POLITIK: Medizinreport
Mißbrauch von Ketamin: Neue Modesubstanz der Szene


Auflösung verbunden sein können.
Seit einiger Zeit ist Ketamin in den USA und Großbritannien als weitere Modedroge - neben MDMA1 und
GHB2 - in der von Experimentierlust geprägten Drogenszene verbreitet. Die amerikanische Drogenbehörde
warnt bereits seit einiger Zeit vor dem stetig steigenden Mißbrauch. Auch in Deutschland zeichnet sich eine
solche Entwicklung ab.
Die eigentlich als Narkosemittel eingesetzte Substanz3 ist seit 1963 bekannt und wird primär in der
Notfallmedizin als Analgetikum, Narkotikum und in der Behandlung des Status asthmaticus eingesetzt.
Strukturelle Ähnlichkeiten gibt es zu Phencyclidin (PCP), das in der Drogenszene ebenfalls als halluzinogen
wirkende Substanz konsumiert wird und als "Angel Dust" vornehmlich in den USA zu trauriger Berühmtheit
gekommen ist.
Ketamin - in der Szene-Sprache unter anderem Special-K, Kate oder Vitamin-K genannt - ist wegen seiner
medizinisch unerwünschten Nebenwirkungen in der Abklingphase der eigentlichen Wirkung für die
Drogenszene interessant geworden. Es kann in dieser Postnarkose-Phase zu Halluzinationen mit ausgeprägter
Formen- und Farbenvielfalt kommen, die verbunden sein können mit Gefühlen der Ich-Entgrenzung und IchAuflösung. Gerade diese Wirkung hat den Anstoß zu sogenannten Flatliner-Parties gegeben, die es angeblich
auch während der letzten Love Parade in Berlin gegeben haben soll.
Hier werden durch die Einnahme von Ketamin Nah-Tod-Erfahrungen induziert; das heißt, die Konsumenten
versetzen sich in Zustände, die dem Sterben nicht unähnlich sein sollen. Beschrieben werden unter anderem
folgende Erfahrungsstufen:
- Losgelöstsein vom Körper
- Gehen durch einen Tunnel
- Wahrnehmen einer Lichtquelle
- Eintreten in das Licht
- Empfindung tiefen Friedens.
Vernachlässigt werden dabei jedoch die erheblichen Risiken, durch einen ketaminbedingten Atemstillstand den
Weg aus dem Hades nicht mehr zurückzufinden.
Ketamin wird zumeist als Racemat hergestellt und vertrieben, wobei die Mischung der zwei Enantiomere auch
die oben genannten Nebenwirkungen mitbedingt. Das (teurere) Präparat Ketanest S® besteht primär aus dem
Enantiomer, das die medizinisch unerwünschten Nebenwirkungen nicht hervorruft. Ketamin setzt an
verschiedenen Punkten des Nervensystems an; es ist ein Up-take-Hemmer von Dopamin, Noradrenalin und
Serotonin und wirkt analgetisch, anästhetisch, sympatho- und parasympathomimetisch. Neben Einflüssen auf
adrenerge, dopaminerge und cholinerge Systeme spielen auch NMDA4 eine wichtige Rolle bei der
Ketaminwirkung. Diese Rezeptoren sind für die Wirksamkeit verschiedener Arzneimittel (Lachgas) und auch
Drogen (PCP, Alkohol) bedeutsam.
Die Wirkung nach i.v.-Gabe einer medizinischen Dosis (zum Beispiel in der Anästhesie: 4 bis 8 mg/kg KG)
kann innerhalb von 45 bis 60 Sekunden einsetzen. Zunächst stellt sich Analgesie ein, die dosisabhängig von etwa
zehnminütigem Koma begleitet wird. In der Folge kann sich eine zirka 30minütige Phase der verminderten
Schmerzempfindlichkeit und Somnolenz anschließen. Protektive Reflexe (zum Beispiel PharyngealLaryngealreflex, Lid-, Schluck-, Hustenreflex) sind in dieser Phase erhalten. In der Aufwachphase können sich
zum Teil intensive Wahrnehmungsverzerrungen und optische Halluzinationen einstellen. Es finden sich - ohne
adäquate Begleitmedikation - Zeichen der zerebralen Vasodilatation, des gesteigerten zerebralen Stoffwechsels
und des erhöhten intrakraniellen Drucks.
