SUPPLEMENT: Perspektiven der Kardiologie
Arzneimitteltherapiesicherheit: Das Interaktionspotenzial der Kalziumkanalblocker


Pharmakokinetische Wechselwirkungen beeinflussen Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Therapie mit Kalziumkanalblockern.
Für die Bewertung des pharmakokinetischen Interaktionspotenzials der Kalziumkanalblocker (Kalziumantagonisten) ist die Affinität zum Cytochrom-P450-(CYP-)Isoenzym 3A4 von maßgeblicher Bedeutung. In der Interaktionstabelle (Tabelle) wird das Verhalten von Amlodipin und Lercanidipin stellvertretend für die Substanzen aus der Gruppe der Dihydropyridine sowie von Diltiazem und Verapamil zu CYP3A4 dargestellt.
Dihydropyridin-Kalziumkanal- blocker: Amlodipin und Lercanidipin
Die Arzneimittel aus der Dihydropyridingruppe werden primär über das Cytochrom-P450-(CYP-)Isoenzym 3A4 verstoffwechselt (1). Das klinische Ansprechen auf die medikamentöse Therapie kann von einer Komedikation mit CYP3A4-Modulatoren abhängen. Die gleichzeitige Anwendung mit starken oder moderaten CYP3A4-Hemmern erhöht die Dihydropyridin-Exposition (1). Folglich resultiert ein erhöhtes Hypotonierisiko. Der Blutdruck sollte daher überwacht und die Dosis bei Bedarf gesenkt werden (2, 3). Das Antibiotikum Clarithromycin ist ein starker Inhibitor von CYP3A4 (Grafik). In einer bevölkerungsbasierten Studie führte die Verordnung von Clarithromycin, verglichen mit Azithromycin, bei älteren Patienten, die Kalziumkanalblocker vom Dihydropyridintyp einnahmen, zu häufigeren Hospitalisierungen wegen akuten Nierenversagens. Das höchste Risiko bestand bei Nifedipin, gefolgt von Felodipin und Amlodipin (4). Azithromycin ist kein CYP3A4-Inhibitor (1).
Lercanidipin ist nach Amlodipin der am zweithäufigsten verordnete Kalziumkanalblocker (5). In einer Interaktionsstudie mit dem starken CYP3A4-Inhibitor Ketoconazol stieg die AUC (Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve) von Lercanidipin um das 15-Fache. Starke CYP3A4-Hemmer (Grafik) sind unter einer Lercanidipin-Therapie daher kontraindiziert (2). Lercanidipin verursacht, verglichen mit Amlodipin, seltener Ödeme. Dies setzt jedoch eine korrekte Einnahme voraus. Lercanidipin ist mindestens 15 Minuten vor einer Mahlzeit einzunehmen. Ansonsten können die Plasmaspiegel bis zum 4-Fachen nach einer fettreichen Mahlzeit ansteigen, was zu verstärkten Nebenwirkungen wie Ödemen führen kann (2, 6).
Bei gleichzeitiger Verordnung von CYP3A4-Induktoren wie Carbamazepin oder Johanniskraut (Grafik) mit Dihydropyridinen kann es zu einem Wirkverlust kommen. Es wird empfohlen, den Blutdruck häufiger als üblich zu überwachen und bei Bedarf die Dosis zu erhöhen (2, 3).
Diltiazem und Verapamil
Die im Gegensatz zu den Dihydropyridinen auch antiarrhythmisch wirkenden Kalziumkanalblocker Diltiazem und Verapamil sind ebenfalls Substrate von CYP3A4 (1). Rauchende Probanden hatten in einer Interaktionsstudie eine erhöhte Verapamil-Clearance verglichen mit nichtrauchenden Probanden. Tabakrauch induziert die vermehrte Bildung des Isoenzyms CYP1A2 (7). Somit kann der Abbau von Verapamil auch über dieses Enyzm von klinischer Relevanz sein. Eine Veränderung der Exposition bei Komedikation mit CYP1A2-Modulatoren sollte in Betracht gezogen werden. Diltiazem und Verapamil sind moderate CYP3A4-Inhibitoren (Tabelle). Die Plasmaspiegel von Substanzen mit einer engen therapeutischen Breite, die primär über CYP3A4 metabolisiert werden (Beispielsubstrate [8]), können bei gleichzeitiger Einnahme mit Diltiazem oder Verapamil in einen kritischen Bereich steigen, und entsprechende Vorsicht ist geboten.
