POLITIK
Versichertenbefragung: KBV will Notfall-App einführen


Außerhalb der Sprechzeiten suchen zu viele Versicherte die Ambulanzen der Krankenhäuser auf, die dort mit ihrem Problem nicht hingehören. Eine App, die die Inanspruchnahme steuert, könnte zur Lösung des Problems beitragen.
Soviel vorweg: Die Patienten in Deutschland sind mit der Versorgung in den Praxen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte zufrieden. Das ergaben zwei Umfragen, deren Ergebnisse die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) am 30. August in Berlin vorstellte. Zwischen dem 15. Mai und dem 27. Juni hatte die Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag der KBV 6 000 Versicherte am Telefon befragt. Im selben Zeitraum diskutierte die Patientenprojekte GmbH ebenfalls im Auftrag der KBV im Rahmen einer qualitativen Studie in Dresden, Hamburg, Münster und München mit jeweils acht Patienten über versorgungsrelevante Themen.
Von den am Telefon Befragten bezeichneten 90 Prozent das Vertrauensverhältnis zu ihren Ärzten als „gut“ oder „sehr gut“ – ein Wert, der seit Beginn der Umfrage vor gut zehn Jahren konstant ist. Auch dem Kommunikationsvermögen der Ärzte erteilen die Patienten gute Noten. 92 Prozent entwickelten aufgrund der Erklärungen des Arztes ein besseres Verständnis für ihre Erkrankung. 73 Prozent der Befragten halten der Umfrage zufolge die Zahl der Hausärzte an ihrem Wohnort für ausreichend, 51 Prozent die Zahl der Fachärzte.
Nur ein Drittel der Befragten kennt die 116 117
Auf die Frage, wohin sie sich wenden, wenn sie nachts oder am Wochenende ärztliche Hilfe benötigen, antworteten allerdings 47 Prozent der Patienten, dass sie eine Krankenhausambulanz aufsuchen, 24 Prozent rufen den Notarzt oder Rettungsdienst, 20 Prozent nehmen den ärztlichen Bereitschaftsdienst in Anspruch und 3 Prozent den Hausarzt. 2006 war das noch anders: Damals wandten sich nur 29 Prozent der Patienten in den sprechstundenfreien Zeiten ans Krankenhaus, 25 Prozent riefen Notarzt oder Rettungsdienst, 25 Prozent suchten den ärztlichen Bereitschaftsdienst und 15 Prozent ihren Hausarzt auf. Die Nummer des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes, die 116 117, kennen der aktuellen Umfrage zufolge nur 29 Prozent der Befragten.
Ein ähnliches Bild ergaben die qualitativen Interviews. Dort erklärte die Mehrheit der Teilnehmer, den Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen und dessen Nummer nicht zu kennen. Viele hatten zudem Schwierigkeiten einzuschätzen, wann sie den Bereitschaftsdienst und wann sie die Notfallambulanz im Krankenhaus nutzen sollten. Andere wiederum lobten die diagnostischen Möglichkeiten und die fachärztliche Versorgung rund um die Uhr in den Ambulanzen. Sie gaben an, diese auch mit leichteren Beschwerden in Anspruch zu nehmen, um sich beispielsweise den Gang zu unterschiedlichen Fachärzten zu ersparen oder nicht während der Arbeitszeit zum Arzt gehen zu müssen.
„Wenn fast die Hälfte der Befragten zu sprechstundenfreien Zeiten automatisch in die Krankenhausambulanzen strömen und knapp 70 Prozent die bundesweite Rufnummer 116 117 nicht kennen, weist das auf ein strukturelles Problem hin“, kommentierte der KBV-Vorstandsvorsitzende, Dr. med. Andreas Gassen, das Umfrageergebnis. „Hier müssen wir nachlegen.“ Die Notfallsysteme müssten so aufeinander abgestimmt werden, dass keine unnötigen Doppel- oder Dreifachstrukturen unterhalten würden. Die Patienten müssten auf der für ihre Erkrankung jeweils angemessenen Versorgungsstufe versorgt werden. Dieses Problem lasse sich nicht mit einer „kritiklosen Öffnung der Krankenhäuser“ lösen, wie es die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) fordere, erklärte Gassen. Die KBV sei zurzeit mit dem Marburger Bund in engen Gesprächen darüber, wie die Patienten sinnvoll gesteuert werden könnten. Vorstellbar sei eine Triagierung über die 116 117. Unter der Bereitschaftsdienstnummer könnten Hausärzte Patienten an die jeweils angemessene Versorgungsstufe verweisen. Teil des Konzepts ist der KBV zufolge auch eine Notfall-App. Mithilfe einfacher Fragen nach Symptomen könne hier ebenfalls eine für die Patienten verständliche Triage durchgeführt werden, damit diese die für sie richtige Anlaufstelle ansteuerten, erklärte Dr. rer. soc. Thomas Kriedel, der im KBV-Vorstand für das Thema Digitalisierung zuständig ist. Die KBV wolle in absehbarer Zeit eine solche App entwickeln, kündigte Kriedel an.
