MEDIZIN: Originalarbeit
Entscheidungs-Entbindungszeit und perinatale Komplikationen bei Notkaiserschnitt
Decision-to-delivery time and perinatal complications in emergency cesarean section
; ; ; ; ; ; ; ;
Einführung: Seit Langem wird bei Notsectiones eine Entscheidungs-Entbindungszeit (E-E-Zeit) von 20 Minuten verlangt. Allerdings finden sich kaum Arbeiten, die diese Forderung untermauern. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, diese Thematik für die häufigsten Indikationsstellungen, dem Verdacht auf fetale Asphyxie beziehungsweise der festgestellten fetalen Asphyxie, zu untersuchen.
Methode: Daten stationärer Notsectiones der Jahre 2008–2015 wurden analysiert. Erniedrigte 5- und 10-Minuten-Apgar-Scores (Punkteschema, bestehend aus Atmung, Herzfrequenz, Muskeltonus, Hautfarbe und Reflexauslösbarkeit) dienten als primäre, Säure-Basen-Status der Nabelschnurarterie sowie Versterben des Kindes im Krankenhaus als sekundäre Endpunkte von rohen und – unter anderem nach Gestationsalter, Alter der Mutter und Kindslage – adjustierten Analysen.
Ergebnisse: 39 291 Neugeborene wurden eingeschlossen. Die E-E-Zeit betrug in 64,6 % der Fälle ≤ 10 Minuten, in 34,3 % zwischen 11 und 20 Minuten und in 1,1 % über 20 Minuten. Erniedrigte Apgar-Scores fanden sich seltener bei Kindern, deren Notsectiones innerhalb von 10 beziehungsweise 20 Minuten erfolgte. Zum Beispiel lag für den 10-Minuten-Apgar-Score < 4 die adjustierte Odds Ratio bei 0,49 und das 95-%-Konfidenzintervall bei [0,25; 0,96], wenn eine E-E-Zeit > 20 Minuten als Referenzkategorie hinzugezogen wurde.
Schlussfolgerung: In der bislang größten populationsbezogenen risikoadjustierten Analyse zeigte sich erstmals eine Assoziation zwischen E-E-Zeiten von höchstens 20 Minuten und der Vermeidung von kindsgefährdenden Outcomes. Da derartige geburtshilfliche Notfälle im Vorfeld nicht ausgeschlossen werden können, scheint es sinnvoll, Strukturen vorzuhalten, die eine Notsectio innerhalb von 20 Minuten erlauben.


Eine Entscheidungs-Entbindungszeit (E-E-Zeit) von 20 Minuten ist seit Langem ein Qualitätsindikator bei Notsectiones in der gesetzlichen Qualitätssicherung in Deutschland (1). Allerdings findet sich in der wissenschaftlichen Literatur kaum empirische Evidenz, die diesen Schwellenwert untermauert (2).
Eine Leitlinie des staatlichen britischen Gesundheitssystems (National Health Service, NHS) aus dem Jahr 2011 empfiehlt eine E-E-Zeit von 30 Minuten, falls eine unmittelbare Lebensbedrohung für Mutter und/oder Kind vorliegt. Andernfalls sollen 75 Minuten zumeist ausreichen und in seltenen Fällen 30 Minuten eingehalten werden. Dabei sollen diese Schwellenwerte gemäß NHS-Leitlinie nur als Standard für ein Audit gelten und nicht verwendet werden, um per se das multidisziplinäre Team oder einzelne Notsectiones zu beurteilen (3). Ein systematisches Review mit einer Metaanalyse aus dem Jahr 2014 konstatiert, dass international ein 30-Minuten-Intervall oft nicht erreicht wird und dessen Nutzen unklar ist, weil kürzere E-E-Intervalle oft nicht mit einem besseren Outcome von Neugeborenen oder Müttern assoziiert waren (2).
Ziel dieser Arbeit war es daher, risikoadjustierte empirische Analysen auf Basis einer umfangreichen Datenbasis vorzulegen. Die Datenbasis sollte den Zusammenhang zwischen einer E-E-Zeit von höchstens 20 Minuten und einem besseren kindlichen Outcome bei Verdacht auf beziehungsweise bei festgestellter fetaler Asphyxie, der mit Abstand häufigsten Indikationsstellung einer Notsectio, bestätigen können. Die wissenschaftliche Untersuchung scheint unabdingbar, um den Qualitätsindikator auch weiterhin fordern zu können.