Verapamil ist Substrat und Inhibitor des Efflux-Transporters P-Glykoprotein (P-gp). Der Arzneimitteltransporter kommt in zahlreichen Organen vor und ist maßgeblich an der Aufnahme, Verteilung und Ausscheidung von Arzneimitteln beteiligt (9). Das Blutungsrisiko des oralen Antikoagulans Dabigatran ist erhöht bei gleichzeitiger Einnahme mit Verapamil, da dessen Prodrug Dabigatranetexilat Substrat von P-gp ist und die Hemmung durch Verapamil zu einer gesteigerten Exposition führt (10). Lovastatin vergrößert hingegen die Exposition von Verapamil um 68 % durch Blockade von P-Glykoprotein (11).
Kalziumkanalblocker und Simvastatin
Simvastatin, der in Deutschland am häufigsten verschriebene HMG-CoA-Reduktasehemmer, wird hauptsächlich über CYP3A4 abgebaut (1, 5, 12). In deutschen Fachinformationen wird empfohlen, Simvastatin bei gleichzeitiger Anwendung mit Amlodipin, Diltiazem und Verapamil nicht höher als 20 mg pro Tag zu dosieren (12) – dies, obwohl Amlodipin im Gegensatz zu Diltiazem und Verapamil nur ein schwacher Hemmer von CYP3A4 ist. Der unterschiedlichen CYP3A4-inhibierenden Potenz trägt die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA Rechnung, indem bei Komedikation mit Diltiazem und Verapamil die Tagesdosis von Simvastatin auf 10 mg begrenzt ist (13). ▄
DOI: 10.3238/PersKardio.2017.11.10.05
Holger Petri, Fachapotheker für Arzneimittelinformation und Klinische Pharmazie Werner Wicker Klinik, Bad Wildungen-Reinhardshausen
Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit4517
1. | Böhm R, Reinecke K, Haen E, et al.: Interaktionen mit CYP3A4. Dtsch Apo Ztg 2012; 40: 58–67. |
2. | Fachinformation Corifeo®. Stand: November 2013. |
3. | Fachinformation Norvasc®. Stand: April 2017. |
4. | Gandhi S, Fleet, JL, Bailey DG, et al.: Calcium-channel blocker – clarithromycin drug interactions and acute kidney injury. JAMA 2013; 310: 2544–53 CrossRef MEDLINE |
5. | Schwabe U, Paffrath D: Arzneiverordnungs-Report 2017. Heidelberg: Springer 2017 CrossRef |
6. | Zieglmeier M: Lercanidipin und die Tücken der Pharmakokinetik. Dtsch Ap Ztg 2017; 20: 50. |
7. | Fuhr U, Müller-Peltzer H, Kern R, et al.: Effects of grapefruit juice and smoking on verapamil concentrations in steady state. Eur J Clin Pharmacol 2002; 58: 43–53 CrossRef MEDLINE |
8. | Petri H: Arzneimitteltherapiesicherheit: Das Interaktionspotenzial der Azol-Antimykotika. Dtsch Arztebl 2017; 114 (17): 22–4. DOI: 10.3238/PersInfek.2017.04.28.08 VOLLTEXT |
9. | Reinecke K, Böhm R, Herdegen T, et al.: Arzneimittel und Transportproteine. Dtsch Apo Ztg 2015; 16: 44–51. |
10. | Fachinformation Pradaxa®. Stand: Februar 2017. |
11. | Choi DH, Chung JH, Choi JS: Pharmacokinetic interaction between oral lovastatin and verapamil in healthy subjects: role of P-glycoprotein inhibition by lovastatin. Eur J Clin Pharmacol 2010; 66: 285–90 CrossRef MEDLINE |
12. | Fachinformation Zocor®. Stand: April 2017. |
13. | FDA Drug Safety communication 8. Juni 2011. |