Patienten recherchieren „heimlich“ im Internet
Die guten Umfrageergebnisse zur Kommunikation zwischen Arzt und Patient nahm der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. med. Stephan Hofmeister, zum Anlass, vor Fehlinformationen aus dem Internet zu warnen. Dass sich die Patienten über ihre Erkrankung informierten, sei zwar einerseits zu begrüßen. Andererseits entstünden Probleme, weil Patienten Informationen falsch einschätzten oder unseriöse Quellen benutzten. Zu denken gibt in diesem Zusammenhang die Auswertung der qualitativen Interviews. Danach nutzen die meisten Patienten das Internet „heimlich“. Das heißt, sie informieren ihre Ärzte nicht über die Ergebnisse ihrer Recherchen und die Schlüsse, die sie daraus ziehen. „Der Arzt muss aber wissen, was der Patient weiß“, erklärte Hofmeister. Nur dann ließen sich Informationen bezogen auf den individuellen Fall einordnen und vertiefen.
Damit Patienten auf seriöse Informationen zurückgreifen könnten, beteilige sich die KBV an der Allianz für Gesundheitskompetenz, die kürzlich vom Bundesministerium für Gesundheit ins Leben gerufen wurde. „Darüber hinaus planen wir, eigene und gut aufbereitete Informationen im Internet bereitzustellen“, erklärte Hofmeister. Die Digitalisierung im Gesundheitsbereich sei eine Chance, die Versorgung zu verbessern, ergänzte KBV-Vorstand Kriedel. Die KBV sehe aber auch die Notwendigkeit, die Patienten für die Nutzung dieser Anwendungen zu sensibilisieren. Neben der Verlässlichkeit der Informationen aus dem Internet betreffe das auch die Datensicherheit.
Wie schon in den vergangenen Jahren zeigen die Umfrageergebnisse auch diesmal, dass die Zahl der Arztbesuche in Deutschland konstant hoch ist. 2008 suchten 30 Prozent der Patienten ein- bis zweimal im Jahr einen Arzt auf, 55 Prozent drei- bis zehnmal und 15 Prozent mehr als zehnmal. In diesem Jahr gingen 32 Prozent der Befragten ein- bis zweimal zum Arzt, 51 Prozent drei- bis zehnmal und 16 Prozent mehr als zehnmal. Befragt nach den Wartezeiten auf einen Termin antworteten 42 Prozent, sie hätten nicht warten müssen oder eine Praxis ohne Terminvergabe besucht, 16 Prozent erklärten, sie hätten bis zu drei Tage und 40 Prozent, sie hätten mehr als drei Tage auf einen Termin warten müssen. Dabei glichen sich, wie die KBV betonte, die Wartezeiten von gesetzlich und privat Krankenversicherten an. So mussten 15 Prozent der gesetzlich Versicherten länger als drei Wochen auf einen Termin warten und elf Prozent der privat Versicherten. Für zu lang hielten allerdings nur 19 Prozent aller Befragten die Wartezeit auf einen Termin.
„Wilde“ Inanspruchnahme von Leistungen
Für lange Wartezeiten auf Termine beim Facharzt und die gefühlten Engpässe in der fachärztlichen Versorgung machte KBV-Chef Gassen unter anderem die „wilde“, unkoordinierte Inanspruchnahme von Leistungen durch die Versicherten verantwortlich. „Das können wir uns dauerhaft nicht leisten“, sagte er. Die Rolle des Lotsen, der die Patienten durch das Gesundheitssystem steuert, schreibt Gassen in erster Linie den Hausärzten und den grundversorgenden Fachärzten zu. Er betonte jedoch zugleich, damit die freie Arztwahl nicht abschaffen zu wollen. Die Patienten seien schließlich nach wie vor frei in der Wahl ihres koordinierenden Arztes. Alles in allem halte er die Ergebnisse der Versichertenbefragung für erfreulich, so der KBV-Vorsitzende. Sie zeigten, dass die Versicherten mit der Gesundheitsversorgung sehr zufrieden seien und ihren Ärzten und Psychotherapeuten ein großes Vertrauen entgegenbrächten.
Heike Korzilius
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