MEDIZIN: Originalarbeit
O-Beine und intensives Fußballtraining im Wachstumsalter
Systematisches Review und Metaanalyse
Bowlegs and intensive football training in children and adolescents—a systematic review and meta-analysis
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Hintergrund: Fußball ist in vielen Ländern der am häufigsten ausgeübte Sport von Kindern und Jugendlichen. Allgemein wird angenommen, dass es bei Fußballspielern oft zu einem Genu varum (O-Bein-Stellung) kommt; wahrscheinlich ist auch ein Zusammenhang mit der Entwicklung einer Kniegelenksarthrose. Ziel dieses systematischen Reviews und der Metaanalyse ist, die vorliegende Evidenz für das Auftreten von Genua vara infolge von intensivem Fußballtraining im Kindes- und Jugendalter zusammenzufassen und mögliche Pathomechanismen darzustellen.
Methode: Es erfolgte eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken PubMed, Medline, Embase sowie Cochrane Library nach Studien, die einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Beinachse und der intensiven Ausübung des Fußballsports im Wachstumsalter untersuchten.
Ergebnisse: Kontrollierte Studien mit der Zielgröße interkondylärer Abstand („intercondylar distance“ [ICD]) konnten in einer Metaanalyse mit der Mittelwertdifferenz als Effektmaß ausgewertet werden. In die Metaanalyse wurden n = 3 Studien mit insgesamt n = 1 344 Fußballspielern und n = 1 277 Kontrollen eingeschlossen. Alle Studien zeigen eine signifikante Mittelwertdifferenz der ICD-Messungen zwischen Fußballspielern und der zugehörigen Kontrollgruppe. Der gepoolte Effektschätzer für die Mittelwertdifferenz beträgt 1,50 cm (95-%-Konfidenzintervall: [0,53; 2,46]). Zwei weitere Studien, die nicht in die Metaanalyse eingeschlossen werden konnten, weisen in die gleiche Richtung. Asymmetrische, varische Muskelkräfte und vermehrte varische Belastungen an den kniegelenksnahen Wachstumsfugen scheinen besonders im präpubertären Wachstumsschub ursächlich.
Schlussfolgerung: Intensives Fußballspiel im Wachstumsalter kann die Entwicklung von Genu varum, das mit einem erhöhten Risiko einer Kniegelenksarthrose einhergeht, begünstigen. Ärzte sollten auf diesen Zusammenhang hinweisen, wenn sie zu der Entscheidung, Fußball als Leistungssport auszuüben, hinzugezogen werden. Eine Übertragung der Ergebnisse in den Freizeitsport erscheint nicht sinnvoll.


Fußball ist die am häufigsten ausgeübte Breiten- und Spitzensportart in vielen Ländern. Gemäß einer Erhebung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) stellt der Fußballsport mit Abstand die beliebteste Sportart bei Jungen (7–14 Jahre) und männlichen Jugendlichen (15–18 Jahre) sowie die nach Turnen am zweithäufigsten praktizierte Sportart bei Mädchen dieser Altersgruppen dar. Insgesamt ist von circa 1,65 Millionen männlichen und 300 000 weiblichen Aktiven im Wachstumsalter in Deutschland auszugehen (1). Die Auswirkungen des Fußballsports bezüglich typischer Verletzungen und deren Prävention sind Gegenstand zahlreicher Untersuchungen (2). Auch eine erhöhte Prävalenz arthrotischer Veränderungen bei ehemaligen Profis und Freizeitsportlern wird berichtet (3). Die Pathogenese der Arthrose ist in der Normalbevölkerung multifaktoriell bedingt (4), während bei Leistungssportlern den sportartspezifischen Belastungssituationen und Verletzungsfolgen ein besonderer Stellenwert zukommt (5–7). Profifußballer ohne stattgehabte Makroverletzung des Kniegelenks haben ein signifikant (1,3-fach) erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Kniegelenksarthrose; dieses ist noch deutlich höher (2,9-fach), wenn das Risiko nach Knieverletzungen mit berücksichtigt wird (8). Neben der erhöhten Prävalenz von Kniegelenksbeschwerden und -arthrose konnte auch ein gehäuftes Auftreten (55–63 %) von Genua vara (O-Bein-Stellungen) bei ehemaligen professionellen Fußballspielern festgestellt werden (9). Allgemein besteht für Erwachsene eine hohe Evidenz dafür, dass Genu varum das Fortschreiten einer Kniegelenksarthrose beschleunigt (10). Es stellt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einen unabhängigen Risikofaktor für die initiale Entstehung der Kniegelenksarthrose dar (11, 12). Mehrere Pathomechanismen, wie zum Beispiel muskuläre Dysbalance oder asymmetrische Überlastung der Wachstumsfugen, werden als Ursache des fußballassoziierten Genu varum diskutiert (13–17). Insgesamt liegen jedoch wenige epidemiologische oder biomechanische Daten zu dieser möglichen Folgeerscheinung intensiven Fußballspielens im Wachstumsalter vor.