Methode
Daten der Perinatalerhebung aus den Jahren 2008–2015 wurden genutzt. Die Perinatalerhebung ist im Hinblick auf die gesetzliche Qualitätssicherung seit dem Jahr 2001 verpflichtend bei allen stationären Geburten. In der jährlich überarbeiteten Perinatalerhebung werden Informationen zur Mutter, zur jetzigen Schwangerschaft und Entbindung wie auch zum Neugeborenen in zuletzt 189 Datenfeldern abgefragt. Diese Daten werden genutzt, um mithilfe von systematischen Qualitätsanalysen und anschließenden Rückkopplungsprozessen die Versorgungsqualität zu sichern sowie zu verbessern (4–10).
Neugeborene mit einem Gestationsalter von 24–45 abgeschlossenen Schwangerschaftswochen, wurden eingeschlossen, wenn eine der folgenden (Haupt-)Indikationen für die Notsectio angegeben worden war:
- pathologische Kardiotokografie (CTG)
- schlechte Herztöne
- durch Fetalblutanalyse festgestellte Asphyxie.
Die E-E-Zeit wird in der Perinatalerhebung minutengenau erhoben. Folgende Ausschlusskriterien wurden festgelegt:
- Notsectiones mit einer E-E-Zeit von mehr als 3 Stunden
- Totgeburten, die vor Krankenhausaufnahme verstorben waren beziehungsweise bei denen der Todeszeitpunkt vor der Geburt lag oder unbekannt war
- Kinder mit Fehlbildungen.
Fehlbildungen wurden gemäß der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD), die im Rahmen des Verfahrens zur Qualitätssicherung mit Routinedaten definiert wurden, codiert. Dort war auf Basis etablierter Fehlbildungslisten sowie empirischer Analysen mit Abrechnungsdaten nach § 301 Sozialgesetzbuch (SGB) V mit einem 1-Jahres-Follow-up in einem mehrstufigen Panelprozess eine Fehlbildungsliste erarbeitet worden. Dabei waren methodische und medizinische Fachexperten beteiligt (11–13).
Erniedrigte 5- und 10-Minuten-Apgar-Scores (Punkteschema bestehend aus Atmung, Herzfrequenz, Muskeltonus, Hautfarbe und Reflexauslösbarkeit), dienten als primäre Analyseendpunkte. Das Versterben des Kindes im Krankenhaus, eine über den Nabelschnurarterien-pH-Wert gemessene Azidose mit einem pH-Wert < 7,0 beziehungsweise eine Basenabweichung unter –16 mmol/L wurden als sekundäre Analyseendpunkte genutzt.
Mithilfe von logistischen Regressionen wurden bivariate und risikoadjustierte Analysen durchgeführt. Dabei wurden, unter Berücksichtigung der – in der Literatur diskutierten sowie in der Perinatalerhebung dokumentierten – Risikofaktoren, Risikoadjustierungsmodelle entwickelt (14). Diese sind in Tabelle 1 aufgelistet (vollständige Darstellung in eTabelle 1). In den finalen Modellen verblieben nur signifikante Einflussfaktoren mit plausiblen Assoziationen mit den betrachteten Outcomes. Diese finalen Risikoadjustierungsvariablen sind in den Legenden der Tabellen 2–4 beschrieben.
Aufgrund der geringen Power der Studie wurden zunächst Analysen für E-E-Zeiten von 10, 20 und 30 Minuten durchgeführt. Anschließend wurden die Analysen auf Endpunkte mit einer Prävalenz von mindestens 2 % beschränkt und Assoziationen für E-E-Zeiten von maximal 5, 10, 15 und 20 Minuten berechnet. Um beurteilen zu können, welche Effekte geänderte E-E-Zeiten auf die kindlichen Outcomes in einer Public-Health-Perspektive hätten, wurden auf Basis der logistischen Regressionen erwartete Ereignisse unter Idealbedingung berechnet. Die Idealbedingung bedeutete, dass alle Notsectiones innerhalb der vorgegebenen E-E-Zeit entbunden wurden. Diese Erwartungswerte wurden von den aktuell beobachteten Ereignissen subtrahiert und als potenziell vermeidbare Ereignisse beziehungsweise Anteile von potenziell vermeidbaren Ereignissen ausgewiesen (15).
Ergebnisse
39 291 Neugeborene wurden in die Analyse eingeschlossen. Die Verteilung der E-E-Zeiten zeigt sich wie folgt:
- 12,2 %: höchstens 5 Minuten
- 52,4 %: 6–10 Minuten
- 24,6 %: 11–15 Minuten
- 9,7 %: 16–20 Minuten.
