MEDIZIN: Originalarbeit
Prävalenz von nosokomialen Infektionen und Antibiotika-Anwendung in deutschen Krankenhäusern
The prevalence of nosocomial infection and antibiotic use in German hospitals
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Hintergrund: Wie bereits für 2011 forderte das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) auch für 2016 alle europäischen Länder auf, nationale Prävalenzstudien zu nosokomialen Infektionen (NI) und zur Antibiotika-Anwendung (ABA) durchzuführen. Daten zu NI und ABA sind wesentliche Grundlagen zur Prävention der Infektionen und Reduktion von Antibiotika-Resistenzen.
Methode: Die Prävalenzerhebung für Deutschland im Jahr 2016 erfolgte nach dem ECDC-Protokoll. Neben einer vom ECDC vorgegebenen, in Bezug auf die Bettengröße repräsentativen Stichprobe von 49 Akutkrankenhäusern wurden weitere Krankenhäuser zur Teilnahme eingeladen. Analysiert wurden die Gesamtgruppe (218 Krankenhäuser, 64 412 Patienten), die repräsentative Gruppe (49 Krankenhäuser) und die Kerngruppe (46 Krankenhäuser). Die Kerngruppe hatte bereits 2011 an der Erhebung teilgenommen.
Ergebnis: Die Prävalenz von Patienten mit NI betrug 2016 in der Gesamtgruppe 4,6 % und 5,1 % im Jahr 2011 (p < 0,01). In der repräsentativen Stichprobe lag die Prävalenz bei 3,6 % beziehungsweise 5,1 % (p < 0,01). In der Kerngruppe veränderte sich die Prävalenz von NI nicht. Während die Prävalenz aller Patienten mit ABA in der Gesamtgruppe gleich blieb, war in der repräsentativen Gruppe ein Rückgang (21,5 % versus 23,3 %; p < 0,01) und in der Kerngruppe ein Anstieg (27,3 % versus 26,2 %; p = 0,02) zu verzeichnen. Der Personalschlüssel des Hygienefachpersonals verbesserte sich in allen Gruppen.
Schlussfolgerung: In der repräsentativen Gruppe war ein Rückgang der NI- und ABA-Prävalenzen zu verzeichnen. In den anderen analysierten Gruppen ergaben sich hierzu gemischte Ergebnisse. Weitere Bemühungen zur Reduktion der NI und ABA sind daher zwingend notwendig.


Das European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) rief alle europäischen Länder in den Jahren 2011 und 2012 auf, nach vorgegebenen einheitlichen Protokollen und Definitionen nationale Punktprävalenzstudien (PPS) zur Häufigkeit von nosokomialen Infektionen (NI) und Antibiotika-Anwendungen (ABA) in Krankenhäusern durchzuführen (1). Insgesamt 29 Länder aus der Europäischen Union (EU) und dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sowie Kroatien nahmen an dieser Studie mit 1 149 Akutkrankenhäusern teil. Die Prävalenz von Patienten mit mindestens einer NI lag bei 6,0 % (95-%-Konfidenzintervall: [5,7; 6,3 %]), die Prävalenz von Patienten mit mindestens einem Antibiotikum bei 35 %. Die Prävalenz der während des aktuellen Krankenhausaufenthaltes aufgetretenen NI betrug 4,5 %, die restlichen NI lagen bereits bei Aufnahme in die Krankenhäuser als Ergebnis vorhergehender Behandlungen vor.
Auf Basis dieser Daten, einer Methode zur Umrechnung von Prävalenz- in Inzidenzdaten und mithilfe eines systematischen Reviews zur Belastung durch NI leitete das ECDC ab, dass in der EU und dem EWR pro Jahr mehr als 2,6 Millionen neue Fälle von NI auftreten. Die kumulative Belastung durch NI wurde auf 501 behinderungsbereinigte Lebensjahre („disability-adjusted life years“, DALY) pro 100 000 Einwohner geschätzt. Das entspricht 2 Millionen verlorenen Lebensjahren durch frühzeitigen Tod und insgesamt 681 400 Jahren, in denen die Patienten mit infektionsbedingten Behinderungen leben müssen (2).