Mit der vorliegenden Studie wurde ein systematisches Review und eine Metaanalyse erstellt, um das Risiko für die Entstehung eines Genu varum durch intensives Fußballtraining im Wachstumsalter zu erforschen und mögliche Pathomechanismen zu identifizieren.
Methoden
Es wurde eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken Medline, PubMed, Embase und Cochrane Library durchgeführt, um Publikationen über einen möglichen Zusammenhang der Ausbildung eines Genu varum mit Fußballspiel im Wachstumsalter zu sammeln. Literaturscreening und Beurteilung erfolgten unabhängig durch zwei der Autoren (PHT, FC). Bei potenziell relevanten Publikationen wurde der Volltext studiert und bei den zum Review eingeschlossenen Studien zusätzlich die Bibliografie bezüglich relevanter Literatur gescreent. Hierbei wurden die Dokumente sowohl auf enthaltene epidemiologische Daten als auch auf Informationen zur Pathogenese des sportassoziierten Genu varum untersucht. Unterschiede in den Ergebnissen der Literaturrecherche wurden zwischen den genannten Autoren diskutiert, und es wurde ein Konsens getroffen (zum strukturierten Vorgehen bei der Literaturrecherche siehe auch Grafik 1). Als Suchworte wurden folgende Begriffe jeweils einzeln und in Gruppen mit der Verknüpfung „AND“ verwendet: „football“, „soccer“, „child/children“, „adolescent/adolescence“, „varus knee“, „knee varum“, „Genu varum“, „bowlegs“. Die möglichen Kombinationen wurden zusätzlich mit folgenden einzelnen Begriffen verknüpft („AND“): „biomechanics“, „joint“, „growth plates“, „lower leg alignment“, „muscle contraction“, „osteoarthritis“, „muscle contraction“, „risk factors“, „fatigue“, „collateral ligament“, „adductive muscle“, „anterior cruciate ligament“, „growth deformity“ und „high activity sports“. Das systematische Review wurde in PROSPERO unter ID 97109 gemeldet.
Nach Auswahl der Studien mit epidemiologischen Daten wurde die Newcastle-Ottawa-Scale (NOS) (18) verwendet, um die Qualität der Publikationen einzuschätzen und deren potenzielle Eignung für eine weitere statistische Auswertung festzustellen. Es erfolgte die genaue Durchsicht des Volltextes der Artikel, und die für die Auswertung benötigten Daten wurden extrahiert. Als Fragestellung wurde der Zusammenhang zwischen interkondylärem Abstand (ICD) als Maß für O-Beine beziehungsweise intermalleolärem Abstand (IMD) als Maß für X-Beine und Fußballspiel im Wachstumsalter definiert, da die klinische Bestimmung des ICD oder IMD die übliche Methode der Bein-Achs-Bestimmung bei Kindern darstellt (Grafik 2). Es wurden nur kontrollierte Studien mit männlichen Untersuchungs- und Kontrollgruppen eingeschlossen, da sich Wachstum und Entwicklung der Beingeometrie bei Mädchen erheblich unterscheidet. Untersucht wurden in allen Studien junge leistungsorientierte Fußballspieler mit intensivem Training. Mittelwerte (ICD, IMD) und ihre Standardabweichung mussten für den Einschluss in die Metaanalyse gegeben sein.
Für die Metaanalyse wurde das Random-Effects- Modell mit inverser Varianzgewichtung der einzelnen Studien nach DerSimonian und Laird ausgewählt (23). Da das Outcome (ICD-/IMD-Messung) kontinuierlich ist, wurde die Mittelwertdifferenz (MD) zwischen Fußballspielern und Kontrollgruppe als Effektmaß für die Metaanalyse ausgewählt. Für einen altersgruppenspezifischen Vergleich wurden die extrahierten Mittelwerte und Standardabweichungen einzelner Altersgruppen gepoolt, um vergleichbare Alterskategorien zu erhalten. Die statistischen Analysen wurden mit der Software R (Version 3.4.3) durchgeführt.
