ArchivDeutsches Ärzteblatt18/2018Einsicht in Patientenakten: Vorgehen bei Umzug oder Tod eines Patienten

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Einsicht in Patientenakten: Vorgehen bei Umzug oder Tod eines Patienten

Halbe, Bernd

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Gesetzlich geregelt ist nicht nur, wer Einsicht in eine Patientenakte hat. Auch der Ort der Einsichtnahme folgt Vorgaben durch den Gesetzgeber. Zu beachten ist auch, dass den Einsichtnahmerechten Hinterbliebener der mutmaßliche Wille des Verstorbenen entgegenstehen kann.

Der Blick in die Patientenakte: Einsichtsberechtigt ist grundsätzlich die Person, die behandelt worden ist und den Behandlungsvertrag geschlossen hat. Foto: picture alliance
Der Blick in die Patientenakte: Einsichtsberechtigt ist grundsätzlich die Person, die behandelt worden ist und den Behandlungsvertrag geschlossen hat. Foto: picture alliance

Das Recht des Patienten auf Einsichtnahme in seine Originalpatientenakte ist durch § 630 g Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelt. Die gesetzliche Regelung dient insbesondere der Umsetzung des Rechts des Patienten auf informationelle Selbstbestimmung. Daneben ist das Einsichtnahmerecht auch in § 10 Abs. 2 Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) geregelt.

Grundsätzlich ist der Patient, also diejenige Person, die tatsächlich behandelt worden ist und den Behandlungsvertrag geschlossen hat, einsichtsberechtigt (aktivlegitimiert). Für den Ort der Einsichtnahme verweist § 630 g Abs. 1 Satz 3 BGB auf § 811 BGB. Demnach ist Einsicht an dem Ort zu gewähren, an dem sich die Patientenakte befindet, mithin am Ort der Arztpraxis oder des Krankenhauses.

Dies vorangestellt, behandeln nachfolgende Ausführungen die Frage, wie sich ein Umzug des betroffenen Patienten auf sein Einsichtnahmerecht auswirkt. Ferner erfolgt ein Überblick zu der Frage der sogenannten postmortalen Einsicht in die Patientenakte.

Ein Umzug des Patienten hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf das Einsichtnahmerecht. Dies kann lediglich Bedeutung erlangen, wenn es um den Ort geht, an dem die Unterlagen vorgelegt werden. Neben der grundsätzlich am Ort, an dem sich die Patientenakte befindet, zu gewährenden Einsichtnahme kann nach § 811 Abs. 1 Satz 2 BGB jede Partei die Vorlegung an einen anderen Ort verlangen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Dies ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/10488, 27) zum Beispiel der Fall, wenn der Patient derart erkrankt ist, dass er die Anreise dauerhaft nicht bewältigen kann oder wenn der Behandler (nicht der Patient!) umgezogen ist. Es kann dann durch den Arzt entweder die Übersendung der Originalakte an den Patienten oder aber eine Hinterlegung zur Einsichtnahme an einer zugänglichen Stelle erfolgen. Auch eine Versendung an den Anwalt des Patienten ist möglich (vgl. OLG München, Urt. v. 19. April 2001, Az.: 1 U 6107/00). Die hierdurch entstehenden Kosten der Einsichtnahme hat der Patient zu tragen.

In der Praxis relevanter ist meist der Anspruch auf Anfertigung und Herausgabe von Kopien nach § 630 g Abs. 2 BGB. Der Patient ist hierauf allerdings nicht beschränkt, vielmehr kann er immer auch Einsicht in die Originaldokumente verlangen. Im Hinblick auf die Beweisfunktion der Originalakten und die berufsrechtlichen Aufbewahrungspflichten, sollte der Arzt es jedoch vermeiden, die Originale aus der Hand zu geben oder mit der Post zu versenden. Hier bietet sich an:

  • die Einsichtnahmegewährung durch einen Bevollmächtigten des Patienten in der Praxis oder
  • die bereits angeführte Hinterlegung zur Einsichtnahme durch den Patienten bei einem Anwalt oder Notar am Wohnsitz des Patienten.

In der Praxis sind bislang allerdings nur sehr vereinzelt Fälle bekannt geworden, in denen die Patientenseite sich bei fehlender Einsichtnahmemöglichkeit in der Arztpraxis nicht mit Kopien oder elektronischen Abschriften der Behandlungsunterlagen zufriedengegeben hat.

