Prehabilitation steht – analog zur Rehabilitation – für den Aufbau von Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer bereits vor dem Eingriff. Dieses neue Konzept soll mit speziellen Trainingsprogrammen für Mus - kulatur und Kreislauf Patienten helfen, gestärkt in eine Operation hineinzugehen und sich hinterher auch schneller wieder zu erholen. Das funktioniert selbst bei schwer kranken Menschen. Durch gut dosierte und gezielte Reize für den Körper werden nicht nur die Muskulatur und das Herz-Kreislauf-System aktiviert, sondern auch andere Körperfunktionen angesprochen, etwa die Gelenkfunktion und das Immunsystem. Fotos: iStockphoto

Die körperliche Leistungs- und Funktionsfähigkeit ist ein wesentlicher prognostischer Faktor für die Komplikationsrate und die Rehabilitation bei operativen Eingriffen – aber auch bei vielen nichtoperativen Behandlungen. Daher gilt es zunehmend, die Patienten bereits vor Operation und Therapie gezielt im Sinne einer Rehabilitation vorzubereiten. Diese Prehabilitation dient als Maßnahme zur weitestmöglichen präoperativen Optimierung der Körperfunktionen als Voraussetzung zum Erhalt eines „für den jeweiligen Patienten“ optimalen Levels der körperlichen Leistungs- und Funktionsfähigkeit während und nach Operationen (1).

Dosierte Reize

Dafür sind Maßnahmen gefragt, die die physischen und psychischen Voraussetzungen für ein möglichst komplikationsloses Überstehen von Operationen schaffen und eine möglichst optimale und schnelle Regeneration erlauben. Sport- und/oder Bewegungstherapie hilft, durch dosierte Reize nicht nur Muskulatur und Herzkreislaufsystem zu aktivieren, sondern auch Bewegungsapparat und Immunsystem auf die Operationsbelastung vorzubereiten.

Häufig wird der physische und psychische Zustand von Patienten durch verstärkte Inaktivität im Vorfeld von geplanten Operationen negativ beeinflusst und die Wiederherstellung des gewünschten Gesundheits- beziehungsweise Funktionszustands erschwert. Ziel sollte es daher sein, dass Patienten präoperativ einen möglichst guten Fitnesszustand mitbringen (2), um den Operationserfolg zu verbessern. Ein Weg dazu sind spezielle Trainingsprogramme (Physiotherapie, Bewegungs- und Sporttherapie) für:

  • Bewegungsapparat,
  • Herz-Kreislauf-System,
  • Lungenfunktion,
  • Stoffwechsel und/oder
  • Immunsystem.

Nach neueren Studien kann eine – individuell angepasste – Prehabilitation den Operationserfolg auch bei schwer kranken Patienten verbessern (3). Prehabilitation wird derzeit vor allem vor orthopädischen Eingriffen genutzt. Aber auch herzchirurgische Operationen und große viszeralchirurgische Eingriffe können mit Bewegungs- und Sporttherapie vorbereitet werden. Zunehmend in den Blickpunkt rückt die Prehabilitation bei Tumorpatienten nicht nur präoperativ (4), sondern auch vor Chemotherapie oder Bestrahlung (5).

Die Prehabilitation unterliegt höheren Anforderungen als die klassischen präventiven und rehabilitativen Maßnahmen, um die kurze, meist nur wenige Wochen dauernde präoperative Zeit optimal nutzen zu können. Insbesondere Patienten mit erhöhtem Risikoprofil aufgrund eines schlechten körperlichen Fitnesszustands und Ältere profitieren von der Verbesserung der physischen Funktionen und des Leistungszustands (6, 7).

Foto: iStockphoto
Foto: iStockphoto

Die Funktion des Bewegungsapparats kann durch Prehabilitation bei Patienten vor Knie- und Hüftgelenkersatz verbessert werden, was wiederum die Rehabilitation positiv beeinflusst. Patienten mit schweren funktionellen Einschränkungen der Gelenkbeweglichkeit können besonders von der Prehabilitation durch Bewegungstherapie profitieren (8), auch wenn einige Studien infrage stellen, inwieweit es postoperativ zu einer direkten Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit kommt (9).

Der Erfolg der Prehabilitation kann nicht nur an der Wiederherstellung der Gelenkbeweglichkeit gemessen werden. Präoperatives Muskeltraining reduziert auch die postoperative Muskelatrophie. Alternativ kann die Elektromyostimulation zum Einsatz kommen (10).