Für 296 Neugeborene (0,8 %) wurde eine E-E-Zeit von 21–30 Minuten und lediglich für 120 (0,3 %) eine E-E-Zeit über 30 Minuten angegeben. 225 der analysierten Kinder (0,6 %) verstarben während des Krankenhausaufenthaltes, 1 151 wiesen einen 10-Minuten-Apgar-Score < 7 (2,9 %) und 435 (1,1 %) einen 10-Minuten-Apgar-Score < 4 auf. Bei 1 768 Neugeborenen (4,5 %) wurde ein pH-Wert unter 7,0 und bei 1 124 (2,9 %) eine Basenabweichung von unter –16 mmol/L angegeben.
Gemäß der verbreiteten Definition von Wachstumsretardierung wurden die leichtesten 10 % der Neugeborenen, adjustiert nach dem Gestationsalter, als wachstumsretardiert eingestuft (n = 8 344).
In Tabelle 2 finden sich die Zusammenhänge zwischen E-E-Zeiten unterschiedlicher Schwellenwerte (10, 20 und 30 Minuten) mit dem kindlichen Outcome (vollständige Darstellung in eTabelle 2). Neugeborene mit E-E-Zeiten von höchstens 10 beziehungsweise 20 Minuten wiesen seltener erniedrigte Apgar-Scores auf. Bei Kindern mit E-E-Zeiten von höchstens 20 Minuten zeigte sich für den 5-Minuten-Apgar-Score < 4 in risikoadjustierten Analysen der stärkste protektive Effekt (Odds Ratio: 0,48; 95-%-Konfidenzintervall: [0,28; 0,82]). Dabei war das Ergebnis bei gleicher E-E-Zeit für den Endpunkt eines 10-Minuten-Apgar-Score < 4 nahezu identisch (Odds Ratio: 0,49 [0,25; 0,96]).
Insgesamt lagen bei 39 von den 42 berechneten Assoziationen für verschiedene Endpunkte und Schwellenwerte protektive Effekte für niedrigere E-E-Zeiten vor.
In nahezu allen risikoadjustierten Analysen verminderte sich das Risiko nahezu für ungünstige kindliche Outcomes im Vergleich zu korrespondierenden bivariaten Analysen (eTabelle 2).
Bei der Analyse prävalenter Outcomes ließen sich Dosis-Wirkungs-Effekte nachweisen. Dementsprechend stiegen für den Endpunkt 5-Minuten-Apgar-Score < 4 die Odds Ratio von 0,44 bei E-E-Zeiten ≤ 5 Minuten, über 0,45 bei 6–10 Minuten, 0,52 bei 11–15 Minuten und 0,56 bei 16–20 Minuten auf 1 für E-E-Zeiten > 20 Minuten als Referenzkategorie (Tabelle 3).
Für E-E-Zeiten mit maximal 20 Minuten ergaben sich 2–16 potenziell vermeidbare Ereignisse beziehungsweise Anteile von 0–1 %. Diese vergleichsweise geringen Effekte sind aber dadurch erklärbar, dass bereits nahezu 99 % der Notfallsectiones innerhalb von 20 Minuten durchgeführt wurden. Diese Zahlen/Anteile erhöhen sich stetig für niedrigere Schwellenwerte. Demnach ergeben sich für E-E-Zeiten von maximal 5 Minuten 60–330 potenziell vermeidbare Ereignisse und Anteile von 7–13 % (Tabelle 4). Hierfür müssten allerdings 88 % aller Notfallsectiones in einer kürzeren E-E-Zeit durchgeführt werden (Tabelle 1).
Diskussion
In der vorgelegten Studie konnte unseres Wissens erstmals ein Zusammenhang zwischen E-E-Zeiten von höchstens 20 Minuten mit einem besseren kindlichen Outcome in einer großen populationsbezogenen Datenbasis nachgewiesen werden. Da diese Ergebnisse für die Organisation der medizinischen Versorgung bei der Geburtshilfe große Relevanz haben, scheint eine detaillierte kritische Diskussion unabdingbar.
