ArchivDeutsches Ärzteblatt44/2017Weltärztebund: Revision des ärztlichen Gelöbnisses

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Weltärztebund: Revision des ärztlichen Gelöbnisses

Parsa-Parsi, Ramin; Wiesing, Urban

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Das Genfer Gelöbnis fasst die ethischen Prinzipien ärztlichen Handelns zusammen. In der modernisierten Fassung wird jetzt erstmals die Patientenautonomie anerkannt. Zudem fordert sie, dass Schüler und Lehrer sich gegenseitig respektieren.

Moderne Form des hippokratischen Eides: 2007 gestaltete der Designer Stefan Ternes das Genfer Gelöbnis als Wandschmuck.
Moderne Form des hippokratischen Eides: 2007 gestaltete der Designer Stefan Ternes das Genfer Gelöbnis als Wandschmuck.

Das Genfer Gelöbnis gehört ohne Zweifel zu den wichtigsten Dokumenten des Weltärztebundes, vergleichbar in seiner Bedeutung mit der Deklaration von Helsinki über ethische Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen. Es wurde 1948 auf der 2. Generalversammlung des Weltärztebundes unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges und der Gräuel- taten unter Mitwirkung von Ärzten während der Naziherrschaft verfasst. Das Gelöbnis sollte helfen, das Vertrauen der Patienten in die Ärzteschaft wiederherzustellen. Es wurde in den Jahren 1968 (Sydney), 1983 (Venedig) und 1994 (Stockholm) geringfügig revidiert und 2005 und 2006 an wenigen Stellen redaktionell überarbeitet. Es fasst die grundlegenden ethischen Prinzipien des ärztlichen Handelns zusammen und ist in Deutschland der (Muster-)Berufsordnung vorangestellt. Nun hat der Weltärztebund auf seiner 68. Generalversammlung am 14. Oktober 2017 in Chicago eine umfangreich überarbeite Version verabschiedet, die einige wichtige Änderungen und Ergänzungen aufweist (1).

Unter Federführung der BÄK

Der Weltärztebund beauftragte die Bundesärztekammer mit der Leitung der für die Revision zuständigen Arbeitsgruppe. Dem kommt in Anbetracht der Entstehungsgeschichte der Deklaration von Genf eine besondere Bedeutung zu. Die internationale Arbeitsgruppe schloss bewusst Mitglieder mit verschiedenem kulturellen, religiösen und ethnischen Hintergrund ein. Aufgrund der großen Bedeutung des Gelöbnisses für den Weltärztebund wurde eine großzügige Bearbeitungszeit von zwei Jahren veranschlagt. Die Arbeitsgruppe war sich schnell einig, dass die Revision den Umfang, die Ausrichtung und die Adressaten des Genfer Gelöbnisses nicht verändern und es seinen Charakter behalten sollte. Zudem sollten nur Änderungen vorgenommen werden, für die es starke Argumente gäbe. Ansonsten sollten die Paragrafen möglichst unverändert bleiben. Im Rahmen einer öffentlichen Konsultation hatten Experten und Stakeholder die Möglichkeit, Änderungsvorschläge einzubringen. Die Mitglieder des Weltärztebundes hatten zudem mehrfach die Gelegenheit, den überarbeiteten Entwurf zu kommentieren.

Mit der Revision ist in verschiedener Hinsicht ein großer Sprung gelungen. Als wichtigste Ergänzung darf dabei der Satz gelten, dass Ärzte die Autonomie ihrer Patienten zu respektieren haben. Wie der hippokratische Eid hatte auch das Genfer Gelöbnis bisher den Respekt der Selbstbestimmung eines Patienten nicht erwähnt. Damit stand es im Widerspruch zu zahlreichen anderen Dokumenten des Weltärztebundes, so der Deklaration von Helsinki, die für die klinische Forschung unmissverständlich fordert, die Patientenautonomie zu respektieren. Mit dieser Änderung hat nun das zentrale ethische Gelöbnis der ärztlichen Profession die Selbstbestimmung der Patienten aufgenommen: „I will respect the autonomy and dignity of my patient.“

