POLITIK
Kindergesundheit: Medienkompetenz fördern


Etwa 100 000 Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren sind inzwischen internetabhängig. Auf Initiative der Bundesdrogenbeauftragten haben Pädiater Empfehlungen zur Orientierung der Eltern für den Medienkonsum entwickelt.
Oftmals wachsen Kinder wie selbstverständlich mit den neuen Medien auf, ohne klare Vorgaben der Eltern und ohne Medienkompetenz. Deshalb sollen Kinderärzte Eltern ab sofort einen neuen Flyer mit 24 Empfehlungen zur Orientierung an die Hand geben. Dieser wurde auf Initiative der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler, entwickelt und Anfang März vorgestellt. Beteiligt waren unter anderem die Deutsche Akademie der Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). „Kinderärzte sollten Eltern mithilfe des Flyers bereits im Rahmen der U3-Untersuchung erstmals auf die Empfehlungen zum Medienkonsum hinweisen, wenn die Kinder vier bis sechs Wochen alt sind“, lautet der Rat des BVKJ-Vorstandsmitglieds Uwe Büsching. Den Elternratgeber „Schau hin“ hält er an dieser Stelle für „zu weich“. Eltern bräuchten konkretere Empfehlungen. Auch viele ärztliche Kollegen wünschen sich, etwas Konkretes in der Hand zu halten.
Die neuen Empfehlungen sollen diese Lücke schließen. Besonders hervorzuheben sei der letzte Hinweis (siehe Kasten): „Wenn das Kind das reale Leben vernachlässigt, weil es sich zu viel Zeit mit digitalen Medien beschäftigt, ist professionelle Hilfe vonnöten“, sagte Büsching. Den Rückzug in virtuelle Welten sieht auch BVKJ-Präsident Thomas Fischbach als besonders problematisch. In seiner Sprechstunde hat er immer wieder Fälle, in denen Eltern über einen Medienkonsum von sechs bis acht Stunden pro Tag berichten. Eine genaue Definition des „zu viel“ sei aber umstritten. Der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin aus Bielefeld setzt hier auf das richtige Gefühl der Eltern. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und die Schweizer Gruppe no-ZOFF sprechen von einer halben Stunde pro Tag bis zum zehnten Lebensjahr. „Entscheidend ist nicht unbedingt die Zeit, sondern wie man diese Zeit mit den Medien verbringt und wie man damit umgeht“, betonte Mortler.
Eltern sollten ihre Kinder beim Umgang mit den neuen Medien nicht alleine lassen und sie nicht zu früh damit arbeiten lassen. Die Fachgesellschaften und Verbände legen sich in ihren Empfehlungen darauf fest, Bildschirmmedien bei unter Dreijährigen zu vermeiden. „Man kann den Umgang mit neuen Medien nicht gänzlich verdammen. Es gibt auch positive Aspekte, beispielsweise, wenn Kinder sich per Chat über ihre Schulaufgaben austauschen oder Lern-Apps nutzen“, ergänzte die Drogenbeauftragte. Den Medienkonsum der Kinder über bestimmte Apps zu kontrollieren, können Büsching und Fischbach nicht empfehlen. „Der Goldstandard ist das Gespräch mit den Kindern. Technische Hilfen, die den Medienkonsum dokumentieren, können das ergänzen, aber nicht ersetzen“, sagte Kinderarzt Till Reckert, einer der Autoren des Flyers für achtsamen Bildschirmmediengebrauch. Das Angebot der Apps, mit denen Eltern das Surfverhalten ihrer Kinder nachverfolgen können, notfalls auch inkognito, ist groß: Mama bear, Net Nanny, My Mobile Watchdog oder Qustodio und viele mehr. Das Vertrauen könnte hierbei allerdings auf der Strecke bleiben.
Inzwischen seien etwa 100 000 Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren internetabhängig, was auch dem Familienleben schade, sagte Mortler. Zahlen der BZgA zufolge hat sich der Anteil computerspiel- und internetbezogener Störungen bei männlichen Jugendlichen von 3,0 Prozent im Jahr 2011 auf 5,3 Prozent im Jahr 2015 erhöht. Bei den weiblichen Jugendlichen hat sich der Anteil in diesem Zeitraum von 3,3 Prozent auf 6,2 Prozent fast verdoppelt. Kathrin Gießelmann
Der Flyer im Internet:
http://daebl.de/ZT94
Die fünf wichtigsten Empfehlungen
- Machen Sie sich bewusst: Sie sind Vorbild für Ihr Kind, es wird Sie nachahmen.
- Nutzen Sie Bildschirmmedien nicht zur Belohnung, Bestrafung oder Beruhigung.
- Wählen Sie ruhige, altersgerechte Fernsehsendungen ohne Gewalt aus; überlassen Sie die Fernbedienung nicht Ihren Kindern.
- Stellen Sie klare Regeln auf und begrenzen Sie die Bildschirmmediennutzungszeiten.
- Wenn Ihr Kind das reale Leben vernachlässigt: Suchen Sie professionelle Hilfe.
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