Vollzähligkeit der Dokumentation
Die genutzte Datenbasis bildet mehr als 99 % aller stationären Geburten in Deutschland im genannten Zeitraum ab (4–10). Insofern kann von einer umfassenden populationsbezogenen Analyse gesprochen werden. Eine Verzerrung aufgrund fehlender Vollzähligkeit scheint wenig wahrscheinlich. Inwieweit Notsectiones gegebenenfalls nicht als solche dokumentiert wurden, konnte nicht direkt geprüft werden. Im Vergleich mit internationalen Studien zeigten sich in unserer Analyse allerdings erniedrigte Apgar-Scores in ähnlicher Häufigkeit (2, 14). Zusammen mit den bisherigen Erfahrungen der Fachgruppe zur Perinatalmedizin auf Bundesebene erscheint eine relevante Unterdokumentation von Notsectiones insgesamt wenig wahrscheinlich.
Verlegungen von Neugeborenen/Vollständigkeit der Todesfälle
Die Perinatalerhebung bildet ausschließlich den stationären Aufenthalt in der geburtshilflichen Klinik ab. Todesfälle von Neugeborenen nach diesem Aufenthalt, beispielsweise nach einer Verlegung, sind gegebenenfalls relevant unterrepräsentiert. Die Gründe für Verlegungen sind allerdings nicht ausschließlich medizinischer Natur. In der Peripherie geborene Kinder werden gegebenenfalls auch auf neonatologischen Stationen aufgenommen, um eine zeitnahe Versorgung bei möglichen Komplikationen sicherzustellen. Daher wurde die Verlegung nicht als Endpunkt und Sterblichkeit nicht als primärer Endpunkt der Analyse, sondern erniedrigte Apgar-Scores als primäre Analyseendpunkte gewählt.
Datenvalidität
Ein häufig geäußerter Kritikpunkt an Studien, die auf der E-E-Zeit beziehungsweise den Daten der Perinatalerhebung basieren, thematisiert die Validität der zugrunde liegenden Daten. Daher wurden im Bereich der gesetzlichen stationären Qualitätssicherung Datenvalidierungsstudien erprobt und anschließend im Regelbetrieb eingeführt (16). Zuletzt wurde für die Perinatalerhebung des Jahres 2012 eine externe Validierung zwischen den Qualitätssicherungsdaten und korrespondierenden Angaben in der Patientenakte auf Basis einer mehrstufigen Zufallsstichprobe mit einem Umfang von 1 039 Neugeborenen mit 19 Notsectiones durchgeführt (17, 18). Dabei zeigte sich für die Datenfelder Geschlecht, Gestationsalter, Geburtsgewicht, Anzahl der Mehrlinge, Sterblichkeit sowie auch für den 5-Minuten-Apgar-Score, den Nabelschurarterien-pH-Wert und die Basenabweichung eine gute bis sehr gute Datenvalidität. Einzig die Angaben zur E-E-Zeit wurden als verbesserungswürdig eingestuft. Für die vorliegende Arbeit durchgeführte Reanalysen dieser Daten zeigten E-E-Zeiten auf Basis der Qualitätssicherungsdaten und Patientenakte. Insgesamt zeichnete sich eine Tendenz ab, niedrigere E-E-Zeiten in den Qualitätssicherungsdaten anzugeben. Allerdings ergaben sich korrekte Klassifikationen für die hier analysierten Schwellenwerte bei jeweils 18 von 19 verglichenen E-E-Zeiten (94,7 %) (eGrafik). Diese Ergebnisse sprechen demnach nicht dafür, dass die Datenvalidität in den vorgelegten Analysen zu wesentlichen Verzerrungen geführt hat.
Zusätzlich könnte diskutiert werden, dass der Anteil der Mädchen an diesen Notsectiones relativ gering ist. Dies korrespondiert aber mit der bekannten Tatsache, dass auch die Sterblichkeit von männlichen Neugeborenen höher ist als die von weiblichen Neonaten.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum in den bisher veröffentlichten Studien ein entsprechender Zusammenhang nicht nachgewiesen werden konnte.