Fünf Jahre später forderte das ECDC erneut alle europäischen Länder dazu auf, nationale Prävalenzstudien mithilfe der ECDC-Protokolle und -Definitionen durchzuführen. In Deutschland wurde das Nationale Referenzzentrum (NRZ) für die Surveillance von nosokomialen Infektionen, das auch im Jahr 2011 mit der Durchführung der Vorläuferstudie beauftragt war, erneut mit der nationalen Prävalenzstudie betraut (3, 4).
In der Periode zwischen den beiden nationalen Prävalenzstudien wurde den Themen NI und ABA in deutschen Krankenhäusern eine hohe Aufmerksamkeit gewidmet. Im Jahr 2011 wurde das Infektionsschutzgesetz novelliert, in der Folge überarbeiteten alle Bundesländer ihre Landeshygieneverordnungen beziehungsweise verabschiedeten erstmals solche Gesetze. Die Ergebnisse der neuen nationalen Prävalenzstudie bieten somit die Möglichkeit, zu untersuchen, ob die hohe Aufmerksamkeit für das Thema und gegebenenfalls auch die folgenden gesetzlichen Maßnahmen inzwischen zu einer Verbesserung der Situation beigetragen haben.
Methode
Das vom ECDC vorgegebene einheitliche Protokoll wurde ins Deutsche übertragen und für die Prävalenzerhebung umgesetzt (5). Das ECDC forderte im Februar 2015 erneut alle Länder dazu auf, eine repräsentative Stichprobe von Krankenhäusern einzuladen. Aufgrund der Bevölkerungszahl und der Krankenhausstruktur in Deutschland sollten 49 Krankenhäuser ausgewählt werden. Auf Basis des Deutschen Krankenhausverzeichnisses 2013 wurden eine Zufallsstichprobe unter Berücksichtigung der Bettenzahlen ermittelt (inklusive jeweils zwei Ersatzkrankenhäuser) und die ausgewählten Krankenhäuser zur Teilnahme eingeladen. Darüber hinaus wurden auch alle 1 462 (Zeitpunkt 1. Quartal 2016) am Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) teilnehmenden Krankenhäuser gebeten, sich an der Prävalenzstudie zu beteiligen. Wenn repräsentativ ausgewählte Krankenhäuser (inklusive Ersatzkrankenhäuser) nicht an der Teilnahme interessiert waren, wurde aus der Gruppe der nicht zur repräsentativen Stichprobe gehörenden Krankenhäuser das in der Bettenzahl am nächsten kommende eingeschlossen.
Die primären Endpunkte der Studie waren die Gesamtprävalenz der NI und die Prävalenz der ABA. Als sekundärer Endpunkt galt die Prävalenz der NI, die im jeweiligen Krankenhaus aufgetreten waren, das heißt nicht bereits bei Krankenhausaufnahme als Resultat vorhergehender medizinische Behandlungen vorlagen. Verwendet wurden die Definitionen für NI des ECDC, wie im PPS-Protokoll dargelegt (6). Berücksichtigt wurden ausschließlich am Untersuchungstag aktive oder unter antibiotischer Behandlung befindliche Infektionen. Für die Dokumentation der ABA wurde die „anatomical therapeutic chemical“ (ATC)-Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verwendet (7).
In sieben bundesweit durchgeführten Einführungskursen wurden die Mitarbeiter der teilnehmenden Krankenhäuser mit dem Studienprotokoll und den Definitionen vertraut gemacht. Die Erhebung wurde von Mai bis Juni 2016 durchgeführt. Trainierte Mitarbeiter der Krankenhäuser besuchten sukzessive zur Datenerfassung die Stationen ihres Hauses. Durch Akteneinsicht und gegebenenfalls Rückfragen an das Stationspersonal wurden die notwendigen Daten erfasst. Wenn eine NI vorlag, wurden die Infektionsart, der Infektionsbeginn und die infektionsbezogenen Erreger erhoben. Weiterhin wurde unterschieden, ob der Patient die NI aus einem anderen Krankenhaus mitgebracht oder diese während des aktuellen Krankenhausaufenthaltes erworben hatte. In Bezug auf die ABA wurden die Art des Antibiotikums, der Aufnahmeweg sowie die Indikation aufgenommen und ermittelt, ob die Indikation in der Patientenakte dokumentiert war. Alle Aufgaben der Recherche und Erfassung der Patienten einer Station mussten an einem Tag abgeschlossen sein.
