ArchivDeutsches Ärzteblatt22/2018Arzneimittelrückstände im Wasser: Vermeidung und Elimination

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Arzneimittelrückstände im Wasser: Vermeidung und Elimination

Zylka-Menhorn, Vera

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Arzneimittel und Mikroschadstoffe belasten das Trinkwasser und damit potenziell die Gesundheit der Bevölkerung. Nun plädiert das Umweltbundesamt für eine 4. Reinigungsstufe in den Kläranlagen. Gleichzeitig arbeiten zahlreiche Institute an neuen Eliminationsverfahren.

Foto: dpa
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Das Umweltbundesamt (UBA) will Arzneimittelrückstände und weitere chemische Mikroverunreinigungen effektiv aus dem Abwasser filtern. Dazu müssten die Kläranlagen flächendeckend um eine 4. Reinigungsstufe erweitert werden, so das UBA in einer aktuellen Publikation (1). Die konventionelle Technologie beschränkt sich auf die mechanische Reinigung, eine biologische Stufe und eine Phosphat-eliminierung. Über die zusätzliche Oxidation mit Ozon und/oder der Adsorption an Aktivkohlefilter könnten Chemikalien effizient aus dem Abwasser eliminiert werden. Das sei dringend nötig, denn eine Vielzahl von Stoffen habe langfristige Auswirkungen auf die Umwelt.

Die Umweltbehörde setzt aber nicht nur auf eine zusätzliche Klärstufe. Ebenso wichtig sei es, den Stoffeintrag ins Abwasser möglichst klein zu halten. Daher sollten zum Beispiel Pharmaunternehmen die Umweltdaten ihrer neuen Arzneimittel im Zulassungsverfahren offenlegen und Verbraucher ihre Arzneimittel nie über Spüle oder Toilette entsorgen (Kasten).

Der Jahresverbrauch an Human-arzneimitteln wird in Deutschland auf 30 000 t geschätzt und umfasst 2 300 Wirkstoffe. Rund 1 100 von ihnen gelten als ungefährlich, da sie zu den Elektrolyten, Peptiden, Vitaminen u. Ä. gehören und somit von einer Umweltbewertung ausgeschlossen sind. Immerhin bleiben 1 200 Humanarzneimittelwirkstoffe aus einem Jahresverbrauch von circa 8 100 t übrig, die umweltrelevant und potenziell gesundheitsschädlich sind. Neben dem „Blockbuster“ Diclofenac zählen zu den weltweit meist verbreiteten Wirkstoffen das Antiepileptikum Carbamazepin, das Schmerzmittel Ibuprofen, das Pillenhormon Ethinylestradiol sowie das Antibiotikum Sulfamethoxazol.

Jeder Zweite entsorgt seine Medikamente unsachgemäß

Nach Schätzungen der pharmazeutischen Industrie sind die Hauptquellen für Humanarzneimittel im Oberflächenwasser Patientenausscheidungen (88 %), unsachgemäße Entsorgung über Toilette und Spüle (10 %) sowie Herstellungsprozesse (2 %). Bezüglich der unsachgemäßen Entsorgung geben andere Quellen an, dass bis zu 47 % der Verbraucher ihre Arzneimittelreste immer oder gelegentlich unsachgemäß entsorgen.

Deren Rückstände finden sich verstärkt im Abwasser von Ballungsräumen. Von dort gelangen sie auch ins Grund- und Oberflächenwasser. Sie können mit konventioneller Klärwerks- und Wasseraufbereitungstechnik meist nur schwer entfernt werden. Zwei sehr bedenkliche Trends werden damit in Zusammenhang gebracht: Die zunehmende Verbreitung multiresistenter Mikroorganismen und die Zunahme von Fruchtbarkeitsstörungen.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) hat sich auf ihrer Herbsttagung 2017 mit dem Eintrag von Arzneimitteln in das Trinkwasser beschäftigt. Im Fokus: Antihypertonika vom Typ der Sartane, die aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften und der steigenden Verordnungsmengen als einzige Blutdrucksenker die Qualität der Trinkwasserressourcen gefährden. „Die verordneten Wirkstoffmengen von Valsartan, immerhin 70 t, werden nahezu vollständig im Kläranlagenablauf wiedergefunden“, so Experten der Berliner Wasserbetriebe (BWB) und des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin (LAGeSO) berichten. Sie erachten Valsartan im Trinkwasser als ein „humantoxikologisches Risiko“, empfehlen aus Umweltgesichtspunkten die Verschreibung von Candesartan, das unter den Sartanen die geringste Wirkstoffkonzentration aufweist (Faktor 10–18 geringer als Valsartan) und genauso viel kostet wie Valsartan.

Aufbereitungsmodul mit integrierten Ultraschallsensoren zur vollständigen Entfernung von Medikamentenrückständen. Foto: Fraunhofer IKTS
Aufbereitungsmodul mit integrierten Ultraschallsensoren zur vollständigen Entfernung von Medikamentenrückständen. Foto: Fraunhofer IKTS

Suche nach Hormonen wie nach der Nadel im Heuhaufen

Infolge der Alterung der Gesellschaft mit einem erhöhten Medikamentenverbrauch wird die Verunreinigung der Gewässer noch weiter zunehmen. Breit einsetzbare Lösungen zu ihrer Beseitigung gibt es bislang aber nicht. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat nun ein Verfahren entwickelt, mit dem Hormone schnell und energieeffizient aus dem Abwasser eliminiert werden können. Der Anteil der Hormone Estrone, Estradiol, Progesteron und Testosteron in 1 l Wasser, in das behandelte Abwässer eingeleitet werden, beträgt rund 100 Nanogramm. Die geringe Konzentration und Größe der Hormonmoleküle erschweren nicht nur ihren Nachweis mittels analytischer Verfahren, sondern vor allem auch ihre Beseitigung. „Das gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Und doch sind diese Hormone in solchen Konzentrationen wirksam“, sagt Prof. Dr. Andrea Schäfer vom KIT.

