SCHLUSSPUNKT
Berühmte Entdecker von Krankheiten: Baron Guillaume Dupuytren, der „Napoleon der Chirurgie“


Der Leibarzt der französischen Könige Ludwig XVIII. und Karl X. war ein herausragender Chirurg, brillanter Diagnostiker und unermüdlicher Arbeiter, persönlich aber umstritten. Balzac setzte ihm in der Novelle „Die Messe des Atheisten“ ein Denkmal.
Seine Biografen überlieferten zwei Leitsätze Guillaume Dupuytrens, die viel über seine Persönlichkeit und Berufsauffassung verraten: „Nichts sollte ein Mann so sehr fürchten wie die Mittelmäßigkeit“ und „Wer gut urteilt, heilt gut“. Das erste Motto lässt erahnen, wie ehrgeizig und perfektionistisch er war. Das zweite weist darauf hin, welche große Bedeutung der französische Chirurg einer fundierten Diagnose auf der Basis von umfassender Untersuchung und Krankenanamnese beimaß. Mit nur 38 Jahren wurde Dupuytren 1815 nach einer beispiellosen Karriere Professor für klinische Chirurgie und Chefarzt des berühmten Krankenhauses Hôtel-Dieu in Paris, das unter seiner Leitung Weltruf erlangte. In seiner insgesamt rund 30-jährigen Tätigkeit an der Klinik wagte er als erster Chirurg eine Resektion des Unterkiefers. Er war ein Pionier auf dem Gebiet der Gefäß- und Extremitätenchirurgie und drainierte einen Hirnabszess in einer Zeit, als es noch keine Antibiotika gab. Dupuytrens neuartige Operation der Beugekontraktur der Finger, die er 1831 an einem Weinhändler vornahm und die seinen Namen in die Medizingeschichte schrieb, war für seine Zeitgenossen angesichts seiner an Höhepunkten reichen Laufbahn allerdings kaum der Beachtung wert.
Dupuytren wurde 1777 bei Limoges geboren. Teils bei Pflegeeltern in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, avancierte er durch seine anatomischen und pathologischen Kenntnisse, sein außergewöhnliches diagnostisches und operatives Talent, seinen Fleiß und seine mit Ehrgeiz und Ellenbogen betriebene Karriere zum bekanntesten und reichsten Arzt seiner Zeit. Seiner einzigen Tochter hinterließ er ein Millionenvermögen. Nach seinem Medizinstudium hatte er sich in Paris schnell in der Anatomie hochgearbeitet und 1802 eine Anstellung als Chirurg dritter Klasse am Hôtel-Dieu ergattert, wo er schließlich bis an die Spitze aufstieg. Als Chefchirurg war er zeitweise für 300 Kranke verantwortlich – eine Herkulesaufgabe, aber für ihn nicht genug. Neben dem Klinikbetrieb soll er noch bis zu 10 000 Patienten im Jahr behandelt haben: darunter Berühmtheiten wie Napoleon I. sowie nach der Rückkehr der Bourbonen auf den französischen Thron Ludwig XVIII., der ihm den Titel eines Barons verlieh, und dessen Nachfolger Karl X.
Dupuytrens Arbeitspensum am Hôtel-Dieu war legendär, sein früher Tod 1835 mit 58 Jahren wohl die Folge seines Dauereinsatzes: Jeden Tag stand er um fünf Uhr auf und machte von sechs bis neun Uhr Visite. Danach hielt der brillante Dozent eine einstündige Vorlesung vor Hunderten Studenten und anschließend Sprechstunde für seine auswärtigen Patienten. Am Abend folgte eine zweite Visite von 18 bis 19 Uhr, selten verließ er das Hospital vor 23 Uhr. Von seinen Assistenten verlangte er denselben unermüdlichen Einsatz: Er galt als autoritärer, unnahbarer, barscher Chef, der keinen Widerspruch duldete, was ihm den Ruf eines „Brigand de l’Hôtel-Dieu“ und „Napoléon de la chirurgie“ einbrachte. Seine Patienten indes profitierten von seinem akribischen Interesse, bei schweren Fällen stand er mehrfach am Tag am Bett. Seine intuitive Gabe, mit zwei Fragen an den Kranken die Ursache seiner Beschwerden zu erkennen, galt als bemerkenswert.
1833 erlitt Dupuytren während einer Vorlesung einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte. Honoré de Balzac verewigte den berühmten Zeitgenossen einige Monate nach dessen Tod in seiner Novelle „Die Messe des Atheisten“. Über die widersprüchliche Figur des Chirurgen Dr. Desplein heißt es dort: „Despleins Ruhm und Fähigkeiten waren unangreifbar, deshalb attackierten seine Feinde seine eigentümlichen Launen und seinen Charakter, obwohl er in Wirklichkeit nur das war, was die Engländer exzentrisch nennen.“ Sabine Schuchart
1832 beschrieb der Pariser Chirurg Guillaume Dupuytren die später nach ihm benannte Beugekontraktur der Finger als Folge von gutartigen Wucherungen des Bindegewebes der Handinnenfläche. Die Erkrankung war schon lange bekannt, aber Dupuytren wies darauf hin, dass dafür nicht die Beugesehnen verantwortlich sind, sondern die Knotenbildung und strangförmige Verdickung der Hohlhandfasern. Sehr innovativ setzte er im Operationssaal bereits die Fasziotomie ein: Er entfernte die Faszienstränge nicht, sondern trennte diese nur durch – ähnlich der heute zur Therapie unter anderem angewandten, allerdings weniger invasiven Nadelfasziotomie. Bei der Dupuytren-Krankheit spielen genetische Faktoren eine wichtige Rolle. Sie tritt – bei unterschiedlicher Verlaufsschwere – vor allem in Mittel- und Nordeuropa sowie Nordamerika gehäuft auf: Etwa 20 Prozent der mehr als 60-Jährigen, dabei deutlich mehr Männer als Frauen, sind betroffen. Die Deutsche Dupuytren-Gesellschaft als Mitglied der International Dupuytren Society widmet sich dieser Krankheit.
Bucher, Hans