Ergebnisse
Literaturrecherche und -selektion
Die systematische Literaturrecherche ergab 1 188 Treffer (Grafik 1). Nach detailliertem Screening dieser Artikel über Titel und Abstract wurden nach Vorauswahl aus den verbliebenen Publikationen 29 unmittelbar themenbezogene Artikel für ein systematisches Review des Volltextes eingeschlossen. Sechs dieser Veröffentlichungen enthielten epidemiologische Daten zum Auftreten von O-Beinen bei Fußballspielern im Wachstumsalter, wobei eine sehr frühe Publikation von 1950 (24) trotz großer Studienpopulation aufgrund fehlender Kontrollgruppen und mangelhafter Methodik (ICD-Schätzung mittels Querfinger) ausgeschlossen werden musste.
Die fünf verbleibenden Studien sind prinzipiell von guter systematischer Qualität und konnten mit mindestens sechs Punkten gemäß Newcastle-Ottawa-Scale (18) bewertet werden (Tabelle 1). Anhand der genannten Kriterien zur Durchführung einer Metaanalyse wurden von den verbleibenden fünf Publikationen zunächst vier Studien, welche die prinzipiell gleiche Messmethode des ICD-/IMD-Abstands aufwiesen, ausgewählt (13, 14, 16, 17). Die Studie von Colyn et al. (15) konnte aufgrund der unterschiedlichen Methodik (radiologische Messung) nicht zusammen mit den genannten Studien analysiert werden (Tabelle 2). Die methodisch gut aufgebaute Studie von Yaniv et al. (17) konnte wegen fehlender Angabe der Standardabweichungen nicht für eine quantitative Auswertung verwertet werden. Bei den verbleibenden drei Studien (13, 14, 16) waren alle für eine Metaanalyse benötigten Daten angegeben.
In die Metaanalyse eingeschlossene Studien
Abreu et al. (14) stellten eine verfrühte Änderung der Beinachse von valgischer zu mehrheitlich varischer Stellung bei Nachwuchsspielern bereits im Alter von zwölf Jahren fest. In der Kontrollgruppe waren überwiegend varische Beinachsen erst ab der Altersgruppe der 16-Jährigen zu beobachten. Die Prävalenz von O-Beinen war in der Gruppe der Fußballspieler mit 73,3 % fast doppelt so hoch wie bei sportlich nicht Aktiven (40,6 %). Die Autoren vermuten als Ursache der Varisierung der Beinachse bei Fußballspielern wiederholte Mikrotraumata der kniegelenksnahen Wachtumsfugen. Ein Selektionsbias wurde diskutiert, da Kindern mit O-Beinen ein größeres Talent im Fußballsport zugesprochen wird und diese entsprechend gefördert werden.
Witvrouw et al. (16) führten die klinische Messung des ICD unter Anwendung einer Positionierungshilfe an Fußballspielern aus zwei belgischen Spitzenvereinen durch. Als Kontrollgruppe wurden Sportler auf ähnlichem Leistungsniveau verwendet, die jedoch kein Fußball spielten. Die Gruppe der 16- bis 18-jährigen Fußballspieler zeigte eine signifikant häufigere (p = 0,028) Varusstellung der Beinachse. Das Vorliegen einer sportartspezifischen Dysbalance der Beinmuskulatur wird als Hauptursache vermutet.
Asadi et al. (13) konnten bei Probanden, die mehr als sechs Stunden pro Woche Fußball spielten, signifikant größere Werte für den ICD gegenüber der Kontrollgruppe Gleichaltriger mit weniger als sechs Stunden Fußballsport feststellen (3,01 cm versus 2,28 cm; p = 0,0001). Auch die Subgruppenanalyse der Kontrollgruppe bezüglich Ausübung anderer Feldsportarten (Basketball, Volleyball, Handball) mit ähnlich anzunehmender Belastung durch Abstoppmanöver („cutting maneuvers“) erbrachte ein signifikant häufigeres Auftreten von O-Beinen in der Studiengruppe der Fußballspieler. Als Ursache diskutieren die Autoren fußballspezifische Bewegungsabläufe, so etwa die Schussbewegung.