Das in der Membrantechnologie entwickelte Verfahren verbindet die Vorteile der Adsorption von Mikroschadstoffen durch eine von einem Industriepartner gefertigte Aktivkohle, mit denen der Ultrafiltration von Schadstoffpartikeln durch eine semipermeable Membran (2). In einem integrierten System wird das Abwasser zunächst durch eine Polymermembran „gedrückt“, die Mikroorganismen und größere Verunreinigungen herausfiltert. Dahinter liegt eine Schicht aus spezieller Aktivkohle, die ursprünglich für Luftfilter entwickelt wurde.

Ihre Oberfläche hat nicht nur eine besondere Affinität gegenüber Hormonen, sie bietet auch die Kapazitäten, um große Wassermengen durchfließen zu lassen und viele Moleküle zu binden. Das System eignet sich für industrielle Großanlagen ebenso wie für Anwendungen in kleinerem Maßstab bis hin zum häuslichen Wasserhahn. Ein Industrieprojekt ist bereits in Planung.

Einen anderen Reinigungsansatz verfolgt das Fraunhofer Institiut für Keramische Technologien und Systeme (IKTS). Mithilfe elektrochemischer Verfahren können Medikamentenrückstände vollständig abgebaut werden. Diese werden dabei an der Anode einer Elektrolysezelle elektrochemisch umgesetzt, sodass am Ende nur noch CO2 übrig bleibt. Allerdings sind die bisher verwendeten Anoden aus bordotiertem Diamant mit einem Quadratmeterpreis von derzeit etwa 16 000 € zu teuer. Um die Elektroden deutlich preiswerter zu fertigen und die Abbauraten zu steigern, verfolgt das Fraunhofer IKTS zwei Ansätze. Zum einen wurden edelmetallfreie halbleitende Mischoxidphasen als alternatives Anodenmaterial entwickelt. Zum anderen wird das Abwasser mittels Ultraschall zum Schwingen gebracht, um den Stofftransport an der Elektrode zu intensivieren und somit noch größere Abbauraten zu realisieren.

„Umweltsünder“ Diclofenac trotzt moderner Klärtechnik

Ob bei Prellungen oder Rheuma: Diclofenac wird als entzündungshemmendes und schmerzstillendes Medikament in Deutschland jährlich etwa 14 Millionen Mal verordnet, mehr als 90 t des nichtsteroidalen Antirheumatikums (NSAR) werden vermarktet. Doch das beliebte Arzneimittel ist ein „Umweltsünder“, denn rund 60 % des Wirkstoffs gelangen durch natürliche Ausscheidungen ins Abwasser. Trotz moderner Klärtechnik ist es bis dato nicht möglich, diese Rückstände aus dem Wasser zu entfernen.

In Laborexperimenten gelang es einem Forscherteam vom Institut für Biochemie und Technische Biochemie der Universität Stuttgart nun, den Abbau von Diclofenac in Bodenproben nachzuweisen (3). Ausschlaggebend dafür ist das Zusammenspiel bestimmter Mikroorganismen. Eingeleitet wird der Zerfall der Verbindung durch Carboxylierung – eine außergewöhnliche Reaktion in der Natur, wie die Stuttgarter Forscher berichten.

Erst durch eine hochempfindliche Analytik sei es gelungen, das Stoffwechselprodukt der Mikroben zu entdecken. Ebenso fand man heraus, was den Abbau von Diclofenac behindert: Hierzu gehören insbesondere Karbonate oder auch Phosphate, was besonders problematisch ist, da diese ebenfalls in beachtlichen Mengen in Abwässern zu finden sind. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

Maßnahmenkatalog

Empfehlungen des Umweltbundesamtes (UBA) zur Reduzierung von Verunreinigungen der Gewässer durch Arzneimittel:

  • Weiterentwicklung und Harmonisierung der Risikominderungsmaßnahmen bei der Zulassung.
  • Forschung zu umweltverträglicheren Wirkstoffen/Applikationsformen
  • Zielgruppenspezifische Kommunikation und Aufklärung
  • Informationskampagne zur richtigen Entsorgung von Arzneimittelresten
  • Monografiesystem für Arzneimittelwirkstoffe
  • Forschung zur Ausweitung der Verschreibungspflicht aufgrund von Umweltbelangen.
1.
http://daebl.de/UK19
2.
Tagliavini M, Schäfer A I: Removal of steroid micropollutants by polymer-based spherical activated carbon (PBSAC) assisted membrane filtration. Journal of Hazardous Materials 2018; 353: 514–521. https://doi.org/10.1016/j.jhazmat.2018.03.032
3.
Facey SJ, Nebel BA, Kontny L, et al.: Rapid and complete degradation of diclofenac by native soil microorganisms. Environmental Technology & Innovation 2018; 10: 55–61 CrossRef
1.http://daebl.de/UK19
2.Tagliavini M, Schäfer A I: Removal of steroid micropollutants by polymer-based spherical activated carbon (PBSAC) assisted membrane filtration. Journal of Hazardous Materials 2018; 353: 514–521. https://doi.org/10.1016/j.jhazmat.2018.03.032
3.Facey SJ, Nebel BA, Kontny L, et al.: Rapid and complete degradation of diclofenac by native soil microorganisms. Environmental Technology & Innovation 2018; 10: 55–61 CrossRef

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