Zusätzlich mussten die Krankenhäuser einen Bogen zur Struktur- und Prozessqualität des Krankenhauses wie Bettenzahl, Ausstattung mit Hygienefachpersonal (HFP) und Krankenhaushygienikern sowie zum Verbrauch von Händedesinfektionsmitteln (HDM) pro Patiententag ausfüllen.
Die Daten wurden in ein webbasiertes Programm eingegeben und validiert. Im NRZ wurden die Analysen durchgeführt, wobei zunächst die Ergebnisse der Gesamtzahl der teilnehmenden Krankenhäuser 2011 und 2016 in Bezug auf die Prävalenz aller Patienten mit NI und der ABA verglichen wurden. Zusätzlich erfolgte der Vergleich der repräsentativen Stichproben in den jeweiligen Studien. Weiterhin wurden die Prävalenzen für eine Kerngruppe von Krankenhäusern analysiert, die sowohl 2011 als auch 2016 teilgenommen hatten. Für den Vergleich der Prävalenzen 2011 und 2016 wurde der χ2-Test, für den Vergleich weiterer Parameter der Mann-Whitney-U Test verwendet. Andere Informationen wie Häufigkeit der einzelnen NI, Erregerarten und Antibiotika-Klassen wurden nur für die Gesamtgruppe der teilnehmenden Krankenhäuser abgebildet. Die Statistiksoftware R sowie das Programm OpenEpi wurden verwendet.
Ergebnisse
Insgesamt beteiligten sich 218 Krankenhäuser mit 64 412 eingeschlossenen Patienten an der Studie im Jahr 2016. Dies entspricht 11,4 % von 1 911 Krankenhäusern, die 2013 im deutschen Krankenhausverzeichnis angegeben wurden (8). Von diesen Krankenhäusern wurden 49 als repräsentative Stichprobe an das ECDC übermittelt. Die meisten teilnehmenden Krankenhäuser (54 %) sind für die Regelversorgung zuständig, 29 % leisten Schwerpunkt- sowie Spezialversorgung und 36 Krankenhäuser (17 %) bieten Maximalversorgung an, darunter 7 Universitätskliniken.
Tabelle 1 und eTabelle 1 zeigen die wichtigsten Krankenhausparameter sowie die Ergebnisse für die drei ausgewählten Endpunkte für alle teilnehmenden Krankenhäuser, die repräsentative Stichprobe und die Kerngruppe. Während die mediane Bettenzahl in der Gesamtgruppe der teilnehmenden Krankenhäuser sank (305 im Jahr 2016 versus 359 Betten im Jahr 2011), betrug die mediane Bettenzahl im Jahr 2016 in der repräsentativen Stichprobe 205 und in der Kerngruppe 392 Betten. Die mediane Liegedauer hat in der Gesamtgruppe zwischen 2011 und 2016 von 6,6 auf 6,3 Liegetage abgenommen. Weiterhin stieg die Beschäftigung von Hygienefachpersonal und Krankenhaushygienikern in allen drei Analysegruppen erheblich. Auch der Verbrauch an Händedesinfektionsmittel pro Patiententag als Surrogatparameter für die Händehygiene nahm in der Gesamtgruppe zu (von 24,5 mL auf 32,5 mL pro Patiententag im Median).
Bei allen 218 Krankenhäusern reduzierte sich die Anzahl von Patienten mit NI um circa 10 % von 5,1 % auf 4,6 % (p < 0,01) (Grafik 1). Eine Verminderung wurde auch bei den repräsentativ ausgewählten Krankenhäusern beobachtet, allerdings nicht in der Kerngruppe. 72,6 % der NI in der Gesamtgruppe traten während des aktuellen Krankenhausaufenthaltes auf (Tabelle 1). Solche NI reduzierten sich von 3,8 % auf 3,3 % in allen teilnehmenden Krankenhäusern und von 3,4 % auf 2,5 % in der repräsentativen Stichprobe, aber ebenfalls nicht in der Kerngruppe (eTabelle 1). Im Unterschied zur Entwicklung der NI änderte sich die Prävalenz der Patienten mit ABA in der Gesamtgruppe nicht: 2016 betrug die Prävalenz der ABA 25,9 % im Vergleich zu 25,5 % im Jahre 2011. Allerdings wurden ein Rückgang in der repräsentativen Stichprobe und ein Anstieg in der Kerngruppe festgestellt (eTabelle 1, Grafik 2).