Metaanalyse
Insgesamt wurden n = 1 344 Fußballspieler und n = 1 277 Kontrollen untersucht. Alle n = 3 in die Metaanalyse eingeschlossenen Studien zeigen eine signifikante Mittelwertdifferenz der ICD-/IMD-Messungen zwischen Fußballspielern und der zugehörigen Kontrollgruppe, wobei die Fußballspielergruppen stets höhere mittlere ICD-Messungen aufweisen. Der gepoolte Effektschätzer für die Mittelwertdifferenz aus dem Random-Effects-Modell beträgt 1,50 cm (95-%-Konfidenzintervall: [0,53; 2,46]). Das auch gezeigte Fixed-Effects-Modell liefert einen Gesamtschätzer von 0,75 cm [0,64; 0,86]. Es ist signifikante Heterogenität (Unterschiede in den Ergebnissen zwischen den einzelnen Studien) vorhanden (I² = 96 %, p < 0,01) (Grafik 3).
Für n = 2 Studien konnten gemeinsame Altersgruppen gebildet werden. Die mittleren ICD-/IMD-Messungen pro Altersgruppe sind in Grafik 4 dargestellt.
Diskussion
Die physiologische Entwicklung der kindlichen Beinachse erfolgt in den ersten zehn Lebensjahren dynamisch, wobei sich die varische Beinachse des Kleinkindes zu einem Valgus mit Maximum um das fünfte Lebensjahr entwickelt. Dieser Valgus nimmt während des weiteren Wachstums kontinuierlich ab und erreicht einen physiologischen tibiofemoralen Winkel (TFA) von 5–7 ° beim Erwachsenen, was üblicherweise einer zentrierten mechanischen Beinachse entspricht (22, 25, 26). Epidemiologische Studien an Kindern und Jugendlichen sind auf klinische Untersuchungsmethoden, wie die Vermessung des ICD und IMD, sowie beobachtende Verfahren zur Datenerhebung beschränkt, da eine exakte Vermessung der Beinachse bei Gesunden mittels Röntgenaufnahmen nicht zu rechtfertigen ist. Die Aussagekraft der vorliegenden Studien basiert vorrangig auf den zu erkennenden Unterschieden zwischen Kontroll- und Studiengruppen, weshalb eine Metaanalyse der vorhandenen Studiendaten in besonderem Maße sinnvoll erscheint. Eine Schwäche der Studie ist die geringe Anzahl relevanter Studien und deren Vergleichbarkeit. Die in allen Studien einhellige Bestätigung der Hypothese legt weitere Forschung nahe.
Die durchgeführte Random-Effects-Metaanalyse zeigt einen signifikanten Effekt des intensiven Fußballspielens im Kindes- und Jugendalter auf die Beinachse. Trotz der guten Studienqualität (Tabelle 1) sind die Ergebnisse einzelner Studien heterogen. Ein Fixed-Effects-Modell würde eine (signifikant) kleinere gepoolte Mittelwertdifferenz liefern, da die Studie von Asadi et al. (13) aufgrund der großen Fallzahl eine besonders große Gewichtung erhält und so fast ausschließlich zu dem Gesamtschätzer beiträgt. Für die vorhandene Heterogenität könnten mehrere Faktoren verantwortlich sein. Zum einen benutzen Witvrouw et al. (16) verschiebbare Fußplatten, um muskuläre Anspannung beim Messvorgang zu vermeiden, wodurch sich der Messvorgang von den anderen Studien etwas unterscheidet. Zum anderen sind die Kontrollgruppen in den drei Studien nicht identisch definiert: Die Kontrollgruppe bei Abreu et al. (14) besteht aus Gleichaltrigen ohne besonderes Aktivitätsniveau, die bei Witvrouw et al. (16) aus Heranwachsenden auf ähnlich hohem Belastungsniveau in anderen Sportarten. Asadi et al. (13) bildeten Subgruppen der Kontrollgruppe im Hinblick auf die Dauer des Fußballspiels pro Woche sowie andere sportliche Aktivität. Zuletzt können schwierig zu erfassende ethnische und soziokulturelle Unterschiede der Studiengruppen, aufgrund der verschiedenen Herkunftsländer der Studien, Einfluss auf die Messwerte nehmen.