Bewegungs- und Sporttherapie als Baustein einer komplexen Prehabilitation kann Ausdauer-, Kraft- sowie Koordinationstraining und – abgestimmt auf den Fitnesszustand des Patienten – Trainingseinheiten unterschiedlicher Intensität und Volumen beinhalten. Es kann reichen vom einfachen Training auf dem Fahrradergometer über Krafttraining mit und ohne Geräte bis hin zu Training im Wasser, sensomotorischem Training oder Atemtraining. Idealerweise sollte die Prehabilitation auch Ernährungsmanagement und psychologische Behandlung beinhalten (5).

Übersichtsarbeiten

Der erste systematische Review zur Prehabilitation umfasst 12 Studien mit Patienten vor herzchirurgischen, abdominalen und Gelenkersatzoperationen. Das Ergebnis: Nur für die kardiochirurgischen und abdominalen Eingriffe konnte eine kürzere Krankenhausverweildauer und eine Reduktion der postoperativen Komplikationen belegt werden (3).

Ein weiterer systematischer Review von 6 Prehabilitationsstudien zur Vorbereitung auf elektive Abdominaloperationen zeigt, dass zumindest in 2 Studien eine Verbesserung der körperlichen Fitness, in 2 eine Reduktion der postoperativen Komplikationen und in 3 Studien eine Verbesserung der Lungenfunktion erreicht werden konnte. Eine weitergehende Analyse – insbesondere zu den Trainingsmodalitäten – war aufgrund der heterogenen Trainingsinterventionen nicht möglich (11).

Ähnliche Verbesserungen der körperlichen Fitness und eine Reduktion der Komplikationsrate zeigt eine Metaanalyse bei Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSLC). Neben der körperlichen Leistungsfähigkeit, der Komplikationsrate und der Krankenhausverweildauer wurde die Lebensqualität der Patienten durch die Prehabilitation positiv beeinflusst (12).

Der Effekt von Atem(muskel)training vor herzchirurgischen Eingriffen wurde in 17 Studien mit mehr als 2 000 Patienten analysiert; hier ergibt sich eine Evidenz für die Reduktion (Hazard-Ratio 0,39) pulmonaler Komplikation durch diese spezifische Prehabilitation (13).

Ausblick

  • Trotz der insgesamt noch begrenzten klinischen Studienlage dürfte das Potenzial der Prehabilitation erheblich sein.
  • Es sind jedoch dringend klinische Studien zur Evidenz und zu den genauen Effekten der Prehabilitation notwendig. Das Verständnis und Wissen um die Wirkmechanismen von spezifischen Bewegungs- und Sporttherapien sollte es ermöglichen, individualisierte Trainingsprogramme für die Patienten zu entwickeln, die den Nutzen der Prehabilitation erhöhen können.
  • Die Trainingsprogramme müssen individualisiert werden, um den stark variierenden Anforderungen der verschiedenen Krankheitsentitäten zu entsprechen.
  • Die bisherigen Studien im Bereich der Prehabilitation zeichnen sich durch eine hohe Heterogenität der Trainingsintervention, der Trainingsdauer (von wenigen Wochen bis zu mehreren Monaten) und der Trainingshäufigkeit aus. Dadurch ist ihre Vergleichbarkeit limitiert. Dies erklärt, warum die Ergebnisse der klinischen Studien trotz positiver Grundtendenz im Detail voneinander abweichen (11, 14).
  • Die Prehabilitation dürfte nicht nur einen großen Nutzen für die Patienten haben, sondern auch zu finanziellen Vorteilen im Gesundheitssystem führen. Fittere Patienten, die schneller und besser ihre Funktionsfähigkeit weitestmöglich zurückgewinnen, belasten die Solidargemeinschaft in geringerem Maß. Diese Annahme wird durch eine randomisiert kontrollierte Studie untermauert, wonach die Prehabilitation in Kombination mit früher Rehabilitation kosteneffektiver ist als die konventionelle Rehabilitation allein (15).

Prof. Dr. med. Wilhelm Bloch

Institut für Kreislaufforschung und

Sportmedizin, Deutsche Sporthochschule Köln

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2217
oder über QR-Code.

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2.
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3.
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4.
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5.
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13.
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