PHARMA
Zielgerichtete Therapien in der Onkologie: Neuer Standard für Lungentumore


Der Kinaseinhibitor Alectinib ist gezielt für die Behandlung von Patienten mit ALK+ nicht kleinzelligen Bronchialkarzinomen entwickelt worden. Auf Basis aktueller Phase-3-Studiendaten rückt er nun in die Erstlinientherapie vor.
Eine wichtige, aber schwierige Aufgabe in der klinischen Onkologie ist es, Prognose und Therapiemöglichkeiten des Patienten im Kontext einer zunehmenden Zahl relevanter Parameter einzuschätzen, inklusive potenzieller molekularbiologischer Veränderungen des Malignoms durch Therapie. „Wir müssen intelligente Netzwerke zwischen Wissenschaft, Patienten und forschenden Unternehmen auf- und ausbauen und sie in die Versorgung integrieren, um diese Aufgabe zu bewältigen“, sagte der Präsident der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in Chicago, Prof. Daniel F. Hayes vom University of Michigan Comprehensive Cancer Center, Ann Arbor.
Forschung und Entwicklung von Medikamenten basiere auf solchen Lernschleifen, erklärte Prof. Dr. Dietmar Berger, Leiter der klinischen Entwicklung Onkologie/Hämatologie von Roche, bei einer Pressekonferenz von Roche während der Tagung. Erkenntnisse aus Tumorbiologie und klinischer Wissenschaft würden mit Parametern aus Diagnostik und Therapie von Patienten verknüpft zu intelligenten Systemen, um personalisierte Ansätze dynamisch anzupassen.
Hoch selektive ALK-Inhibition
Nach diesem Prinzip wurde auch der Kinaseinhibitor Alectinib entwickelt. Alectinib hemmt hoch selektiv die anaplastische Lymphomkinase (ALK). Die Substanz ist ein ALK-Inhibitor der zweiten Generation und hat im Februar dieses Jahres für die Monotherapie von erwachsenen Patienten mit fortgeschrittenem ALK+ nicht kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC) nach Versagen einer Behandlung mit Crizotinib eine bedingte EU-Zulassung erhalten (1).
Der ALK-Inhibitor der ersten Generation, Crizotinib, verlängert zwar das progressionsfreie Überleben (PFS) von Patienten mit ALK+ NSCLC im Vergleich zur Chemotherapie signifikant, es bilden sich aber vergleichsweise rasch Resistenzen: im Median nach 10,9 Monaten. Außerdem entwickeln sich trotz Crizotinib-Therapie bei circa 60 % Metastasen im ZNS.
Nun wurden Daten der Phase-3-Studie „ALEX“ für die Erstlinientherapie mit Alectinib vs. Erstlinienbehandlung mit Crizotinib präsentiert und vollpubliziert (2, 3). 303 unvorbehandelte Patienten mit ALK+ fortgeschrittenem oder metastasiertem NSCLC wurden randomisiert in eine Gruppe, die Alectinib 2-mal täglich 600 mg erhielt, und in eine zweite Gruppe mit Crizotinib 2-mal täglich 250 mg. Der primäre Endpunkt war das PFS nach den RECIST-Kriterien 1.1, evaluiert durch die Untersucher. Zu den sekundären Endpunkten gehörten das PFS nach Evaluation durch ein unabhängiges Komitee und die ZNS-Progression.
Das mediane PFS lag bei 11,1 Monaten bei Crizotinib-Therapie, evaluiert durch die Untersucher, und war im Alectinib-Arm noch nicht erreicht, berichtete Prof. Alice T. Shaw vom Massachusetts General Hospital in Boston, Massachusetts, beim ASCO. Die Differenz war mit p < 0,0001 hoch signifikant. Das unabhängige Komitee ermittelte ein medianes PFS von 10,4 Monaten unter Crizotinib und 25,7 Monaten unter Alectinib (Δ 15,3 Monate; Hazard Ratio [HR]: 0,50).
Beide Substanzen überwinden die Bluthirnschranke, Alectinib jedoch besser als Crizotinib. So unterdrückte Alectinib die Metastasenbildung im Gehirn effektiver. Bei 9,4 % der Patienten im Alectinib-Arm wurden nach 12 Monaten Hirnmetastasen diagnostiziert, aber bei 41,4 % unter Crizotinib (HR: 0,16). Schwere unerwünschte Wirkungen traten eher seltener unter Alectinib auf als unter Crizotinib.
Große Relevanz für Patienten
„Das Ergebnis, dass Alectinib das Wachstum der Tumoren im Median für mehr als 2 Jahre aufhält und Hirnmetastasen verhindert, ist ein großer, praxisrelevanter Fortschritt und macht Alectinib zum neuen Standard für die Erstlinientherapie des fortgeschrittenen ALK+ NSCLC“, kommentierten Prof. John Heymach vom MD Anderson Cancer Center in Houston und andere Experten beim ASCO.
Eine weitere „Präzisionssubstanz“, die bei Roche für die Therapie in der Onkologie entwickelt wird, ist ein bispezifischer Antikörper. Er bindet simultan mit einem Arm an das carcinoembryogene Antigen (CEA) auf Tumorzellen und mit dem anderen Arm an CD3 auf T-Lymphozyten (CEA CD3 TCB). 2 Phase-1-Studien, deren Daten nun vorgestellt wurden (4), weisen auf eine Antitumorwirkung beim fortgeschrittenen kolorektalen Karzinom hin mit einer Stabilisierung der Erkrankung und auf ein akzeptables Toxizitätsprofil.
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
Quelle: Mediengespräch „In pursuit of the cure“ während der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology 2017 in Chicago; Veranstalter: Roche
1. | Medienmitteilung Roche vom 21. Februar 2017. |
2. | Shaw AT, et al. : ASCO Annual Meeting; Juni 2017 in Chicago. Abstr. LBA9008. |
3. | Peters S, et al.: Alectinib versus Crizotinib in untreated ALK-positive non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2017; 6. Juni online; DOI: 10.1056/NEJMoa1704795 CrossRef |
4. | Tabernaco J, et al.: ASCO Annual Meeting; Juni 2017 in Chicago. Abstr. 3002. |