ArchivDeutsches Ärzteblatt12/2018Pflegekräftemangel: Ein wirklich großes Thema

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Pflegekräftemangel: Ein wirklich großes Thema

Maibach-Nagel, Egbert

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Egbert Maibach-Nagel, Chefredakteur
Egbert Maibach-Nagel, Chefredakteur

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will, so hat er es anlässlich des 5. Deutschen Pflegetages (siehe Seite 513) erklärt, die Pflege zu einem „großen Thema“ machen. Zu spät, es ist schon jetzt immens: Die laut Koalitionsvertrag 8 000 zusätzlich in Deutschland einzustellenden Pfleger sind wie Tropfen auf den heißen Stein. Der Präsident des Deutschen Pflegerats, Franz Wagner, sieht in der Alten- und Krankenpflege mittelfristig einen Bedarf für je 50 000 zusätzliche Kräfte, um die Misere in den Griff zu kriegen. Schon aktuell können über 30 000 Stellen im Bundesgebiet nicht besetzt werden. Woher nehmen?

Dass es darum gehen muss, kranken- und sozialpflegerische Berufe attraktiver zu machen, so implizit Jens Spahns Forderung, ist sicherlich richtig. Aber zusätzliche Ausbildungen, Gehalt nach Tarif, gesellschaftliche Aufwertung, Work-Life-Balance – all das kostet. Wer zahlt?

Es bedarf nicht nur deutlicher Worte, sondern auch systemischer Überlegungen. Dass im komplexen Gesundheitssystem der Angang mittels politischer Verschiebebahnhöfe nicht funktioniert, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Die Absicht, die Finanzierung zusätzlichen Pflegepersonals durch eine Trennung der Vergütung von den Fallpauschalen zu finanzieren, kostet. Dass dieses Geld – wenn aus dem DRG-System herausgetrennt – aus der Solidarversicherung gezogen werden kann, mag aktuell stimmen. Aber an diesen Schaltern stehen schon andere an und werden mit der Begründung der Konjunkturabhängigkeit abgewiesen. Wie soll das funktionieren?

Hinreichend bekannt ist auch: Wer an den Stellschrauben dreht, ändert den Lauf des Gesamtsystems. Bisher wirtschaften Deutschlands Krankenhäuser mit den eingeführten Fallpauschalen. Zu wenig, um gesund zu leben, beklagen manche Krankenhausdirektoren. Wie diese neuen Löcher stopfen?

Die den Ländern obliegende Finanzierung der Investitionskosten in der stationären Behandlung versagt auf blamable Weise. Also wird durch Einsparungen im Gehaltsgefüge und Personal das Notwendigste getan. Dass man dabei ist, hier den Bogen zu überspannen, merkt man an den Abgängen derer, die den Stress so nicht mehr aushalten. Das Resultat ist bekannt: gesperrte Betten in Intensivstationen, Aufnahmestopps in Pflegeheimen. Wie lange geht das noch?

Die Aufwertung des Pflegeberufs, sei es durch Akademisierung, durch Weiterbildung oder Spezialisierung, muss in ein System eingebunden sein, das Qualifizierung auch nutzt. Bespiel: In Deutschland gibt es zur Zeit rund 5 000 Pflegefachkräfte mit zusätzlicher zweijähriger onkologischer Fachweiterbildung. Sie können, so wurde auf dem Deutschen Krebskongress jüngst noch beklagt, in diesen Bereichen aber nicht arbeiten, weil sie aktuell bestehende Lücken füllen. Wer auch immer an den Schrauben dreht, muss erst „das Jetzt“ attraktiv gestalten, dann Perspektiven schaffen.

Entbürokratisierung und Delegation zu fordern, ist eins. Das ändert aber nicht die Verantwortlichkeit: Im medizinischen Sektor liegt sie beim Arzt. Der kann nur begrenzt und dezidiert entlastet werden. Drehe und wende man es, wie man will:

Auf Jens Spahn wartet so etwas wie eine Herkules-Aufgabe: Das Problem ist komplex, der Weg zur spürbaren Lösung lang, direkt merkliche Effekte sind nicht greifbar, die meisten Fragen bleiben offen.

Egbert Maibach-Nagel
Chefredakteur

Kommentare

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Avatar #682038
bmhoffmann
am Donnerstag, 29. März 2018, 13:09

Schlagworte sollten dennoch mit Bedacht gewählt werden

Vielen Dank für die Überschrift "Pflegekräftemangel"! In der vergangenen Woche war ich sehr unglücklich über "Pflegemangel" oder würden Sie unter "Medizinmangel" Ärztemangel verstehen?

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