POLITIK: Deutscher Ärztetag
Hausärztliche Versorgung: Allgemeinärzte und Internisten am Scheideweg


Auf der Tagesordnung war es nur ein Punkt unter vielen, aber seine Auswirkungen sind von weitreichender
Bedeutung: die Neugliederung der Allgemeinmedizin und der Inneren Medizin zur Lösung der
Hausarzt/Facharzt-Problematik.
Das Problem ist bekannt: Die Politik will die Gliederung der ambulanten Versorgung in einen hausärztlichen
und einen fachärztlichen Bereich mit eindeutiger Aufgabenverteilung. Gefordert wird dies in der Annahme,
daß ein unausgewogenes Verhältnis von Hausärzten und Fachärzten das Versorgungssystem insgesamt
verteuert. Deshalb hat der Gesetzgeber mit dem Gesundheitsstrukturgesetz eine solche Gliederung festgelegt
und den Inhalt der hausärztlichen Versorgung im Paragraphen 73 SGB V beschrieben.
Zusätzlicher Handlungsdruck kommt über die Gesundheitsminister der Länder. Sie legen großen Wert darauf,
"daß die hausärztliche Versorgung als eine Einheit definiert wird". Gelingt es der ärztlichen Selbstverwaltung
nicht, eine in diesem Sinne ausreichende hausärztliche Versorgung sicherzustellen, drohen weitergehende
gesetzliche Regelungen. Die Forderung nach einem Primärarztsystem, bei dem die Versicherten nur noch auf
Überweisung einen Facharzt aufsuchen dürften, schwingt dabei immer mit.
Wer soll nun in Zukunft die hausärztliche Versorgung im Hinblick auf die politischen Zielvorstellungen
sicherstellen? Zur Zeit kümmern sich mit den Allgemeinärzten beziehungsweise Praktischen Ärzten auf der
einen und den Internisten auf der anderen Seite zwei Arztgruppen um dieses Feld. Beide, darauf wies Professor
Dr. Jörg-Dietrich Hoppe die Delegierten des Ärztetages hin, "haben jedoch auf der Grundlage einer
unterschiedlichen Weiterbildung unterschiedlichen Zugang zu den für die Patientenversorgung notwendigen
diagnostischen und therapeutischen Verfahren".
Verschmelzung oder Differenzierung
Aus der Gesamtsituation, sagte der für Weiterbildungsfragen zuständige Vizepräsident der
Bundesärztekammer, leite sich für die Gremien der Bundesärztekammer ein dringlicher Handlungsbedarf ab.
Vier Lösungsmodelle stellte Hoppe vor, zwei davon wurden eingehender diskutiert:
1. Das Gebiet der Allgemeinmedizin wird mit der Inneren Medizin, die nicht in einem Schwerpunkt ausgeübt
wird, zu einem Gebiet zusammengeführt, das dann die hausärztliche Versorgung übernimmt. Die
Schwerpunkte der Inneren Medizin werden eigene Gebiete.
2. Die Innere Medizin bleibt inhaltlich in ihrem Weiterbildungsgang im wesentlichen unverändert, wird aber
nur rein spezialistisch tätig und hat keine Versorgungsfunktionen in der umfassenden hausärztlichen
Versorgung mehr. Gleichzeitig wird das Gebiet der Allgemeinmedizin so verändert, daß es allein die
umfassende hausärztliche Betreuung des Patienten in seinem somatischen und psychischen Befinden
wahrnimmt.
Der erste Lösungsansatz geht von einer "Verschmelzung" der beiden Gebiete aus, während das zweite Modell
die Gebiete und die ihnen zugewiesenen Aufgaben eindeutig differenziert. Mit beiden Lösungsansätzen, betonte
Professor Hoppe, seien Vorteile, aber auch Probleme verbunden. Wie auch immer die Entscheidung ausfalle,
zwei Voraussetzungen seien unverzichtbar: Ärzte, die ihren Beruf bereits ausüben oder sich in der
Weiterbildung befinden, dürfen von der Neuordnung nicht berührt werden. Zudem müßten entsprechende
sozialrechtliche Rahmenbedingungen und adäquate ärztliche Vergütungssysteme geschaffen werden.