Risikoadjustierung
Einerseits könnte diese Frage dadurch erklärt werden, dass der Grad der objektiven gesundheitlichen Bedrohung einer Notsectio mit unterschiedlichen Indikationsstellungen, aber auch mit weiteren patientenbezogenen Faktoren, zum Beispiel dem Gestationsalter, erheblich variiert. Viele der bisherigen Studien führten keine Risikoadjustierung nach derartigen Faktoren durch (19–27). Einige unterscheiden nach einer Dringlichkeit des Eingriffes (14, 28, 29). Allerdings ist anzumerken, dass eine eingeschätzte Dringlichkeit des Eingriffes sehr subjektiv geprägt ist und eine objektive Gefährdung wohl nur bedingt widerspiegelt. Daher wurde die vorliegende Analyse auf die häufigste Hauptindikation zu einer Notsectio, einer vermuteten oder nachgewiesenen fetalen Asphyxie, beschränkt. Diese Indikation betrifft sowohl in unserem Datensatz als auch in anderen Publikationen (14) etwa zwei Drittel aller Notsectiones. Zusätzlich wurde eine Risikoadjustierung nach weiteren relevanten Risikofaktoren durchgeführt. Zwar ist keinesfalls davon auszugehen, dass dadurch jede analysierte Notsectio zu 100 % vergleichbar geworden ist. Allerdings kann argumentiert werden, dass existierende Risikounterschiede in dieser Analyse in erheblichem Maße ausgeglichen wurden. Die Tatsache, dass nahezu alle risikoadjustierten Assoziationen einen stärkeren protektiven Effekt geringerer E-E-Zeiten aufzeigten, mag als ein Indiz für die Bedeutung derartiger Analysen herangezogen werden. Dadurch könnte gleichzeitig erklärt werden, warum in früheren Studien ohne derartige Risikoadjustierung der Zusammenhang zwischen E-E-Zeit und perinatalem Outcome weniger stark ausgeprägt war.
Statistische Power
Wird die Anzahl der einbezogenen Notsectiones in früheren Studien betrachtet, kommt der Verdacht auf, dass die Größe und damit die statistische Power der meisten publizierten Studien zu gering ist, um in der Realität existierende Effekte mit einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit nachweisen zu können (2, 14, 19–30). Gehen wir etwa von einer erwarteten Reduktion des Risikos von 30 % bei der Häufigkeit eines analysierten Endpunkts von 2 % aus, wie beispielsweise ein 5-Minuten-Apgar-Score < 4, ergibt sich bei einem einseitigen Test, einem Signifikanzniveau von 95 % und einer Power von 80 % – ohne Berücksichtigung einer Risikoadjustierung – eine minimal benötigte Fallzahl von mehr als 6 000 Notsectiones. Dies gilt sowohl in der Gruppe oberhalb als auch unterhalb des betrachteten Schwellenwertes. Bislang liegt unseres Wissens keine Studie vor, die diese Maßgabe erfüllt. Wird kein signifikant protektiver Effekt einer E-E-Zeit ≤ 20 Minuten in einer Studie nachgewiesen, sollte demnach nicht daraus geschlossen werden, dass dieser Zusammenhang in der Realität nicht existiert. Auch in der vorgelegten Studie wird diese minimal benötigte Fallzahl nicht für alle Schwellenwerte und Endpunkte erreicht. Die geringe beziehungsweise grenzwertige Power der Studie war auch der Grund dafür, dass nicht nach einem optimalen Schwellenwert einer E-E-Zeit gesucht wurde. Die Analyse wurde vielmehr auf 5- beziehungsweise 10-Minuten-Intervalle, die die in der Literatur diskutierten Schwellenwerte ebenfalls beinhalten, begrenzt (2–10, 19–30).
Mit Blick auf die Power der Studie sollte auch diskutiert werden, dass unsere Datenbasis nur 416 beziehungsweise 120 Fälle mit einer E-E-Zeit > 20 beziehungsweise 30 Minuten beinhaltet. Dadurch wird die Aussagekraft ungeachtet des inferenzstatistischen Ergebnisses eingeschränkt. Zudem sollte aber auch berücksichtigt werden, dass nahezu alle zur Verfügung stehenden Arbeiten vergleichbar wenige Fälle unterhalb der analysierten Schwellenwerte aufweisen (2, 14, 19–30). Konsequenz unserer Analysen wäre demnach, niedrigere E-E-Zeiten zu fordern, da für prävalente Outcomes Dosis-Wirkungs-Beziehungen gezeigt und für 5- oder 10-Minuten-Schwellenwerte die größten absoluten und gleichzeitig die sichersten Effekte beschrieben werden konnten (Tabelle 3 und 4).
Schließlich mag erstaunen, dass insbesondere erniedrigte 5- und 10-Minuten-Apgar-Scores zu signifikanten Ergebnissen führen, während die Sterblichkeit sowie die Azidose-Parameter weniger ausgeprägte Assoziationen zeigen.
Dieser Sachverhalt kann allerdings damit erklärt werden, dass nicht alle Todesfälle von Kindern, die in ein anderes Krankenhaus verlegt wurden, berücksichtigt werden konnten und die Power unserer Datenbasis für diesen Endpunkt nicht ausreichend ist.
