POLITIK: Das Interview
Interview mit Dr. med. Klaus Reinhardt, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer und Vorsitzender des GOÄ-Ausschusses: Der Nachteil wird immens sein
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Klaus Reinhardt über die Folgen einer einheitlichen Honorierung bei der Einführung einer Bürgerversicherung und zu den Zukunftsaussichten von privater und gesetzlicher Krankenversicherung.
Die SPD hat wieder die „Bürgerversicherung“ ins Spiel gebracht. Sie will zumindest eine Vereinheitlichung der Honorierung erreichen. Was halten Sie davon?
Reinhardt: Zurzeit ist nicht erkennbar, wie das überhaupt gehen soll. Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) fußt auf einer Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums, während der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) ein SGB-V-Rechtskonstrukt zur Honorarverteilung ist. So kann es nur in die eine oder andere Richtung gehen. Geht es in Richtung GOÄ, verlieren die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) an Autorität. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese den erheblichen Verlust an Einfluss und Autonomie hinnehmen werden. Insofern ist es wahrscheinlicher, dass man auf eine Honorarverteilung à la EBM setzen wird. Das bedeutet aber wiederum, dass das, was der Arzt über privat Versicherte erwirtschaftet, in das Gesamtsystem überführt werden muss. Natürlich haben wir die Sorge, dass die Honorarverteilung dann im Wesentlichen von den Kassen bestimmt wird. Der Nachteil für die Mediziner wird immens sein.
Aber ist die private Krankenversicherung (PKV) überhaupt noch ein gesunder Teil des Systems?
Reinhardt: Ich halte die PKV trotz Niedrigzinspolitik für solide. Wenn die Krankenkassen morgen keine Beiträge mehr erhielten, könnte man mit den aktuellen Rücklagen noch circa einen Monat die Leistungen decken. Bei der PKV würden die vorhandenen Rücklagen für knapp neun Jahre reichen. Dass ein kapitalbildendes System mit Altersrückstellungen dem anderen unterlegen sein soll, ist nicht nachvollziehbar.
Andersherum betrachtet: Die gegenwärtige Prosperität des GKV-Systems ist konjunkturell bedingt. Das System wird aber unter Druck geraten, wenn die Babyboomer-Generation in den nächsten Jahren in Rente geht und als Zahler aus dem Umlagesystem GKV ausscheidet.
Das ist der Grund, warum Herr Lauterbach von den Rücklagen der PKV profitieren will. Er will das alles in einen Topf schmeißen. Dann hat er vielleicht für noch einmal zehn bis fünfzehn Jahre das System prolongiert, aber nicht auf Dauer gerettet.
Wo könnte ein Weg für die GKV liegen?
Zunächst müsste man das Leistungsgeschehen in der GKV richtig durchforsten. Insofern bedauere ich auch durchaus, dass wir gegenwärtig keine aktive Bundesregierung haben, denn der Handlungsbedarf ist groß. Ob Krankenhausstrukturen, ambulante/stationäre Versorgung, Notfallversorgung, es gibt einiges zu regeln. Aber wir müssen uns auch weitergehende grundlegendere Fragen stellen. Zum Beispiel, ob das, was heute über die GKV versicherbar ist, alles wirkliche Risiken darstellt? Müssten wir nicht ganz andere Ansätze verfolgen und Vorsorge und Verhältnisprävention stärken? Da ist viel mehr zu tun. Dadurch verhindern wir chronische Erkrankungen wie zum Beispiel Diabetes und Bluthochdruck, die die wesentlichen Kostentreiber in der GKV darstellen.
Haben Sie es, angesichts der aktuellen Entwicklung, eigentlich schon mal bereut, die GOÄ-Reform voranzutreiben?
Reinhardt: Nein, es ist gut und wichtig, eine neue GOÄ als Honorarordnung für die freie ärztliche Tätigkeit zu erarbeiten. Selbst wenn so etwas wie die Schaffung einer einheitlichen Gebührenordnung ernsthaft anstünde, ist unsere Arbeit dann ein ernst zu nehmendes Pfund, mit dem man in den Markt treten kann. Dann müsste sich die Politik damit auseinandersetzen.
Das Interview führten Egbert Maibach-Nagel und Michael Schmedt.
Schneider, Thomas
Hakimi, Rainer
Fuchs, Udo
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.am Freitag, 19. Januar 2018, 12:00
Missverstandene Zweiklassenmedizin
Es geht natürlich allen Betroffenen ums eigene Geld, auch den Beamten, denn die machen ja die Gesetze.
Der mit hohen Prämien teuer bezahlte Luxusaufwand bei Therapien ist vergleichbar mit dem Komfort bei einer Reise oder Flug 1. oder Business-Klasse. Die in der Touristenklasse sitzenden Passagiere kommen viel billiger an ihren Ankunftsort. Das Ziel ist doch das gleiche, so auch der Behandlungserfolg bei einem kassenärztlich oder privat Versicherten.
Keineswegs schneller und "besser" gesundet der Privatpatient, nur weil er die 2-3,5 fachen Honorare seinem Behandler zahlt. Unter Umständen verlängert sich sein Leiden, weil noch alle möglichen Untersuchungsmethoden angewendet werden.
Die vielen Krankenkassen werden natürlich um ihren "Markt" kämpfen.
Es ist traurig, wenn die Versicherten, die ab dem 55. Lebensjahr nicht mehr aus der teuren PKV heraus kommen, so wenig Unterstützung von den höchsten Vertretern der Ärzteschaft erhalten.
Die Bürgerversicherung wäre hier durchaus eine Möglichkeit.
Zweiklassenmedizin?
Wenn sich Herr Lauterbach nicht ins Wartezimmer setzt, sondern gleich ins Sprechzimmer gebeten wird, dann ist das so und wird auch nicht mehr zu ändern sein.
Doch ich bin nicht Herr Lauterbach und sitze mit den Kassenpatienten zusammen im Wartezimmer, bis ich aufgerufen werde. Was mir aber nicht schadet.
am Donnerstag, 18. Januar 2018, 14:42
PKV schadet sich selber
Was erwartet man als einfacher Versicherungsnehmer von der PKV? Im Grunde doch die Leistungen der GKV plus etwas mehr.
Das geht auch mit einer Bürgerversicherung und für die, die mehr wollen, dann eine Zusatzversicherung. Damit es hier aber nicht wieder zu einer Zweiklassenmedizin kommt (Zusatz muss man sich auch leisten können), dürfen die Beiträge in der Bürgerversicherung nicht zu hoch sein (Stichwort Abschaffung der über 100 Krankenkassen mit über 100 Vorständen etc.) und es muss vorher eine Diskussion darüber geführt werden, welche Leistungen man in einer Bürgerversicherung wiederfinden möchte.
am Mittwoch, 10. Januar 2018, 19:10
Mit Dinosauriern ist Evolution nicht möglich