MEDIZIN: Diskussion
Pädiatrischer Praxisalltag unberücksichtigt
Failure to Consider Everyday Pediatric Practice


Erfreulicherweise werden den Symmetriestörungen des Säuglings Interesse entgegengebracht. Diese „Übersichtsarbeit“ ist nur eine „selektive Literaturübersicht“ (1): Erwähnt wird nicht, was den pädiatrischen Praxisalltag ausmacht: die postulierten „Blockaden“, die weit verbreiteten osteopathischen Behandlungen, Manualtherapien, die Atlastherapie einer „kopfgelenkinduzierte Symmetriestörung“ (KISS-Syndrom) sowie die verschiedenen Lagerungsringe und -hilfen.
Säuglinge sind entwicklungsbiologisch „Traglinge“ und keine „Liegelinge“. Wird ein Säugling nur auf dem Rücken abgelegt und nicht darauf geachtet, dass er zu beiden Seiten schaut, und wird nicht immer wieder die Bauchlage geübt, entwickelt sich eine Lieblingsseite, vor allem dann, wenn er durch intrauterine Zwangshaltungen oder geburtsbedingte Zufälle schon „schief“ ist. So sind die häufigen Asymmetrien meist ein Problem der Unwissenheit bis hin zur Vernachlässigung, weil auf eine Anleitung zum richtigen Umgang mit dem Neugeborenen („handling“) viel zu wenig Wert gelegt wird. Selten wird es tatsächlich auch „Blockaden“ geben.
Seit der ausschließlichen Rückenlageempfehlung zur Prävention des Plötzlichen Kindstods (SIDS) haben Asymmetrien stark zugenommen. In der Neugeborenenzeit, die für die Entwicklung von Symmetriestörungen am bedeutsamsten ist, ist SIDS eine Rarität, sodass, neben der „tummy time“, die alten Empfehlungen, das Neugeborene abwechselnd auf die Seite zu lagern, nicht mit dem Hinweis auf eine SIDS-Gefährdung abzulehnen ist.
Es bleibt zu wünschen, dass Übersichtsarbeiten nicht nur auf einer Literaturübersicht beruhen, sondern, empirisch und durch Feldforschung belegt, die tatsächlichen Alltagssituationen und -praktiken widerspiegeln, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Ein Bias besteht unter anderem darin, dass veröffentlicht wird, woran verdient wird, wie etwa an einer Helmtherapie, während unspektakuläre Präventionsmaßnahmen wie Lagerung und „handling“ keinen Niederschlag in der Literatur finden.
DOI: 10.3238/arztebl.2018.0038a
Dr. med. Stephan Heinrich Nolte
Kinder- und Jugendarzt
shnol@t-online.de
1. | Linz C, Kunz F, Böhm H, Schweitzer T: Positional skull deformities— etiology, prevention, diagnosis, and treatment. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 535–42 VOLLTEXT |
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