ArchivDeutsches Ärzteblatt51-52/2017Krankenkassenfinanzen: Kaschiert die Konjunktur Probleme?

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Krankenkassenfinanzen: Kaschiert die Konjunktur Probleme?

Beerheide, Rebecca

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Überschüsse im Gesundheitsfonds und hohe Rücklagen meldet das Bundesgesundheitsministerium für die GKV. Das schöne Bild trüge, erklären mehrere Chefs von Krankenkassen. Die gute Konjunktur verschleiere die reale finanzielle Lage.

Diskussion um Krankenkassenfinanzen: Innerhalb der Krankekassen ist der Vermögensunterschied deutlich angestiegen. Foto: picture alliance
Diskussion um Krankenkassenfinanzen: Innerhalb der Krankekassen ist der Vermögensunterschied deutlich angestiegen. Foto: picture alliance

Der Überschuss der Krankenkassen ist so hoch wie nie – gleichzeitig ist die Finanzentwicklung innerhalb der Kassenarten so unterschiedlich wie nie. Etwa 18,6 Milliarden Euro haben die Krankenkassen als Rücklage, 8,7 Milliarden Euro liegen im Gesundheitsfonds, so die Zahlen aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG). Die Beitragssätze liegen zwischen 14,9 und 16,1 Prozent, für den geschäftsführenden Bundesgesundheitsminister besteht derzeit kein Grund zur Aufregung. „Es liegt nun in der Hand der einzelnen Krankenkassen, diese Spielräume im Sinne ihrer Versicherten auszuschöpfen“, erklärte Hermann Gröhe (CDU).

Doch immer mehr Krankenkassen warnen: Unter diesem positiven Ergebnis schlummere eine größere Gefahr, die die Politik derzeit nicht wahrnehmen wolle. „Die Konjunktur kaschiert die Probleme im System“, sagt Barmer-Chef Prof. Dr. med. Christoph Straub. Es sei eine „Scheinstabilität“: Bei einer Veränderung der Wirtschaftsleistung könnten sechs Kassen finanzielle Probleme bekommen, bei einer möglichen Pleite oder Fusionen müssten rund 15 Millionen Versicherte ihre Krankenkassen wechseln. Aufgrund der Haftungsregelungen innerhalb der Kassenarten könnte eine Pleite auch das ganze System in eine Unwucht bringen.

Hinweise darauf liefert bereits jetzt ein genauer Blick in die Finanz- und Vermögensergebnisse, erklären Experten. So gibt es im Verband der Ersatzkassen einige, die in ihren Bilanzen Vermögenswerte von nur 64 bis 85 Euro pro Mitglied vorweisen können. Für die Barmer weisen die Zahlen 135 Euro pro Kopf aus. Im Vergleich dazu gibt es im AOK-System Kassen, die deutlich üppiger ausgestattet sein sollen: Die AOK Sachsen-Anhalt soll 1 212 Euro pro Mitglied besitzen. Auch bei den IKKen soll es Probleme geben, allerdings erklärte die IKK classic als größte Kasse im Verbund, ihr Vermögen liege bei 337 Euro pro Mitglied. Diese Unterschiede ließen sich aber nicht durch Management oder Kostenstrukturen erklären, so Experten.

Zeit läuft gegen die Kassen

Die Zahlen aus gut unterrichteten Kassenkreisen verdeutlichen ein Problem, das sich nicht zügig verändern lässt: Die Zeit läuft gegen die Bilanzen der Krankenkassen und gegen das GKV-System in seiner jetzigen Form. Auch das aktuell vorgelegte Gutachten des wissenschaftlichen Beirates des Bundesversicherungsamtes (BVA) zum Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) weist keine zügige Lösung für die wachsenden Ungleichgewichte auf. BVA-Chef Frank Plate warnte vor zu hohen Erwartungen: „Der Morbi-RSA kann nicht alle Probleme in den Krankenkassen lösen.“ Auf der Handelsblatt-Tagung Health 2017 Mitte Dezember in Berlin forderte er vom Gesetzgeber eine kontinuierliche Evaluierung des Morbi-RSA, nannte Ideen der Regionalisierung von GKV-Beiträgen als „nicht realisierbar“ und forderte ambulante Kodierrichtlinien. „Ich appelliere aber an die Krankenkassen, sich beim Kodieren an die Spielregeln zu halten. Das Kodieren ist Sache der Ärzte.“

Für die Kassenvorstände geht diese Diskussion bereits viel zu lang. „Ich finde es eigenartig, dass wir schon lange über mehrere Gutachten diskutieren, aber in der Politik keine Konsequenzen gezogen werden“, sagte Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek-Verbandes bei der Handelsblatt-Tagung. Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes hielt entgegen: „Wir alle haben diese Gutachten gewollt, jetzt sollten wir die Ergebnisse nicht bekämpfen.“ Er sieht für die Kassen eine „auskömmliche“ finanzielle Situation. „Und wenn wir die Empfehlungen des Gutachtens umsetzen, wird es noch besser.“

Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Wasem, einer der Autoren des Morbi-RSA-Gutachtens, wehrte sich gegen Kritik. „Dies ist eine Show der Kassenarten, die in der Empirie so nicht richtig ist.“ Er warnte davor, die 112 Krankenkassen in zu klare Lager einzuteilen. „Es gibt selbst bei den AOKen welche, die deutliche Probleme haben.“ Es benötige aber genauere Daten, dafür forderte Wasem weitere Gutachten.

Rebecca Beerheide

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