Als Droge wird Ketamin in gelöster oder in kristalliner Form konsumiert: intravenös, intramuskulär,
beziehungsweise transnasal oder oral. Die Substanz stammt entweder aus Apotheken- und Praxiseinbrüchen
(bevorzugt bei Veterinärmedizinern) oder aus illegaler Produktion. Die Wirkungsintensität hängt von der
Darreichungsform und der Konzentration ab, zumeist tritt die Wirkung innerhalb von Minuten ein, erreicht nach
zirka 15 Minuten sein Maximum und dauert zumeist ein bis zwei Stunden an.
Ketamin ist in Deutschland als verschreibungspflichtiges und verkehrsfähiges Arzneimittel eingestuft und
unterliegt zur Zeit nicht den Auflagen des Betäubungsmittelgesetzes.
In Tierversuchen konnte eine Schädigung von unreifem ZNS-Gewebe durch Ketamin nachgewiesen werden.
Hier sind vor allem die NMDA-Rezeptor-assoziierten Regionen betroffen. Diese werden durch Ketamin in ihrer
Funktion als Glutamat-Andockstellen blockiert, was den Untergang der Hirnzellen dieser Areale zur Folge haben
kann. Die Übertragbarkeit dieser tierexperimentellen Ergebnisse auf den Menschen wird zur Zeit diskutiert. Auf
die nicht unerheblichen Gefahren einer Abhängigkeitsentwicklung bei fortgesetztem Mißbrauch von Ketamin sei
in diesem Zusammenhang hingewiesen.
Bei Überdosierungen mit Ketamin steht die Atemsuppression im Vordergrund. Die Ausprägung dieser Wirkung
auf das Atemzentrum hängt von der Art der Applizierung ab und auch von dem eventuellen - in der "Szene"
leider weitverbreiteten - Hang zum Mischkonsum anderer zentralnervös wirkender Substanzen. Der i.v.-Konsum
von Ketamin kann dosisabhängig zu sofortigem Atemstillstand führen, bei i.m.-Applizierung stellt sich die
Wirkung weniger rasch ein, bei dem Schnupfen der Ketaminkristalle flutet die Wirkung relativ langsam an. Als
weitere Symptome einer Ketamin-Intoxikation können sich unter anderem einstellen: Hypertonie, Tachykardie,
Hypersalivation, Angst/Panik-Zustände, psychotiforme Zustände mit Halluzinationen, Hirndrucksteigerung.
Eine Mischintoxikation kann zu einem unkontrollierbaren Verlauf mit Atemstillstand führen. Ein direktes
Antidot für die Ketaminwirkung steht nicht zur Verfügung, so daß die Behandlung symptomorientiert erfolgen
muß. Notfallmaßnahmen, wie die Freihaltung der Atemwege, falls nötig Intubation und unterstützte Beatmung,
sind zu ergreifen. Falls situativ angemessen, kann die weitere Resorption von oral aufgenommenem Ketamin
durch Emetika und Kohlegabe (mindestens 1 g/kg KG) verlangsamt werden. Bei hypertensiven Krisen ist die
Gabe eines kurz wirkenden Betablockers anzuraten. Die Angst/Panik-Zustände können im Bedarfsfall mit
Benzodiazepinen koupiert werden. Dr. Thomas W. Heinz
Nah-Tod-Erfahrungen sind der "Kick", den Ketamin dem Konsumenten vermitteln soll. Foto: Superbild
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