ArchivDeutsches Ärzteblatt PP5/2018Humanistische Therapie: Andere Sichtweisen
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Es ist das gute Recht der Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie (WBP) ihre Sicht zum umstrittenen „Gutachten des WBP zur Wissenschaftlichen Anerkennung der Humanistischen Psychotherapie“ darzustellen. Es ist auch nachvollziehbar, wenn sich der WBP in einer solchen Darstellung „gegen Vorwürfe der Parteilichkeit“ verwahrt. Leider wird aber auf die in zahlreichen Veröffentlichungen vorgebrachten Einwände, Beanstandungen und Mängel am Gutachten, welche solche Kritik begründen, nicht Bezug genommen. Besser wäre es daher gewesen, solchen Vorwürfen Argumente entgegenzusetzen und/oder Antworten auf diesbezügliche Fragen zu geben – etwa: warum der WBP ohne An- und Auftrag meinte, das wissenschaftlich anerkannte, aber zu den Gutachtern in Konkurrenz stehende Verfahren „Gesprächspsychotherapie“ erneut „überprüfen“ zu sollen. Wozu sich der WBP sogar über die Regeln seines eigenen Methodenpapiers hinwegsetzte. Oder warum vom früheren WBP als wissenschaftliche Belege anerkannte Studien plötzlich zuhauf nicht nur ihren „wissenschaftlichen“ Status verloren haben, sondern viele davon angeblich auch keine Humanistische Psychotherapie mehr sind. Oder warum zum Beispiel Studien verworfen wurden, welche der Habilitation an einer deutschen medizinischen Fakultät zugrunde lagen, oder solche, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert und mit einem internationalen Forschungspreis ausgezeichnet wurden. Oder warum bei einer US-Studie, entgegen der schriftlichen Versicherung des Autors selbst, der WBP darauf beharrte, dass es sich nicht um Humanistische Psychotherapie handle. Zu keiner der sehr vielen solcher Beanstandungen wurde im „Gutachten“ oder sonst wie vom WBP (bisher) eine Erwiderung vorgelegt.

Das alles kann hier nicht entfaltet werden, zumal viele Dokumente zur Kontroverse um das WBP-Gutachten gut im Internet zugänglich sind (http://aghpt.de/). Dass in einem von über 40 Professoren im Bereich Psychotherapie unterzeichneten „Offenen Brief“ das Gutachten des WBP als „tendenziös und mangelhaft“ „mit aller Schärfe“ zurückgewiesen wird, lässt erahnen, dass es zur Darstellung der beiden WBP-Vorsitzenden deutlich andere Sichtweisen in der Fachwelt gibt. Zumal zu diesen Professoren auch solche von medizinischen Fakultäten und solche mit psychodynamischem oder mit verhaltenstherapeutischem oder mit systemischem Verfahrensschwerpunkt gehören – die Sorge der Unterzeichner also weniger dem eigenen Verfahren, sondern vielmehr den Patienten und der Psychotherapie in Deutschland gilt. Und wenn inzwischen rund 3 500 Menschen – meist Therapeuten – den Aufruf auf der AGHPT-Seite unterzeichnet haben, in dem es unter anderem heißt: „Wir fordern die Rücknahme des fehlerhaften Gutachtens des WBP zur Humanistischen Psychotherapie“, so können die Probleme der Psychotherapie-Bewertung in Deutschland schwerlich länger totgeschwiegen werden.

Prof. Dr. phil. Jürgen Kriz, 49078 Osnabrück

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