Die Revision hat zudem versucht, einige Formulierungen zeitgemäßer zu gestalten. So wurde der im Englischen mit einer religiösen Konnotation besetzte Begriff „consecrate“ (weihen) durch „dedicate“ (widmen) ersetzt: „I solemnly pledge to dedicate my life to the service of humanity.“ Ebenso wurde die Verbindung zur Tradition des Berufsstandes nüchterner gefasst: „I will foster (früher: maintain by all means in my power) the honour and noble traditions of the medical profession.“ Der Satz „My colleagues will be my sisters and brothers“ wurde ebenfalls als sprachlich veraltet empfunden und deshalb gestrichen. Der Inhalt wurde durch die Ergänzung „col-leagues and students“ in den Satz aufgenommen: „I will give to my teachers, colleagues, and students the respect and gratitude that is their due.“ Die Erweiterung um Studierende beruht auch auf einer Intervention der internationalen Vereinigung medizinischer Studierendenorganisationen (International Federation of Medical Students‘ Associations). Deren Vertreter hatten den Weltärztebund darauf aufmerksam gemacht, dass in der bisherigen Fassung die Schüler zwar ihren Lehrern Respekt zollen sollen, nicht aber umgekehrt. Die Studierendenorganisation hat in dieser Frage zu Recht Reziprozität eingefordert, die in dem 2 500 Jahre alten hippokratischen Eid bereits enthalten war. Durch den neu formulierten Satz ist dies nunmehr ausgedrückt.

Die neue Revision adressiert den Umgang mit Wissen. Nun schreibt das Genfer Gelöbnis vor, dass der Arzt das Wissen zu teilen habe, um den Patienten und der Gesundheitsversorgung zu dienen: „I will share my medical knowledge for the benefit of the patient and the advancement of healthcare.“ Neu ist auch ein Satz, der sich auf den Arzt, seine Gesundheit und sein Befinden bezieht. Es ist aus zahlreichen Untersuchungen bekannt, dass übermüdete und überarbeitete Ärzte Gefahr laufen, schlechtere Medizin zu praktizieren (2). Das nimmt das Genfer Gelöbnis nun auf, indem es fordert, dass sich Ärzte auch um ihre eigene Gesundheit zu kümmern haben, um für den Patienten die beste Gesundheitsversorgung zu ermöglichen: „I will attend to my own health, well-being, and abilities in order to provide care of the highest standard.“ Im Satz „I will practise my profession with conscience and dignity“ hat der Weltärztebund mit der Ergänzung „and in accordance with good medical practice“ auf wissenschaftliche Standards hingewiesen, die ein Arzt in seiner Tätigkeit einhalten muss.

Zudem hat der Weltärztebund die einzelnen Paragrafen in eine neue Reihenfolge gebracht. Nach dem einleitenden Satz werden zunächst die Verpflichtungen gegenüber dem Patienten genannt, dann gegenüber der Profession und zuletzt gegenüber der Gesellschaft.

Die faktische Verbreitung und Nutzung des Gelöbnisses kann den selbstgesetzten Anspruch allerdings nicht erfüllen, das Gelöbnis aller Ärztinnen und Ärzte zu sein. Eine Untersuchung im Rahmen der Revision musste feststellen, dass die Verbreitung und Nutzung des Genfer Gelöbnisses weit hinter den Erwartungen zurückbleibt (3). Nicht zuletzt deshalb wurden die Eingangsworte „At the time of being admitted as a member of the medical profession“, um die ersten Worte „At the time of being admitted“ gekürzt. Demnach ist der Eid auch bei anderen Gelegenheiten zu nutzen als nur bei der Aufnahme in die ärztliche Profession. Um den Anspruch noch klarer hervorzuheben und die Sichtbarkeit auch in den neuen Medien zu erhöhen, wurde der Untertitel „The Physician‘s Pledge“ hinzugefügt. Denn das Genfer Gelöbnis wird bisher zum Beispiel nur schwer von Internet-Suchmaschinen entdeckt.

