

Es gehört zu jeder ordnungsgemäßen medizinischen Exploration dazu: die Frage nach dem Beruf des Patienten. Nur übelmeinende Zeitgenossen vermuten hinter dieser Frage ein unanständiges Sortieren des Versichertenstatus, ob man als Arbeitsloser und somit gesetzlich Versicherter schlechte Behandlung und noch schlechtere Termine bekommt, während sich der privat versicherte Geschäftsführer in exquisiten Wellnesswartezimmern mit gespiegeltem Mahagoni-Wurzelholzfurnier wiederfindet. Dem muss ich klar widersprechen. Die Kenntnis der beruflichen Situation meiner Schutzbefohlenen ist wegweisend für die Behandlungsstrategie, mal ist diese klar strukturiert und erfolgsverwöhnt, mal unnötig kompliziert und komplikationsbehaftet. Und je nach Beruf muss ich eine andere Sprache sprechen. Wenn ich beispielsweise einem alten Bergmann mitteilen muss: Es tut mir entsetzlich leid, Ihre Luftnot kommt von einer Herzklappe, die ist völlig verkalkt und kritisch eingeengt! So entgegnet er: „Kann man da was machen?“ Die Herzklappe muss ersetzt werden. „Herr Doktor: Wat mutt, dat mutt!“ Erstaunlicherweise überstehen diese Patienten den Eingriff meist problemlos und erfreuen sich noch viele Jahre an ihrem unbeschwert pumpenden Herzen. Einfache Sprache, klares Prozedere, wunderschöner Erfolg.
Technische Berufen sind noch schwieriger: Ingenieuren fällt es schwer zu akzeptieren, dass sich medizinische Probleme nicht mit Maßstäben von Mikrometern oder den Mitteln des Massenspektrometers messen lassen. Allein schon der Hinweis, dass sich die Gesetze der Strömungsphysik nur eingeschränkt auf den Kreislauf übertragen lassen, da es sich bei Blut um eine nicht-newtonsche Flüssigkeit handelt, lässt sie anhaltend darüber grübeln, wie man diesem Missstand begegnen könnte. Hier muss die Sprache eine technische sein, hier muss ich tief in meine rudimentären Kenntnisse der Physik greifen, um zu verhindern, dass sich diese Patienten zur Austauschtransfusion anmelden.
Noch schwieriger wird es bei Pädagogen, die qua Beruf verinnerlicht haben, dass Menschen immer nur Fehler machen. Auch wenn sich unter Medizinern nur noch Einser-Abiturienten tummeln: Auch diese können sich irren, und daher gilt es für diese Patienten, den Fehler zu finden, daher können sie sich kaum mit einem empfohlenen Prozedere anfreunden. Bedrohlich wird dies, wenn bei typischer Crescendo-Angina der dringende Verdacht auf eine kritische Koronarstenose durch eine zügige Herzkatheteruntersuchung geklärt werden sollte. Aus Zweifel an der Korrektheit meiner Empfehlung wird von mir gefordert, vor der invasiven Abklärung sämtliche diagnostische Alternativen in die Wege zu leiten. Ich zittere dann immer, ob diese noch rechtzeitig erfolgen, damit sich die Verdachtsdiagnose nicht im Rahmen einer Reanimation Bahn bricht. Hoher Gesprächsbedarf, unnütze Umwege, gefährdeter Behandlungserfolg. Aber es gibt noch weitere Berufe, für die besondere Sprachkenntnisse vonnöten… Entschuldigung, das Telefon klingelt, eine niedergelassene Kollegin will mich sprechen. „Herr Böhmeke, es geht jetzt mal ausnahmsweise um mich selbst, ich habe seit Stunden einen Puls von 200, habe schon Betablocker eingenommen, aber es wird nicht besser. Was soll ich tun?“ Ich frage nur noch, ob es sich um eine Tachykardie mit regelmäßiger oder unregelmäßiger Schlagfolge handelt, da ist sie schon auf dem Weg in meine Praxis. Die erwartete AV-Knoten-Reentry-Tachykardie habe ich kaum mit ein bisschen Adenosin terminiert, da springt sie von der EKG-Liege auf. „Danke!“ Und entfernt sich die Venenverweilkanüle. Moment mal! Ich muss sie noch ein bisschen beobachten, außerdem ist dies keine definitive Therapie, ich muss mit ihr noch die weiteren Behandlungsoptionen erläutern! „Dafür habe ich jetzt gar keine Zeit! Ich komme grade aus der Sprechstunde, und das Wartezimmer ist immer noch rappelvoll!“ Ärzte. Da ist man einfach nur sprachlos.
Dr. med. Thomas Böhmeke
ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.