Darüber hinaus existieren Hinweise, dass festgestellte Azidosen in der Nabelschnurarterie in geringerem Maße mit späterer Mortalität und Morbidität assoziiert sind als der Apgar-Score (31–35). Erniedrigte Werte des Nabelschnurarterien-pH beziehungsweise der Basenabweichung wären demnach weniger mit der E-E-Zeit assoziiert, weil sie schlechtere Proxies für die kindliche Morbidität und Mortalität als die Apgar-Score sind.
Daneben wird diskutiert, ob nicht die Ereignis-Entscheidungs-Entbindungszeit (E-E-E-Zeit) statt der Entscheidungs-Entbindungszeit (E-E-Zeit) der sinnvollere Qualitätsindikator ist. Dabei herrscht üblicherweise Einigkeit, dass die E-E-E-Zeit noch schwerer zu operationalisieren ist. Ungeachtet dessen weist der dargestellte Zusammenhang zwischen E-E-Zeit und dem kindlichem Outcome darauf hin, dass die E-E-Zeit ein sinnvoller Qualitätsindikator ist.
Resümee
In unseren risikoadjustierten Analysen zum Zusammenhang zwischen E-E-Zeit und kindlichem Outcome fanden sich für 5- und 10-Minuten-Apgar-Scores signifikant bessere Ergebnisse bei einer E-E-Zeit von ≤ 20 Minuten für prävalente Outcomes.
Es handelt sich unseres Wissens um die erste Studie, die bei Notsectio mit Verdacht beziehungsweise Diagnose einer fetalen Asphyxie empirisch bestätigt, dass eine E-E-Zeit mit einem Schwellenwert von ≤ 20 Minuten protektiv wirkt. Die Arbeit ist gleichzeitig die umfangreichste Untersuchung dieser Thematik.
Nach unseren Analysen scheint es gerechtfertigt, eine E-E-Zeit von maximal 20 Minuten als einen Qualitätsindikator einzuführen und anzuwenden. Ein geburtshilflicher Notfall im Sinne eines pathologischen CTG, schlechter Herztöne oder einer Azidose bei Fetalblutanalyse kann im Vorfeld einer Geburt nicht ausgeschlossen werden (36). Daher sollten in Krankenhäusern, die regelmäßig Geburtshilfe betreiben, Strukturen, die eine Notsectio innerhalb von 20 Minuten erlauben, vorgehalten werden.
Interessenkonflikt
PD Dr. Heller bekam Kongressgebühren- und Reisekostenerstattung
von der Firma KelCon GmbH.
Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 6. 10. 2016, revidierte Fassung angenommen: 14. 6. 2017
Anschrift für die Verfasser
PD Dr. med. Günther Heller
Institut für Qualitätssicherung und Transparenz
im Gesundheitswesen (IQTIG)
Katharina-Heinroth-Ufer 1
10787 Berlin
guenther.heller@iqtig.org
Zitierweise
Heller G, Bauer E, Schill S,Thomas T, Louwen F, Wolff F, Misselwitz B, Schmidt S, Veit C: Decision-to-delivery time and perinatal complications in emergency cesarean section. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 589–96. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0589
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
Zusatzmaterial
eTabellen, eGrafik:
www.aerzteblatt.de/17m0589 oder über QR-Code
Abteilung Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Universitätsklinikum Frankfurt: Prof. Dr. med. Louwen
Frauenklinik Holweide, Kliniken der Stadt Köln: Prof. Dr. med. Wolff
Geschäftsstelle Qualitätssicherung Hessen, Eschborn: Dr. med. Misselwitz, MPH
Klinik für Geburtshilfe und Perinatalmedizin, Universitätsklinikum Gießen und Marburg,
Standort Marburg: Prof. Dr. med. Schmidt
1. | Bundesgeschäftsstelle-Qualitätssicherung: Geburtshilfe. In: Mohr VD, Bauer J, Döbler K, Eckert O, Fischer B, Woldenga C (eds.): Qualität sichtbar machen. BQS-Qualitätsreport 2005. Düsseldorf: BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH 2006; 38–48. |
2. | Tolcher MC, Johnson RL, El-Nashar SA, West CP: Decision-to-incision time and neonatal outcomes: a systematic review and meta-analysis. Obstet Gynecol 2014; 123: 536–48 CrossRef MEDLINE |
3. | National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE): Caesarean section, Clincal Guidieline (CG132). Manchester: National Institute for Health and Clinical Excellence 2011. |
