ArchivDeutsches Ärzteblatt15/2018„Gesundheitskiosk Billstedt/Horn“: Für mehr Gesundheitskompetenz

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„Gesundheitskiosk Billstedt/Horn“: Für mehr Gesundheitskompetenz

Korzilius, Heike

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Abnehmen, mehr bewegen, aufhören zu rauchen – seit gut einem halben Jahr berät und unterstützt ein mehrsprachiges Team im sozial benachteiligten Hamburger Osten Patienten in Gesundheitsfragen.

Die Stadtteile Billstedt und Horn liegen im Hamburger Osten. Hochhäuser prägen das Bild. Von den 100 000 Einwohnern hat gut die Hälfte einen Migrationshintergrund. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und chronische Erkrankungen sind weit verbreitet. Diabetes tritt der AOK Rheinland/Hamburg zufolge in Billstedt und Horn fast zehn Jahre früher auf als im Hamburger Durchschnitt. Dort leiden auch mehr Kinder an Entwicklungsstörungen. Entsprechend hoch ist das Patientenaufkommen in den Arztpraxen, von denen es in Billstedt und Horn jedoch weit weniger gibt als in den besser situierten Stadtteilen. Die Folge: Viele Ärzte fühlen sich überlastet. Zumal die Gesprächsführung mit den Patienten oft schwierig ist, weil viele nur schlecht Deutsch sprechen.

Foto: dpa
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Für Dr. med. Gerd Fass, der am Mümmelmannsberg eine Gemeinschaftspraxis für Orthopädie und Unfallchirurgie betreibt, war das ein Grund, sich im Ärztenetz Billstedt/Horn zu engagieren. Unterstützt von inzwischen drei gesetzlichen Krankenkassen und gefördert vom Innovationsfonds betreibt das Ärztenetz dort seit gut einem halben Jahr den bundesweit ersten Gesundheitskiosk (siehe Kasten). Dort berät ein mehrsprachiges Team aus Pflegekräften und Gesundheitswissenschaftlern Patienten und Bewohner in Gesundheitsfragen. Knapp 1 900 Beratungen fanden nach Auskunft der OptiMedis AG, die das Projekt verwaltet, bislang statt. Die häufigsten Themen: Gewicht, Ernährung und Bewegung. Viele Patienten hätten aber auch zu ihrer konkreten Krankheitsgeschichte Rat und Hilfe gesucht.

Chirurg Fass empfiehlt fast der Hälfte seiner Patienten den Besuch im Gesundheitskiosk. „Gerade in der Orthopädie haben wir es häufig mit Beschwerden zu tun, die mitverursacht wurden durch zu wenig Bewegung und zu viel Gewicht“, sagt er dem Deutschen Ärzteblatt. Diese Patienten verlassen die Praxis mit einer schriftlichen Empfehlung und werden im Gesundheitskiosk, wenn nötig in ihrer Muttersprache und über längere Zeiträume, weiter betreut. Fass empfindet das Angebot als große Entlastung und verspricht sich dadurch eine bessere Therapietreue der Patienten. „Und diese sind froh, dass sie ohne zuzahlen zu müssen, gut beraten werden“, sagt der Chirurg. Noch sei es zu früh, die langfristigen Effekte dieses Angebots zu bewerten: „Aber es passiert etwas.“ Wissenschaftlich evaluiert wird das Projekt vom Hamburg Center for Health Economics der dortigen Universität. Erste Ergebnisse sollen im Herbst vorliegen.

Fass wünscht sich, dass sich noch mehr Kolleginnen und Kollegen in Billstedt und Horn an dem Projekt beteiligen. Nach 15 Monaten Laufzeit habe sich knapp die Hälfte für eine Teilnahme entschieden. Fass hofft darauf, dass sich die nachrückende Ärztegeneration mehr für die Arbeit in multiprofessionellen Teams erwärmen kann. „Denn mit dem Gesundheitskiosk wollen wir ja auch erreichen, dass unser Stadtteil für die Kollegen attraktiver wird“, erklärt der Chirurg. „Wir wollen erreichen, dass Billstedt/Horn als gutes Arbeitsumfeld wahrgenommen wird.“ Nach Ansicht von Fass eignet sich das Projekt durchaus als Blaupause für andere Problembezirke. Voraussetzung dafür sei ein funktionierendes Ärztenetz, ein mehrsprachiges Team und die Unterstützung der Krankenkassen. Heike Korzilius

„Gesundheit für Billstedt/Horn“

Ziel: Das Projekt soll die Versorgung und die Gesundheit der Bevölkerung in dem sozial benachteiligten Stadtteil verbessern. Herzstück ist der Gesundheitskiosk mit seinem umfassenden Beratungsangebot.

Förderung: 6,3 Millionen Euro für drei Jahre

Partner: Träger des Projekts sind das Ärztenetz Billstedt/Horn, die Optimedis AG, die SKH Stadtteilklinik Hamburg und der NAV Virchow-Bund. Die AOK Rheinland/Hamburg hat mit den Trägern einen integrierten Versorgungsvertrag geschlossen. Barmer GEK und DAK stellen Daten zur Verfügung.

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