ArchivDeutsches Ärzteblatt39/2017Sozialrecht: Vorsicht, Scheinselbstständigkeit!

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Sozialrecht: Vorsicht, Scheinselbstständigkeit!

Staufer, Andreas

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Die Beschäftigung freier Mitarbeiter birgt Unsicherheiten, nicht zuletzt aufgrund der strengen Rechtsprechung der Sozialgerichte. Doch verlassen sich Kliniken wie Ärzte noch immer auf überholte Regelungen.

Foto: magele-picture/stock.adobe.com
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Freie Mitarbeiter gelten als günstig, da Auftraggeber für sie keine Sozialversicherungsbeiträge abführen müssen. Das macht diese Art der Beschäftigung so verlockend. Allerdings hat sich noch nicht herumgesprochen, dass eine Scheinselbstständigkeit kein Kavaliersdelikt ist. Die Risiken sind enorm, vor allem für Arbeitgeber:

  • Dem Arbeitgeber drohen Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge von vier Jahren, bei Vorsatz sogar von 30 Jahren, nebst Säumniszuschlägen, die Nachzahlung der Lohnsteuer und gegebenenfalls Rückzahlung der in Anspruch genommenen Vorsteuer. Zudem drohen ihm Entgeltfortzahlungsansprüche des Mitarbeiters bei Krankheit und Urlaub, Kündigungsschutzrechte und Arbeitsschutzpflichten, auf die „Freie“ zunächst verzichten. Nach § 266 a Strafgesetzbuch (StGB) können sich Arbeitgeber auch strafbar machen, wenn sie der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung vorenthalten.
  • Der Arbeitnehmer ist weniger gefährdet. Jedenfalls kann der Arbeitgeber ihm gegenüber lediglich die Arbeitnehmeranteile für die vergangenen drei Monate mit dem künftigen „Gehalt“ verrechnen.

Kennzeichen selbstständiger Tätigkeit

Vermeintlich war früher alles einfacher. Im Internet war jüngst wieder der irreführende, nicht mehr zutreffende Tipp zu lesen, eine Tätigkeit für mehrere Auftraggeber habe automatisch die Selbstständigkeit zur Folge. Das ist falsch! Die Prüfer betrachten die jeweilige Tätigkeit bei jedem einzelnen Auftraggeber. Ob zum Beispiel Honorarärzte in mehreren Fachkliniken beschäftigt sind, spielt, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle (Urteil des LSG Schleswig vom 22. November 2016, Az.: L5 KR 176/16 B ER). Umgekehrt schützt auch die Gründung einer eigenen Einmann-UG oder GmbH nicht vor Scheinselbstständigkeit, wenn die Gesellschaft nur für einen Auftraggeber tätig wird.

Weitere Indizien für eine freiberufliche Tätigkeit sind mittlerweile von der Rechtsprechung überholt und damit nicht mehr ausschlaggebend. Die vertragliche Gestaltung allein reicht schon lange nicht mehr, wenn das tatsächliche Beschäftigungsverhältnis von der schriftlich vereinbarten Form abweicht. Musterverträgen und Vertragsgeneratoren sollte man bereits angesichts der unbekannten Interessenslage des Verfassers nicht vertrauen, ebenso wenig den selten garantierten Aussagen zur Rechtssicherheit und Rechtswirksamkeit der Klauseln.

Der Gesetzgeber hat die Abgrenzung zwischen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und Selbstständigkeit bis heute nicht exakt definiert. Kennzeichen einer selbstständigen Tätigkeit ist weit mehr als nur die freie Gestaltung der eigenen Tätigkeit und die freie Einteilung der Arbeitszeiten. Denn schon aufgrund der Tatsache, dass die ärztliche Tätigkeit als Dienst höherer Art einen großen Entscheidungsspielraum umfasst, ist die ärztliche Weisungsfreiheit für die Abgrenzung nicht relevant. Inhaltlich weisungsfreies Arbeiten ist vielmehr berufsrechtlich verankertes Kennzeichen der ärztlichen Tätigkeit.