Insgesamt 3 104 nosokomiale Infektionen wurden bei 2 951 Patienten diagnostiziert. Untere Atemwegsinfektionen, postoperative Wundinfektionen und Harnwegsinfektionen sind nach wie vor die häufigsten NI mit jeweils etwa einem Viertel Anteil an allen NI, wobei die postoperativen Wundinfektionen und die Harnwegsinfektionen abnahmen. Hingegen stieg die Prävalenz der Clostridium difficile-Infektionen (CDI) im Vergleich zu 2011 an (Tabelle 2).
Auf den Intensivstationen betrug die Prävalenz von Patienten mit NI 17,1 % und war damit mehr als viermal so hoch wie auf den Nicht-Intensivstationen (3,8 %). Insgesamt 52,0 % der Intensivpatienten im Vergleich zu 24,4 % der Nicht-Intensivpatienten wurden unter Antibiotika-Gabe angetroffen.
Bei 58,5 % der NI lag zum Zeitpunkt der Prävalenz-Untersuchung ein positiver Erregernachweis vor. Im Jahr 2011 betrug dieser Wert 55,0 %. Wenn am Tag der Studie schon Material zur mikrobiologischen Untersuchung entnommen worden war, aber der Befund noch nicht vorlag, wurde dieses Ergebnis nach ECDC-Protokoll nicht nachträglich berücksichtigt, um den Arbeitsaufwand für die Studie zu limitieren. Somit ist die hier präsentierte Übersicht der mikrobiologischen Befunde unvollständig. Insgesamt wurden 2 294 NI-Erreger dokumentiert. Die häufigsten waren Escherichia coli (16,6 %), gefolgt von Clostridium difficile (13,6 %), Staphylococcus aureus (12,0 %), Enterococcus faecalis (6,9 %) und Pseudomonas aeruginosa (5,8 %). Im Vergleich zu 2011 hat Clostridium difficile Staphylococcus aureus vom zweiten Platz in der Häufigkeit der NI-Erreger verdrängt.
22 086 Antibiotika-Gaben wurden bei 16 688 Patienten dokumentiert. Unter den Indikationen für die Antibiotika-Anwendung stieg der Anteil von Infektionen versus dem Anteil prophylaktischer Gaben (Tabelle 3). Weiterhin war, wie schon im Jahr 2011, ein hoher Anteil perioperativer Prophylaxe über den Tag der Operation hinaus zu verzeichnen. Relativ häufig wurde in den Patientenunterlagen nicht dokumentiert, warum der Patient Antibiotika erhielt (31,3 %). Die Indikation konnte aber in der Studie zumeist auf anderem Wege, zum Beispiel durch Nachfrage, ermittelt werden.
Die häufigsten Antibiotika-Klassen waren 2016 die Penicilline mit β-Laktamase-Inhibitoren (23,2 %), gefolgt von den Cephalosporinen der 2. Generation (12,9 %), den Fluorchinolonen (11,3 %), den Cephalosporinen der 3. Generation (8,9 %) und den Carbapenemen (6,2 %) (Tabelle 4). Die Penicilline mit β-Laktamase-Inhibitoren wurden 2016 häufiger eingesetzt als 2011, Cephalosporine der 2. sowie 3. Generation und Fluorchinolone seltener. Die Cephalosporine der 2. Generation wurden vor allem für die perioperative Prophylaxe eingesetzt. In eTabelle 2 sind die prozentualen Anteile der am häufigsten eingesetzten Antibiotika-Klassen bezogen auf Therapie und Prophylaxe zu finden.
Diskussion und Schlussfolgerungen
Neben den repräsentativ ausgewählten Krankenhäusern konnte erneut eine große Anzahl von Krankenhäusern für die freiwillige Teilnahme an der nationalen Prävalenzstudie gewonnen werden. Obwohl damit ein relativ hoher Arbeitsaufwand für das Hygienefachpersonal der Krankenhäuser verbunden war, empfanden die Mitarbeiter das Mitwirken als wichtig. Die Beteiligung an der Studie bietet die Möglichkeit, im Sinne des internen Qualitätsmanagements zusätzliche Anhaltpunkte für die Position des eigenen Hauses im Vergleich zu anderen zu erhalten und damit gegebenenfalls zusätzliche Präventionsmaßnahmen beziehungsweise „antibiotic stewardship“(ABS)-Aktivitäten anzustoßen.
