ArchivDeutsches Ärzteblatt44/1999Arzneiverordnungsreport 1999: Ein gewisser Hochmut

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Arzneiverordnungsreport 1999: Ein gewisser Hochmut

Jachertz, Norbert

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LNSLNS Unverdrossen fordern die Herausgeber des Arzneiverordnungsreports - der Pharmakologe Ulrich Schwabe und der AOK-Funktionär Dieter Paffrath (das wissenschaftliche Institut des AOK-Bundesverbandes liefert die Daten) - Einsparungen bei der Arzneiverordnung durch Kassenärzte. Auf 6,9 Milliarden DM orten sie nunmehr das Sparvolumen, wenn vermehrt Generika verschrieben sowie Me-too-Präparate und umstrittene Arzneimittel substituiert würden. Dabei haben sich die Kassenärzte in den letzten Jahren bereits sehr sinnvoll verhalten. 1998 stiegen die Kassenausgaben für verordnete Arzneimittel lediglich um 4,8 Prozent auf nunmehr 35,7 Milliarden DM. Etwa die Hälfte des Zuwachses betrifft das Problem Großpackungen, verursacht durch eine ungeschickte politische Festlegung der Zuzahlungen; das hat also wenig mit ärztlichem Verhalten zu tun. Die Zahl der Verordnungen geht zurück, deren Wert nimmt allerdings leicht zu. Eine wesentliche Ursache dürfte sein, daß die Ärzte wie gerade vom Arzneiverordnungsreport immer wieder empfohlen, substituiert haben, nämlich von sogenannten umstrittenen Mitteln, die meist relativ billig sind, zu unumstrittenen Präparaten, die im Zweifelsfall teurer sind. Zwischen 1991 und 1998 ist der Anteil umstrittener Arzneimittel an den Verordnungen von 30 Prozent auf 14,5 Prozent zurückgegangen. Waren die Ärzte nicht brav? Auch in Sachen Generika haben sie sich systemkonform verhalten; deren Anteil an den kassenärztlichen Verordnungen liegt inzwischen bei fast 70 Prozent. Was will man mehr? Die Verfechter der reinen Lehre wollen halt noch mehr, sie zielen offensichtlich darauf, den Gesamtmarkt in ihrem Sinne zu bereinigen. In der Praxis wird sich das kaum durchsetzen lassen. KBV-Vorstandsmitglied Jürgen Bausch ist jedenfalls der Meinung, die Einsparpotentiale, die Schwabe & Co. noch sehen, ließen sich allenfalls mit der Brechstange in der Praxis realisieren. Immerhin konnten sich Bausch und Schwabe bei der Vorstellung des Reports 1999 (erschienen bei BertelsmannSpringer) darauf einigen, daß es zumindest eines langwierigen Prozesses bedürfe, um die Kassenärzte in die gewünschte Richtung zu (er)ziehen. Schwabe, von der Presse in Berlin befragt, wie er denn dem Patienten einen Wechsel in der Arzneitherapie erkläre: "Ich behandle keine Patienten, sondern bin Pharmakologe." Mancher Kassenarzt wird solche Einstellung als hochmütig empfinden.
Seine neuen Attacken richten sich gegen Me-too-Präparate, also solche, die "nur" relativ geringen medizinischen Fortschritt beinhalten. Die haben nämlich bei den Verordnungen rasante Zuwächse zu verzeichnen. Vielleicht gibt es dafür gute Gründe, zum Beispiel die von Schwabe und Paffrath propagierte Substitution. Vielleicht wird vom praktizierenden Arzt der Fortschritt manches Me-too-Präparates auch anders bewertet als vom Schreibtisch des Pharmakologen aus. Gewiß spielen auch Marketingbemühungen der Arzneimittelhersteller eine Rolle, die doch tatsächlich ihre Neuentwicklungen verkaufen wollen. Schwabe extemporierte in Berlin mehr nach Gefühl als aus wissenschaftlicher Erkenntnis: Die Ärzte folgten der Volksweisheit "was neu ist, ist besser", und sie ließen sich auf das Industriemarketing ein. Durch Reisen mit dem Orientexpress und mit dem Jet nach New York, samt Ehefrauen, ließen sie sich bestechen ("Das sind keine Einzelfälle"). Den Arzneiverordnungsreport bringen solche unverfrorenen Verdächtigungen (die auch einiges über die Gesinnung des Herausgebers aussagen) in Mißkredit, genauso wie dem Report schadet, daß er im Urteil der Öffentlichkeit nur als Instrument der Sparpolitik betrachtet wird. Wenn man sich die einzelnen Fachkapitel ansieht, entdeckt man freilich, daß er weitaus mehr enthält, nämlich durchaus abgewogene Darstellungen der Hauptverordnungsbereiche. Insbesondere zu loben ist das Bekenntnis zur echten, auch teuren Innovation. In diesem Sinne sieht auch Bausch den Arzneiverordnungsreport als wirkungsvolles Hilfsmittel bei Verhandlungen mit den Krankenkassen. Die freilich werden sich, wetten wir, auf die vermeintlichen Einsparpotentiale stürzen.
Norbert Jachertz

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