In den Fall-Kontroll-Studien von Abreu et al. (14) und Witvrouw et al. (16) wurde jeweils eine deutlich stärkere Ausprägung des Genu varum bei den Subgruppen der älteren Fußballspieler festgestellt. Abreu et al. (14) beobachteten den Wechsel der physiologisch mehrheitlich valgischen Beinachse zur überwiegend varischen Beingeometrie bereits in der Altersgruppe der 12-Jährigen, wohingegen Witvrouw et al. (16) dies erst ab der Altersgruppe der 14-Jährigen feststellten. Eine valide Aussage zur Trainingsintensität und zu Trainingsmethoden der verschiedenen Fußballclubs kann nicht getroffen werden. Anfragen zu Studiendetails und nicht publizierten Daten blieben unbeantwortet. Aufgrund der geringen Studienanzahl und damit verbundener Probleme, Publikationsbias zuverlässig aufdecken zu können, wurde kein Funnel Plot erstellt.
Diskussion der nicht in die Metaanalyse eingeschlossenen Studien
In der Studie von Colyn et al. (15) wurden junge erwachsene Studienteilnehmer retrospektiv zur ihrer sportlichen Aktivität im Kindesalter befragt und die Ergebnisse der Beingeometrie auf Ganzbeinröntgenaufnahmen korreliert. Bezüglich des Fußballsports wurde eine Subgruppenanalyse durchgeführt. Bei Männern, die in der Jugend intensiv Fußball gespielt hatten, zeigten sich im Vergleich zu sportlich wenig Aktiven signifikant (p < 0,009) verminderte Hüft-Knie-Winkel und somit deutlich ausgeprägtere varische Beinachsen. Auch im Vergleich zu Sportlern anderer „high impact“-Sportarten auf gleicher Leistungsstufe konnte für die Altersgruppe der 10- bis 12-Jährigen und 15- bis 17-Jährigen ein signifikant (p < 0,05) kleinerer Hüft-Knie-Winkel nachgewiesen werden. Als herausragendes Ergebnis konnte eine Verminderung des medialen proximalen Tibiawinkels (MPTA) als spezifische und vorrangige Ursache der Varusdeviation bei Fußballspielern definiert werden. In allen Altersgruppen zeigte sich eine signifikante Verminderung des MPTA bei den Fußballspielern:
- 10- bis 12-Jährige: 85,8 ° (± 2,1 °), p = 0,002
- 13- bis 14-Jährige: 85,9 ° (± 2,3 °), p = 0,030
- 15- bis 17-Jährige: 85,6 ° (± 2,1 °), p = 0,001.
Yaniv et al. (17) führten eine Kohortenstudie an Fußball- und Tennisspielern im Alter von 10–21 Jahren durch, wobei klinisch bestimmter ICD und IMD zur Beurteilung der Beinachse verwendet wurden. Bei den Fußballspielern konnte ab dem 13. Lebensjahr eine signifikant (p < 0,001) höhere Prävalenz des Genu varum festgestellt werden. Die Autoren führen einerseits zusätzliche Belastungsmechanismen beim Fußballspiel, wie die Schussbewegung, aber auch Selektionsbias aufgrund potenzieller Vorteile, wie bessere Balance bei Richtungswechseln und Dribbling durch eine varische Beinachse, als mögliche Ursachen für die höhere Prävalenz des Genu varum an.
Die Ergebnisse beider Studien weisen darauf hin, dass Fußballsport auch im Vergleich zu anderen „high impact“-Sportarten die Ausbildung des Genu varum besonders begünstigt. Mithilfe einer systematischen Literaturrecherche wurde versucht, fußballspezifische Pathomechanismen bezüglich der Ausbildung eines Genu varum zu ergründen.
Mögliche Pathomechanismen
Bei Manövern des Richtungswechsels im Lauf entsteht eine erhöhte mechanische Belastung (27); zusätzlich reduziert sich mit zunehmender neuromuskulärer Erschöpfung die dynamische Kniegelenksstabilisierung, und die Verletzungsraten nehmen zu (28–30). Unabhängig davon schränken die beim Fußball verwendeten Stollenschuhe die Außenrotation in der Standphase des Beins ein und erhöhen die varische Belastung des Kniegelenks (31). Manche Autoren nennen die Adduktorenmuskulatur als wesentlichen Faktor in der Entstehung der Varusdeformität (13, 16, 17) . Hier treten Verletzungen häufiger am dominanten Schussbein (56 %) auf (32). Diese Muskelgruppe übergreift aber nicht das Kniegelenk, und sportartspezifische Varusdefomierungen zeigen keinen Unterschied zwischen Standbein und dominantem Spielbein (15).
