

Zuweilen flammt er noch auf im psychotherapeutischen Diskurs, der Streit zwischen den Therapieschulen. In gegenseitigen Abwertungsgesten sind die Vertreter zuweilen ausgesprochen findig – für was ist das eigentlich gut? Ein Zwischenruf eines Publizisten und Herausgebers.
Michael B. Buchholz legte in seinem Psycho-Newsletter Nummer 93 von Oktober 2012 einmal mehr in Richtung Verhaltenstherapie (VT) „den Bankrott der eigenen verhaltenstherapeutischen Methoden und Grundauffassungen“ (1) nahe. Sogar noch vier Jahre später, in der Zeitschrift Psychotherapie im Dialog, sah sich Thomas Schnell (2) zu der Betonung veranlasst, von einem solchen Bankrott könne keine Rede sein, die VT befinde sich vielmehr in einer fortwährenden und dynamischen Weiterentwicklung. In seinem sympathischen Versuch, psychodynamische mit verhaltenstherapeutischen Therapien zu vergleichen und dabei beiden gerecht zu werden, behauptete Cord Benecke (3), die psychoanalytischen und psychodynamischen Therapien könnten vermutlich zumindest eine bessere „Langzeitprognose“ für sich in Anspruch nehmen. Auch dazu aber wiegt so mancher schon wieder den Kopf und entgegnet, die Ergebnisse der entsprechenden Studien seien nicht valide genug, um das ein für alle Mal behaupten zu können.
Man kann solche Scharmützel als rein akademische Auseinandersetzungen abtun und vermutlich beschäftigen solche Grabenkämpfe niedergelassene Therapeutinnen und Therapeuten in ihrer Praxis kaum mal – jedenfalls diesseits der Kontroverse um medizinische versus psychologische Ansätze. Ebenfalls kann man sagen, solche Abgrenzungen folgten einer Marktlogik, um eigene Pfründe zu sichern, oder einem lediglich wissenschaftssoziologischen Ringen um Identitätsbildung.
Große Komplexität
Bei alldem ist ein Grundproblem ja noch gar nicht gelöst, denn bei aller Selbstbehauptung der eigenen besseren Wirksamkeit steht eine „Killerfrage“ über allen therapeutischen Verfahren im Raum: Wer will denn auf welche Weise Wirksamkeit überhaupt „objektiv“ messen? Die auf einer biologischen Ausstattung stattfindende und sich in einem differenzierten psychosozialen Umfeld bildende individuelle Psychodynamik mit ihrer biografischen Gewordenheit gerät mit der Begegnung im psychotherapeutischen Setting in eine so komplexe reale soziale wie psychische Welt, dass schon in ihr – siehe die Unmöglichkeit der Forscherbeobachtung und der „messbaren“ Auswertung von außen – eine empirische Analyse völlig unmöglich erscheint. Systemische Erkenntnisse wären ebenso einzubeziehen wie „konstruktionistische“ Beobachtervariablen (4).
Aber diese Komplexität ist ja noch gar nichts verglichen damit, dass Studien das Nachwirken eines psychotherapeutisch strukturierten zwischenmenschlichen Geschehens auch noch Jahre nach dem Abschluss der Therapie beforschen können und dabei vermutlich gefühlt hundert Bedingungen kontrollieren müssten. Wer wollte sich eine solche Forscherposition überhaupt anmaßen? Ganz zu schweigen von der Frage danach, aus welcher Perspektive der Nachweis eigentlich zu erbringen wäre. Nicht einmal der pragmatisch nachvollziehbare Rückzug auf die Position, nur der Klient selbst könne hier maßgeblich sein, reicht ja wissenschaftlich aus, denn der Klient kann subjektiv ein therapeutisches Geschehen für nicht hilfreich erklären, aber von genau diesem Geschehen profitieren, ohne das je auf die Therapie zu beziehen. Der Olymp ist also weder beim Videobeweis im Fußball noch in dieser Frage erreichbar.
Damit verbindet sich gleich noch eine Absage an allzu unterkomplexe Wissenschaftsfantasien: Ja, das psychische Geschehen ist eines, das mit neuronalen Verschaltungen zusammenhängt und jede Annahme eines davon losgelösten menschlichen „Geistes“ gehört ins Forschungsfeld der Theologie, aber dass die Beschreibung neuronaler Prozesse an Synapsen irgendwann einmal komplexeste psychische Prozesse wird therapeutisch hilfreich abbilden können, das findet sich nur in der Wunschwelt von Menschen, die sich von Komplexität eher überfordert zu fühlen scheinen. So hat Wolf Singer immer wieder darauf hingewiesen, dass die Hirnforschung vermutlich irgendwann einmal eine Abstraktheit vergleichbar der Theoretischen Physik erreichen werde und lediglich eine Grammatik neuronaler Prozesse beschreiben könne, aber vermutlich nie eine (psychische) Semantik. Darauf haben zuletzt auch Andreas Heinz und Gerhard Roth (4) hingewiesen.