4. | Chenot R, Rasch S: Geburtshilfe. In: AQUA-Institut, (ed.): Qualitätsreport 2009. Göttingen: AQUA – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH 2010; 96–9. |
5. | Konheiser S, Thomas T, Heller G: Geburtshilfe. In: AQUA-Institut, (ed.): Qualitätsreport 2013. Göttingen: AQUA – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH 2014; 130–4. |
6. | Konheiser S, Thomas T, Heller G: Geburtshilfe. In: AQUA-Institut (ed.): Qualitätsreport 2012. Göttingen: AQUA – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH 2013; 116–20. |
7. | Konheiser S, Thomas T, Heller G: Geburtshilfe. In: AQUA-Institut (ed.): Qualitätsreport 2014. Göttingen: AQUA – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH 2015; 113–7. |
8. | Heller G, Konheiser S, Thomas T: Geburtshilfe. In: AQUA-Institut (ed.): Qualitätsreport 2011. Göttingen: AQUA – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH 2012; 122–7. |
9. | Schwarze H, Meier R, Sandu C: Geburtshilfe. In: Veit C, Bauer J, Döbler K, Fischer B (eds.): Qualität sichtbar machen. BQS-Qualitätsreport 2008. Düsseldorf: BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH 2009; 113–9. |
10. | Feller A, Heller G: Geburtshilfe. In: AQUA-Institut (ed.): Qualitätsreport 2010. Göttingen: AQUA – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH 2011; 111–4. |
11. | Heller G, Konheiser S, Biermann A: Erhebung der Versorgungsqualität von Früh- und Neugeborenen mit sehr niedrigem Geburtsgewicht auf der Basis von Routinedaten. In: Klauber J, Geraedts M, Friedrich J, Wasem J, (eds.): Krankenhaus-Report 2015. Berlin: Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) 2013; 249–66. |
12. | Jeschke E, Biermann A, Günster C, et al.: Mortality and major morbidity of very-low-birth-weight infants in Germany 2008–2012: a report based on administrative data. Front Pediatr 2016; 4: 23 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
13. | Wissenschaftliches Institut der AOK: Entwicklung des Leistungsbereichs Versorgung von Frühgeborenen mit sehr niedrigem Geburtsgewicht (VLBW). QSR-Verfahren. Berlin: Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) 2014. |
14. | Thomas J, Paranjothy S, James D: National cross sectional survey to determine whether the decision to delivery interval is critical in emergency caesarean section. BMJ 2004; 328: 665 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
15. | Heller G: Erhebung der Versorgungsqualität von Früh- und Neugeborenen mit sehr niedrigem Geburtsgewicht auf der Basis von Routinedaten. Auswirkungen der Einführung von Mindestmengen in der Behandlung von sehr untergewichtigen Neugeborenen (VLBWs). Ein Simulation mit Echtdaten. In: Klauber J, Robra BP, Schellschmidt H (eds.): Krankenhaus-Report 2008/2009. Berlin: Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) 2009; 183–202. |
16. | Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung: Datenvalidierung. In: Veit C, Bauer J, Döbler K, Eckert O, Fischer B, Woldenga C (eds.): Qualität sichtbar machen. BQS-Qualitätsreport 2007. Düsseldorf: BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH 2008; p. 178. |
17. | AQUA-Institut: Bericht zur Datenvalidierung 2013. Erfassungsjahr 2012. Abschlussbericht gemäß §15 Abs. 2 QSKH-Richtlinie. In: AQUA-Institut GmbH, (ed.). Göttingen: AQUA – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH 2013. |
18. | AQUA-Institut: Bericht zur Datenvalidierung 2013. Anhang. Erfassungsjahr 2012. Abschlussbericht gemäß §15 Abs. 2 QSKH-Richtlinie. In: AQUA-Institut GmbH (ed.): Göttingen: AQUA – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH 2013. |
19. | Bello FA, Tsele TA, Oluwasola TO: Decision-to-delivery intervals and perinatal outcomes following emergency cesarean delivery in a Nigerian tertiary hospital. Int J Gynaecol Obstet 2015; 130: 279–83 CrossRef MEDLINE |
20. | Bloom SL, Leveno KJ, Spong CY, et al.: Decision-to-incision times and maternal and infant outcomes. Obstet Gynecol 2006; 108: 6–11 CrossRef CrossRef MEDLINE |