Nach intensiver Diskussion entschied sich der Ärztetag schließlich mit deutlicher Mehrheit für das
Differenzierungsmodell. Das heißt: Der Vorstand der Bundesärztekammer wurde beauftragt, einen "im
Hinblick auf eine hausärztliche Tätigkeit neuformulierten Weiterbildungsgang für das Gebiet der
Allgemeinmedizin" vorzulegen.
Anders als vom Vorstand vorgesehen, soll der Beschluß über den neuen Weiterbildungsgang in der
Allgemeinmedizin nicht erst 1998, sondern bereits im nächsten Jahr fallen. Der Ärztetag votierte nämlich für
einen Antrag der baden-württembergischen Delegierten Dr. Christoph von Ascheraden und Professor Wolfgang
Mangold auf Vorverlegung. Die Begründung: "Die Neugliederung der Allgemeinmedizin wird seit 20 Jahren
diskutiert. Es ist an der Zeit, eine Entscheidung herbeizuführen. Der 100. Deutsche Ärztetag (im kommenden
Jahr in Eisenach, Anm. d. Red.) bietet den auch numerisch würdigen Rahmen für die Beschlußfassung."
Einig waren sich die Delegierten auch in der Auffassung, daß die zukünftige Konzentration der
Hausarztqualifikation auf den Allgemeinarzt nicht nur eine Verlängerung der Weiterbildungszeit von
gegenwärtig drei auf dann fünf Jahre erfordert. Ebenso notwendig sei die Sicherstellung ausreichender
Weiterbildungsmöglichkeiten und deren Finanzierung.
Der Ärztetag folgte hier einem Antrag der Delegierten Dr. Hans-Jürgen Thomas (Ärztekammer WestfalenLippe) und Dr. Klaus-Dieter Kossow (Ärztekammer Niedersachsen), "an jedem dafür geeigneten Krankenhaus
mindestens zwei Rotationsstellen für die allgemeinärztliche Weiterbildung" zu fordern. Für die Zeit der
Weiterbildung in der ambulanten Versorgung soll eine BAT-Vergütung (wie es die Berufsordnung vorsieht)
gefordert werden – und zwar von den Krankenkassen. Ursprünglich hieß es im Antrag von Thomas und
Kossow "Bezuschussung" durch die Krankenkassen. Auf Vorschlag der thüringischen Delegierten Dr. Birgit
Mehlhorn änderte der Ärztetag dies jedoch in "Bezahlung" ab. Damit ist die Hoffnung verbunden, die
finanzielle Situation der Ärzte im Weiterbildungsgang Allgemeinmedizin auf eine bessere Grundlage zu
stellen.
In der Diskussion um die Frage, wie die Hausarzt/Facharzt-Problematik am sinnvollsten aufgelöst werden
könne, war zuvor ein Modell denkbar knapp gescheitert, das von Dr. Wolf-Rüdiger Rudat, Delegierter der
Ärztekammer Thüringen und Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, eingebracht worden
war. Rudat warb für ein sogenanntes Y-Modell, welches die Weiterbildungsgänge für Allgemeinmedizin und
Innere Medizin in den ersten drei Jahren der Weiterbildung mit identischen Inhalten zusammenführen sollte.
In den darauf folgenden zwei Jahren sollten dann einerseits die weiteren für die Allgemeinmediziner typischen
Inhalte (zum Beispiel Pädiatrie, Chirurgie und Gynäkologie), andererseits die für die Innere Medizin typischen
Schwerpunktinhalte vermittelt werden. Das hieße: drei Jahre gleiche Weiterbildungsinhalte, zwei Jahre
unterschiedliche Weiterbildungsgänge. Am Ende dieses Y-Modells, so Dr.Wolf-Rüdiger Rudat, stünden zwei
gut voneinander abgetrennte Fachgebiete und – sofern gewollt – die Möglichkeit für die Internisten, durch den
Erwerb einer Zusatzqualifikation (vor allem in der Chirurgie) im nachhinein doch noch hausärztlich tätig
werden zu können. 107 Delegierte votierten für dieses Modell, 108 dagegen. Josef Maus