Vielleicht also hilft allen Richtungen etwas mehr Gelassenheit. Sagen wir also vereinfacht: Jede Richtung wirkt mit ihren jeweiligen Stärken – jedenfalls sofern grobe handwerkliche therapeutische Fehler ausbleiben und brachiale Vergehen wie sexuelle Übergriffe durch den Therapeuten unterbleiben. Der Verweis auf die „Allgemeinen Wirkfaktoren“ erklärt diese Wirksamkeit aller vielleicht ganz gut. Und der Rest scheint empiristisch zumindest schwer zu beweisen.
Die Allgemeinen Wirkfaktoren verweisen darüber hinaus auf noch etwas, worauf Thomas Bock bezüglich der Psychosenpsychotherapie nicht müde wird hinzuweisen (5): Er vertritt einen humanen anthropologischen Ansatz, bei dem er reklamiert, der Therapeut müsse auch „als Mensch“ präsent bleiben dem Hilfebedürftigen gegenüber, und zwar nicht erst, wenn es notwendig wird, soziale Kontrolle statt der therapeutischen Hilfeleistung walten zu lassen etwa bei Gefährdung Dritter. Bei aller professionellen Distanz also wäre hier ein Punkt markiert, an dem der Therapeut – welcher Schule auch immer – „als Mensch“ gefordert ist.
In der Therapieforschung gibt es eine Beobachtung, die irritiert, wenngleich erklärbar ist – und genau diese Erklärung könnte einen weiteren wichtigen Hinweis auf die Komplexität der Psyche und damit auf die Notwendigkeit einer vielgestaltigen psychotherapeutischen Hilfe liefern: Auf einzelne Störungsgruppen abzielende spezifische Psychotherapieverfahren erzielen ausgerechnet bei jenen Patientinnen und Patienten keine guten Effekte, bei denen das Störungsbild besonders stark ausgeprägt ist. Dieses vermeintliche Paradoxon kann etwa damit erklärt werden, dass eben gerade bei diesen Personen so schwache gesunde und förderliche Ressourcen vorliegen (anders gesagt: ein zu hoher Grad an Komorbidität existiert), dass sie eben auch kein spezifisches Verfahren umsetzen können. Wenn dem so ist, würde das bedeuten, dass es notwendig wäre, gerade mit diesen Menschen sehr „allgemein“, also störungsunspezifisch zu arbeiten, um insgesamt das Ressourcenniveau zu erhöhen und um im Leben Schritt für Schritt eine bessere Resilienz zu erreichen.
Wird ein solcher Befund mit der Forschung zu den Allgemeinen Wirkfaktoren kombiniert, dann würde das bedeuten, dass das psychotherapeutische Arbeiten insbesondere mit diesen Menschen eine Langzeitorientierung bräuchte und dass ihnen „als Menschen“ geholfen werden müsste (in der Jugendpsychotherapie und nicht nur dort heißt das „Nachreifung“).
Weniger Abwertungsgesten
Natürlich, wird jetzt so mancher einwenden, in der Praxis sei das alles doch ohnehin meist so. Ja, schön, wenn es so ist. Aber auch im Diskurs gälte es dann doch, sich weniger zu bekämpfen. „Konkurrenz belebt das Geschäft“ ist ein Slogan, der uns im kapitalistischen Wirtschaftssystem tagtäglich eingeimpft wird. Mag sein, dass Konkurrenz zuweilen das Geschäft ankurbelt und auch hier und da mal für Neuentwicklungen sorgt, die wirklich großen menschlichen Errungenschaften entstanden aber nicht aus Konkurrenz, sondern aus Kooperation. Sprache zum Beispiel. Im Sinne der Hilfe für stark bedürftige Menschen und um diesen ein differenziertes, kooperatives Hilfeangebot machen zu können, in dem jede Schule mit ihren Stärken und Fähigkeiten ihren Part übernimmt, könnten wir, so mein Vorschlag, ja vielleicht etwas weniger wirkungsvoll sein in gegenseitigen Abwertungsgesten. Immerhin wissen Therapeutinnen und Therapeuten doch besonders gut, wie destruktiv sich stetige gegenseitige Kränkungen auswirken.
- Zitierweise dieses Beitrags:
PP 2018; 16 (6): 270–1
Anschrift des Verfassers:
Uwe Britten
Dresdener Straße 5,
99817 Eisenach
Was macht die Verhaltenstherapie? Psycho-Newsletter Nr. 93, Mitte Oktober 2012: In: http://dgpt.de/fileadmin/download/psychonewsletters/PNL-93.pdf.
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