Hingegen übergreift die sogenannte Hamstring-Muskulatur (Muskeleinheit bestehend aus Musculus semitendinosus, semimembranosus und biceps femoris) beide kniegelenksnahen Wachstumsfugen und zwar medial doppelt so stark wie lateral. Sie stellt die beim Fußballer am häufigsten verletzte Muskelgruppe dar (32, 33).
Die kniegelenksnahen Wachstumsfugen generieren den Hauptanteil des Beinlängenwachstums und haben zudem aus geometrischen Gründen die stärkste Auswirkung auf die Beinachse. Besonders im präpubertären Wachstumsschub können Überlastungen durch Traumata oder ein chronisch-repetitives Missverhältnis zu einem asymmetrischen Wachstum führen (34, 35). Hier scheint die mediale tibiale Wachstumsfuge besonders anfällig (Abbildung) (15).
Fazit
Die bestehenden Daten geben Hinweise dafür, dass sehr intensiv praktizierter Fußballsport bei Heranwachsenden das Risiko zur Ausbildung eines Genu varum erhöht. Bei der Analyse der in die Metaanalyse eingeschlossenen Studien muss jedoch die Heterogenität der Mittelwerte hervorgehoben werden, auch wenn diese in allen vorhandenen Studien pro Genu varum ausfallen. Eine mögliche Ursache ist, dass die Studien unterschiedlich sportlich aktive Kontrollgruppen verwendeten. Alle drei Studien wurden an leistungsorientierten heranwachsenden männlichen Fußballern durchgeführt, Details zur genauen Trainingsintensität fehlen aber. Eine Übertragung der Ergebnisse in den Freizeitsport erscheint nicht sinnvoll. Bei Erwachsenen wurde das Genu varum als Risikofaktor für einen schnelleren Progress der Kniegelenksarthrose demaskiert. Trotz derzeit noch eingeschränkter Studienlage kann das Genu varum als unabhängiger Risikofaktor für die Ausbildung der Kniegelenksarthrose angenommen werden. Ursächlich für die Ausbildung einer varischen Beinachse können chronisch-repetitive, asymmetrische Überlastungen der kniegelenksnahen Wachstumsfugen und der Zug der Hamstring-Muskulatur sein. Hierbei scheint die tibiale Wachstumsfuge anfälliger zu sein als die femorale. Das sensitivste Alter liegt in der Zeit des präpubertären Wachstumsschubs.
Weitere sportwissenschaftliche und medizinische Forschung ist notwendig, um die Pathomechanismen besser zu ergründen und spezifische Strategien zur Prävention zu erarbeiten. Spezielle Trainingsmaßnahmen, etwa zur Verbesserung der dynamischen Kniegelenksstabilität, verändertes Schuhmaterial und angepasste Trainingsintensität in den sensiblen Altersstufen könnten geeignete Maßnahmen sein.
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten eingereicht: 03. 05. 2018, revidierte Fassung angenommen: 30. 05. 2018
Anschrift für die Verfasser
Dr. med. Peter Helmut Thaller
Arbeitsgruppe 3D-Chirurgie
Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie
Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München
Campus Innenstadt
Nußbaumstraße 20
80336 München
pthaller@med.lmu.de
Zitierweise
Thaller PH, Fürmetz J, Chen F, Degen N, Manz KM, Wolf F: Bowlegs and intensive football training in children and adolescents—a systematic review and meta-analysis. Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 401–8.
DOI: 10.3238/arztebl.2018.0408
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
genu varum and genu valgum. J Pediatr Orthop 1993; 13: 259–62 MEDLINE
Arbeitsgruppe 3D-Chirurgie, Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie,
Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München: Dr. med. Peter Helmut Thaller, Dr. med. Julian Fürmetz, Fuhuan Chen, Dr. med. Nikolaus Degen, Dr. med. Florian Wolf
Institut für medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE),
Ludwig-Maximilians-Universität München: Kirsi Marjaana Manz, Dipl.-Phys., M. Sc.
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Schiltenwolf, Marcus
Lahm, Andreas
Thaller, Peter Helmut