Nach den Ergebnissen der Gesamtgruppe und der repräsentativen Stichprobe sanken die NI in den letzten fünf Jahren. Auch wenn nur die während des aktuellen Krankenhausaufenthaltes erworbenen NI betrachtet werden, war die Prävalenz in der repräsentativen Stichprobe geringer als in der nationalen Prävalenzstudie von 1994 mit einem Wert von 3,5 % (9).
Die hohe gesellschaftliche Aufmerksamkeit für dieses Thema und die veränderten gesetzlichen Bedingungen in den Ländern haben zweifellos dazu beigetragen, dass das Thema Infektionsprävention in vielen Krankenhäusern inzwischen eine höhere Wertigkeit erfährt (10). Viele Einrichtungen reagierten, indem sie zusätzliches Hygienefachpersonal beziehungsweise Krankenhaushygieniker einstellten, was im Vergleich zu 2011 fast einer Verdopplung entsprach. In Bezug auf die Daten aller teilnehmenden Krankenhäuser ist der Anstieg des Händedesinfektionsmittelverbrauchs ebenfalls bemerkenswert. Dies ist möglicherweise auch mit anderen nationalen Aktivitäten auf diesem Gebiet wie der Aktion Saubere Hände mit mehr als 1 800 teilnehmenden medizinischen Einrichtungen assoziiert (11, 12).
Bei der Interpretation der gesunkenen NI-Raten sind allerdings verschiedene Einflussfaktoren zu beachten:
- Die geringere mediane Bettenzahl in der Gesamtgruppe der teilnehmenden Krankenhäuser im Jahr 2016 im Vergleich zu 2011 (305 versus 359) deutet darauf hin, dass 2016 der Anteil kleinerer Krankenhäuser größer war. Es ist bekannt, dass die NI-Raten bei kleineren Krankenhäusern im Allgemeinen niedriger sind, da die Risikostruktur ihrer Patienten auf einem geringeren Niveau liegt und weniger invasive diagnostische sowie therapeutische Verfahren angewendet werden (13).
- Die Auswahl der Gruppe repräsentativer Krankenhäuser berücksichtigte ausschließlich die Bettengröße und nicht die mögliche Spezialisierung oder Fachrichtung. Dies schränkt die Repräsentativität möglicherweise ein.
- Die mediane Verweildauer nahm in der Gruppe aller teilnehmenden Krankenhäuser um 0,3 Tage ab. Dadurch reduziert sich auch die Möglichkeit, NI während des Krankenhausaufenthaltes zu diagnostizieren.
- Die Reduktion der NI-Prävalenz konnte nicht in der Kerngruppe der Krankenhäuser, die an beiden Studien teilgenommen hatten, bestätigt werden. Diese Kerngruppe ist theoretisch besonders für einen Vergleich der Jahre 2011 und 2016 geeignet. Allerdings scheinen sich auch in diesen Krankenhäusern in der Zwischenzeit erhebliche Veränderungen ergeben zu haben, beispielsweise nahm die mediane Bettenzahl von 368 auf 392 zu. Darüber hinaus unterscheiden sich diese Krankenhäuser von den anderen durch ihre höhere Bettenzahl (392 versus 305 in allen teilnehmenden Krankenhäusern und 205 in der repräsentativen Stichprobe) sowie die Motivation, erneut an einer Punkt-Prävalenzstudie teilzunehmen.
- Um den Arbeitsaufwand für die Teilnehmer zu begrenzen, wurde bei der Planung der Studie entschieden, für Patienten ohne NI keine Risikofaktoren aufzuzeichnen. Dadurch ist eine Adjustierung der Ergebnisse nach möglicherweise veränderter Risikostruktur der Patienten nicht möglich
- Im Rahmen des ECDC-Studienprotokolls wurde 2016 ebenso wie 2011 festgelegt, dass ein Patient als nosokomial infiziert gilt, wenn der mikrobiologische Befund der NI am Untersuchungstag bereits vorlag. Damit ist die Gesamtprävalenz der NI eher höher, als in der vorliegenden Studie ermittelt. Nicht erfasst wurde, wie viele am Erfassungstag noch nicht vorliegenden positiven Befunde zu einer NI führten. Dadurch wird die Erhebung sicherlich limitiert, aber die europaweite Vergleichbarkeit der nationalen Prävalenzen nicht reduziert.