Einsichtnahme in die Akten Verstorbener

Die normalen Aufbewahrungsfristen für Patientenunterlagen (§ 630 f Abs. 3 BGB) werden durch den Tod von Patienten nicht tangiert, der Arzt ist weiterhin verpflichtet, die Patientenakten bis zum Fristablauf zu archivieren.

Das Recht auf sogenannte postmortale Einsicht in die Patientenakte ist in § 630 g Abs. 3 BGB geregelt. § 630 g Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 BGB bestimmen je nach den Gründen, auf die die Einsichtnahme gestützt wird, entweder die Erben des Patienten oder seine nächsten Angehörigen als einsichtsberechtigte Personen. Grundsätzlich gilt hierbei, dass einem Einsichtsbegehren der einsichtsberechtigten Personen nach § 630 g Abs. 3 Satz 3 BGB als Hinderungsgrund der ausdrückliche oder mutmaßliche Patientenwille entgegenstehen kann („ist ausgeschlossen“). Demnach kommt es vorrangig auf eine entsprechende Willensäußerung des Patienten an. Sofern dieser mündlich oder schriftlich verfügt hat (beispielsweise im Rahmen eines Testaments, einer Patientenverfügung oder einer Vorsorgevollmacht), dass eine postmortale Einsichtnahme verwehrt sein soll und der Verwahrer der Patientenakte hiervon Kenntnis erlangt hat, entsteht das Recht auf postmortale Einsicht in die Patientenakte von vornherein nicht.

Auslegung des mutmaßlichen Willens des Patienten

Nach § 630 g Abs. 3 Satz 3 BGB kann auch der mutmaßliche Wille des Patienten dem Einsichtnahmerecht der einsichtsberechtigten Personen entgegenstehen. Die Auslegung des mutmaßlichen Willens des Patienten hat sich hierbei stets an dem Zweck des eingeschränkten Einsichtsrechts von Patientenakten zu orientieren. Es geht um den Grundrechtsschutz (Gewährleistung der ärztlichen Schweigepflicht und damit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde) des Patienten über den Tod hinaus, der durch die Einsichtnahme Dritter durchbrochen werden soll. Demnach kann sich bereits aus dem konkreten Inhalt des Auskunftsersuchens (beispielsweise: „Hat die verstorbene Patientin einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen?“) ergeben, dass dem Anspruch der mutmaßliche Willen des Patienten entgegensteht. Prof. Dr. jur. Bernd Halbe

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Rechte Angehöriger

Die gesetzlichen Grenzen, denen das Akteneinsichtsrecht des Patienten nach § 630g Abs. 1 Satz 1 BGB unterliegt, gelten auch für die Erben und Angehörigen. Allerdings wird es in Bezug auf diesen Personenkreis nur selten vorkommen, dass der Einsichtnahme erhebliche therapeutische Gründe entgegenstehen. Diskutabel ist dies aber, wenn die Einsichtnahme der Information über eine Erbkrankheit dienen soll.

Wer unter den Begriff „nächster Angehöriger“ im Sinne von § 630 g Abs. 3 BGB zu fassen ist, wird in der Norm nicht näher definiert (vgl. aber § 1 a Nr. 5 Transplantationsgesetz). Die Gesetzesbegründung nennt insoweit beispielhaft Ehegatten, Lebenspartner, Kinder, Eltern, Geschwister und Enkel (vgl. BT-Drs. 17/10488, 27), also jedenfalls Verwandte bis zum zweiten Grad, wozu auch die Großeltern gehören. Diese Personen haben die Gemeinsamkeit, dass sie ein familienrechtliches beziehungsweise verwandtschaftliches Verhältnis mit dem Verstorbenen verbindet. Im Hinblick auf die beispielhafte Aufzählung in der Gesetzesbegründung und vor allem aus Respekt vor dem mutmaßlichen Willen des Erblassers ist die Aktivlegitimation anderer Personen, die zum Verstorbenen in keinem familiären oder verwandtschaftlichen Verhältnis stehen, zu verneinen. Die Maßgeblichkeit des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen ergibt sich aus der Schrankenregel des § 630 g Abs. 3 Satz 3 BGB, nach der das Akteneinsichtsrecht ausgeschlossen ist, soweit die Einsichtnahme dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten widerspricht. Unberührt von der gesetzlichen Regelung bleibt die Möglichkeit, dass der Patient eine ihm nahestehende Person, die nicht zu seinen Angehörigen im Sinne des Gesetzes zählt, zur (auch) postmortalen Einsichtnahme bevollmächtigt.

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