Gelöbnis zu wenig genutzt

Die unzureichende Verbreitung des Gelöbnisses wurde auch auf der Generalversammlung des Weltärztebundes thematisiert, die sich darin einig war, dass weitere Maßnahmen unternommen werden müssen, um dem Gelöbnis auch faktisch die Stellung zukommen zu lassen, die es beansprucht und verdient. Denn sie war überzeugt, dass es im Zeitalter der Globalisierung für die Profession unverzichtbar ist, weltweit einen gemeinsamen ethischen Standard zu besitzen. So sind Sektionen auf internationalen Konferenzen geplant, die das Problem einer gemeinsamen ethischen Grundlage der ärztlichen Profession im Zeitalter der Globalisierung ansprechen. Zudem will der Weltärztebund ab sofort das Gelöbnis zu Beginn seiner jährlichen Generalversammlungen verlesen. Für Deutschland ist damit zu rechnen, dass die bisherige Fassung, die der (Muster-)Berufsordnung vorangestellt ist, durch die neue Version aktualisiert wird.

Dr. med. Ramin Parsa-Parsi, MPH

Prof. Dr. med. Dr. phil. Urban Wiesing

Das Genfer Gelöbnis neu gefasst

The Physician’s Pledge

As a member of the medical profession:

I solemnly pledge to dedicate my life to the service of humanity;

The health and well-being of my patient will be my first consideration; I will respect the autonomy and dignity of my patient; I will maintain the utmost respect for human life; I will not permit considerations of age, disease or disability, creed, ethnic origin, gender, nationality, political affiliation, race, sexual orientation, social standing or any other factor to intervene between my duty and my patient; I will respect the secrets that are confided in me, even after the patient has died; I will practise my profession with conscience and dignity and in accordance with good medical practice; I will foster the honour and noble traditions of the medical profession; I will give to my teachers, colleagues, and students the respect and gratitude that is their due; I will share my medical knowledge for the benefit of the patient and the advancement of health care; I will attent to my own health, well-being, and abilities in order to provide care of the highest standard;

I will not use my medical knowledge to violate human rights and civil liberties, even under threat;

I make these promises solemnly, freely and upon my honour.

©2017 World Medical Association Inc.: http://daebl.de/PS23. Die offizielle deutsche Fassung des Genfer Gelöbnisses wird zurzeit erarbeitet.

1.
Parsa-Parsi RW: The Revised Declaration of Geneva. A Modern-Day Physician‘s Pledge. JAMA, published online: October 14, 2017, doi: 10.1001/jama.2017.16230 CrossRef
2.
Literatur zur Evidenz siehe Wiesing U:
Ethical Aspects of Limiting Residents‘ Work Hours. Bioethics 21 (2007), 398–405.
3.
Rheinsberg Z, Kloiber O, Parsa-Parsi R, Wiesing U: Medical oath: Use and relevance of the Declaration of Geneva. A survey of member organizations of the World Medical Association (WMA). Medicine, Health Care and Philosophy 2017, doi 10.1007/s11019-017-9794-x CrossRef
1. Parsa-Parsi RW: The Revised Declaration of Geneva. A Modern-Day Physician‘s Pledge. JAMA, published online: October 14, 2017, doi: 10.1001/jama.2017.16230 CrossRef
2. Literatur zur Evidenz siehe Wiesing U:
Ethical Aspects of Limiting Residents‘ Work Hours. Bioethics 21 (2007), 398–405.
3. Rheinsberg Z, Kloiber O, Parsa-Parsi R, Wiesing U: Medical oath: Use and relevance of the Declaration of Geneva. A survey of member organizations of the World Medical Association (WMA). Medicine, Health Care and Philosophy 2017, doi 10.1007/s11019-017-9794-x CrossRef
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