- Die Erhebung fand im Mai bis Juni 2016 statt. Die Daten von 2011 wurden im September und Oktober erfasst. Für die Übergangsjahreszeiten sind keine Effekte auf die nosokomialen Infektionsraten bekannt (14).
Bei der Beurteilung des Anstiegs der CDI in 2016 ist zu beachten, dass in den letzten Jahren in vielen Krankenhäusern diagnostische Methoden mit verbesserter Sensitivität eingeführt wurden (15, 16). Demnach ist unsicher, ob sich dahinter ein realer Anstieg der Prävalenz verbirgt.
Im Vergleich zu den abnehmenden NI veränderte sich die Prävalenz der ABA in den letzten fünf Jahren in der Gesamtgruppe nicht. Insbesondere fällt auf, dass die Anwendung von Penicillinen mit β-Lakatamase-Inhibitoren stark zunahm und zu den fünf häufigsten Antibiotika-Klassen – bis auf die vor allem zur perioperativen Prophylaxe eingesetzten Cephalosporine der 2. Generation – nur Breitspektrum-Antibiotika zählen. Hintergrund hierfür ist wahrscheinlich die Zunahme der multiresistenten gramnegativen Erreger (17). Insgesamt entspricht die Verteilung der ABA einer kürzlich publizierten Untersuchung zu Verbrauchsdaten von Krankenhäusern in Deutschland (18). Leider ist auch die fehlende Dokumentation der Indikationen für eine antibiotische Therapie mit einem Anteil von 31,3 % unbefriedigend. Die regelmäßige Dokumentation könnte zu einer bewussteren Entscheidung gegen den Einsatz von Antibiotika in fraglichen Fällen führen.
Die Ergebnisse der anderen EU-Länder sind erst 2018 beziehungsweise 2019 zu erwarten. Das ECDC wird dann nationale Vergleiche anhand der repräsentativen Stichproben der einzelnen Länder vornehmen, nach denen für Deutschland eine Reduktion der NI resultiert.
Unter Berücksichtigung aller untersuchten Gruppen ist die Reduktion nicht eindeutig. Trotzdem weisen die Ergebnisse insgesamt darauf hin, dass die verstärkten Anstrengungen der Krankenhäuser, zum Beispiel im Hinblick auf Hygienefachpersonalausstattung und Händehygiene sowie strukturelle Veränderungen, in den letzten Jahren wahrscheinlich dazu geführt haben, dass ein Teil der NI erfolgreich reduziert wurde. Die „antibiotic stewardship“-Aktivitäten trugen in verschiedenen Krankenhäusern aber noch zu keiner messbaren Verbesserung in Deutschland bei.
Interessenkonflikt
Prof. Gastmeier erhielt Studienunterstützung (Drittmittel) von der Firma
B. Braun und der Firma Bode.
Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 6. 7. 2017, revidierte Fassung angenommen: 10. 10. 2017
Anschrift für die Verfasser
Dr. rer. medic. Michael Behnke
Institut für Hygiene und Umweltmedizin
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Hindenburgdamm 27
12203 Berlin
michael.behnke@charite.de
Zitierweise
Behnke M, Aghdassi SJ, Hansen S, Peña Diaz LA, Gastmeier P, Piening B: The prevalence of nosocomial infection and antibiotic use in German hospitals. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 851–7. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0851
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
Zusatzmaterial
Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit5017 oder über QR-Code
eTabellen:
www.aerzteblatt.de/17m0851 oder über QR-Code
www.nrz-hygiene.de/fileadmin/nrz/download/pps2016/EUPPS2016DE_Codiertabellen_Version_4.9.pdf (last accessed on 15 September 2017).
www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Gesundheit/Krankenhaeuser/Krankenhausverzeichnis.html (last accessed on 3 February 2017).
Dr. med. Aghdassi, Dr. med. Hansen, Peña Diaz, M.Sc., Prof. Dr. med. Gastmeier, Dr. med. Piening
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