21. | Chauhan SP, Roach H, Naef RW, 2nd, Magann EF, Morrison JC, Martin JN, Jr.: Cesarean section for suspected fetal distress. Does the decision-incision time make a difference? J Repord Med 1997; 42: 347–52 MEDLINE |
22. | Hillemanns P, Strauss A, Hasbargen U, et al.: Crash emergency cesarean section: decision-to-delivery interval under 30 min and its effect on Apgar and umbilical artery pH. Arch Gynecol Obstet 2005; 273: 161–5 CrossRef MEDLINE |
23. | Holcroft CJ, Graham EM, Aina-Mumuney A, Rai KK, Henderson JL, Penning DH: Cord gas analysis, decision-to-delivery interval, and the 30-minute rule for emergency cesareans. J Perinatol 2005; 25: 229–35 CrossRef MEDLINE |
24. | Nasrallah FK, Harirah HM, Vadhera R, Jain V, Franklin LT, Hankins GD: The 30-minute decision-to-incision interval for emergency cesarean delivery: fact or fiction? Am J Perinatol 2004; 21: 63–8 CrossRef MEDLINE |
25. | Pulman KJ, Tohidi M, Pudwell J, Davies GA: Emergency caesarean section in obese parturients: is a 30-minute decision-to-incision interval feasible? J Obstet Gynaecol Can 2015; 37: 988–94 CrossRef |
26. | Roy KK, Baruah J, Kumar S, Deorari AK, Sharma JB, Karmakar D: Cesarean section for suspected fetal distress, continuous fetal heart monitoring and decision to delivery time. Indian J Pediatr 2008; 75: 1249–52 CrossRef MEDLINE |
27. | Schauberger CW, Rooney BL, Beguin EA, Schaper AM, Spindler J: Evaluating the thirty minute interval in emergency cesarean sections. J Am Coll Surg 1994; 179: 151–5 MEDLINE |
28. | MacKenzie IZ, Cooke I: What is a reasonable time from decision-to-delivery by caesarean section? Evidence from 415 deliveries. BJOG 2002; 109: 498–504 CrossRef |
29. | Pearson GA, Kelly B, Russell R, Dutton S, Kurinczuk JJ, MacKenzie IZ: Target decision to delivery intervals for emergency caesarean section based on neonatal outcomes and three year follow-up. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2011; 159: 276–81 CrossRef MEDLINE |
30. | Tuffnell DJ, Wilkinson K, Beresford N: Interval between decision and delivery by caesarean section-are current standards achievable? Observational case series. BMJ 2001; 322: 1330–3 CrossRef |
31. | Casey BM, McIntire DD, Leveno KJ: The continuing value of the Apgar score for the assessment of newborn infants. N Engl J Med 2001; 344: 467–71 CrossRef MEDLINE |
32. | Heller G, Schnell R, Misselwitz B, Schmidt S: [Umbilical blood pH, Apgar scores, and early neonatal mortality]. Z Geburtshilfe Neonatol 2003; 207: 84–9 CrossRef MEDLINE |
33. | Vahabi S, Haidari M, Akbari Torkamani S, Gorbani Vaghei A: New assessment of relationship between Apgar score and early neonatal mortality. Minerva Pediatr 2010; 62: 249–52 MEDLINE |
34. | Yeh P, Emary K, Impey L: The relationship between umbilical cord arterial pH and serious adverse neonatal outcome: analysis of 51,519 consecutive validated samples. BJOG 2012; 119: 824–31 CrossRef MEDLINE |
35. | Jenniskens K, Janssen PA: Newborn outcomes in British Columbia after caesarean section for non-reassuring fetal status. J Obstet Gynaecol Can 2015; 37: 207–13 CrossRef |
36. | Lagrew DC, Bush MC, McKeown AM, Lagrew NG: Emergent (crash) cesarean delivery: indications and outcomes. Am J Obstet Gynecol 2006; 194: 1638–43 CrossRef MEDLINE |
-
Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie, 202010.1055/a-1258-4639
-
International Journal of Women's Health, 202210.2147/IJWH.S382518
-
BMC Pregnancy and Childbirth, 202110.1186/s12884-021-03706-8
-
Turkish Journal of Diabetes and Obesity, 202310.25048/tudod.1233486
-
Journal of Clinical Medicine, 202110.3390/jcm10040885
-
Australian and New Zealand Journal of Obstetrics and Gynaecology, 202310.1111/ajo.13649
-
THE JOURNAL OF JAPAN SOCIETY FOR CLINICAL ANESTHESIA, 202110.2199/jjsca.41.78
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.