Indizien für eine freie Tätigkeit

Meist kommt es bei der Abgrenzung auf das eigene unternehmerische Risiko des Beschäftigten an. Folgende Merkmale gelten mitunter als wesentliche Indizien einer selbstständigen Tätigkeit:

  • eigenes unternehmerisches Risiko,
  • eigener Kapitaleinsatz,
  • eigene sozialversicherungspflichtig Beschäftigte,
  • die Tätigkeit eines freien Mitarbeiters unterscheidet sich von der Tätigkeit eines fest angestellten Arbeitnehmers des Auftraggebers,
  • die Tätigkeit ist nicht in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert,
  • Außenauftritt als Selbstständiger.

Die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien werden auf jeden einzelnen zu prüfenden Fall angewendet. Arbeitgeber sollten sich nicht auf das Ergebnis einer steuerlichen Betriebsprüfung verlassen. Der sozialversicherungsrechtliche Status wird gesondert erhoben.

Rechtssicherheit bietet ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung (§ 7 a Abs. 1 Satz 1 SGB IV), sofern dieses spätestens innerhalb eines Monats nach Beginn einer Beschäftigung beantragt wird. Ein solches Verfahren ist nur möglich, wenn die Deutsche Rentenversicherung zum Zeitpunkt der Antragstellung selbst noch kein Verfahren eingeleitet hat. Für die Beteiligten lohnt es sich, das Verfahren mithilfe eines Anwalts vorzubereiten. Denn meist werden die Anträge mit großer Naivität ausgefüllt und zahlreiche Fehler gemacht, die später oft nicht mehr zu beheben sind. Eine strafbefreiende Selbstanzeige ist nicht möglich. Später meiden die Beteiligten das Statusfeststellungsverfahren gern, um keine schlafenden Hunde zu wecken. Das Risiko bleibt aber bestehen.

Im Blickpunkt: Honorar- und Notärzte

Oft stufen die Landessozialgerichte Tätigkeit von Honorarärzten als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ein. Doch jüngst hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschieden, dass selbst Bereitschaftsärzte in bestimmten Konstellationen den Nachtdienst im Rahmen einer basismedizinischen Versorgung einer Klinik als sozialversicherungsfreie Tätigkeit ausüben können (Urteil vom 23. Mai 2017, Az.: L 11 R 771/15).

Vielfach wird behauptet, Notärzte könnten nicht mehr freiberuflich tätig sein. Ein Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern hatte letztes Jahr hohe Wellen geschlagen. Angeblich hatte selbst das Bundessozialgericht die Entscheidung bestätigt. Doch das stimmt nicht. Gerade über die Tätigkeit von Notärzten haben verschiedene Landessozialgerichte jüngst unterschiedliche Auffassungen vertreten. Diese basieren im Wesentlichen jedoch auf den im Einzelnen unterschiedlichen Fallkonstellationen.

Die Crux liegt im Detail

Selbst bei dem im Februar dieses Jahres vom Deutschen Bundestag erlassenen Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung ist zur Vorsicht im Detail geraten, was die Beitragsfreiheit der Honorar-Notärzte in der gesetzlichen Sozialversicherung betrifft. Das Gesetz gilt nicht für alle notärztlichen Fallkonstellationen. Auch findet die Neuregelung keine Anwendung bei schon bestehenden Vertragsverhältnissen (§ 118 SGB IV).

Letztlich ist es sinnvoll, anwaltlichen Rat einzuholen, wenn unklar ist, ob eine Beschäftigung im Klinikalltag als freie Tätigkeit oder sozialversicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen ist.

Dr. Andreas Staufer, Rechtsanwalt,
Fachanwalt für Medizinrecht, Informationstechnologierecht

Miria Dietrich, Rechtsanwältin

FASP Finck Sigl & Partner

80336 München

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