POLITIK
Elektronische Patientenakte: Ein gesetzlicher Rahmen ist gefragt


Komplexe Regelungen im Sozialgesetzbuch erschweren eine einheitliche Entwicklung elektronischer Patientenakten. Der Gesetzgeber will zumindest den mobilen Zugriff auf Gesundheitsdaten zügig regeln.
Um die elektronische Patientenakte (ePA) und ihre Weiterentwicklung im angekündigten E-Health-Gesetz II ging es beim zweiten Diskussionsforum der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Berlin. Der Hintergrund: Im aktuellen E-Health-Gesetz hat die Bundesregierung die ePA als wesentlichen Teil der Telematikinfrastruktur (TI) verankert (§ 291 a Sozialgesetzbuch V). Sie soll ab 2019 als freiwillige Anwendung für die gesetzlich Versicherten verfügbar sein und unter anderem den Notfalldatensatz, den Medikationsplan, Arztbriefe und weitere medizinische Dokumente enthalten. Anders als das ebenfalls vorgesehene elektronische Patientenfach (ePF) erfordert die ePA als Zugriffsberechtigung den elektronischen Heilberufsausweis des behandelnden Arztes. Ein erstes Konzept hierfür hat die für die TI verantwortliche Betriebsgesellschaft gematik vorgelegt.
Unabhängig davon arbeiten mehrere Krankenkassenkonsortien an Modellen für eine elektronische Gesundheitsakte (eGA), die sie nach § 68 SGB V ihren Versicherten anbieten dürfen. Beispiele dafür sind das noch im Aufbau befindliche Modell der AOK, die Akte „TK-Safe“ der Techniker Krankenkasse mit IBM sowie die Akte „Vivy“, die der IT-Dienstleister Bitmarck mit verschiedenen gesetzlichen Krankenkassen und privaten Versicherungen entwickelt hat (siehe DÄ 18 und 24/2018).
„Es kann nur eine inhaltlich-semantische Definition der ePA geben“, forderte eingangs KBV-Vorstandsmitglied Dr. rer. soc. Thomas Kriedel mit Blick auf die unterschiedlichen Aktenlösungen. Für die inhaltliche Weiterentwicklung der ePA als Fachanwendung müsse die KBV die Definitionsmacht erhalten. Die gematik hingegen solle weiterhin die technischen Standards setzen und für den Betrieb und die Umsetzung der TI sorgen.
Patienten einbinden
Das große Manko, das aus Sicht der KBV zudem neu zu regeln ist: Die TI sei derzeit ein B2B-System: „Health Professionals können sicher mit Health Professionals kommunizieren, aber der Patient bleibt außen vor“, meinte Kriedel. Wie viele andere Institutionen im Gesundheitsbereich hält auch die KBV das (gesetzlich vorgeschriebene) Zwei-Karten-Prinzip für überholt. Notwendig seien eine digitale Lösung für das Netz und eine Schnittstelle für Apps, um Gesundheitsdaten auszutauschen, so Kriedel.
Auch Dr. med. Stephan Hofmeister, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KBV, ging auf die „babylonische Sprachverwirrung“ der unterschiedlichen Aktenbegriffe ein und erläuterte den KBV-Ansatz. Ihm zufolge ist die ärztliche Dokumentation des Behandlungsgeschehens in der ausschließlichen Hoheit des Arztes das „Kernmodul“ des Prozesses. Die erhobenen Befunde, etwa ein EKG oder ein Laborbericht, werden im Praxisverwaltungssystem (PVS) des Arztes archiviert. Die PVS-Systeme sind derzeit untereinander jedoch nur sehr eingeschränkt austauschfähig. So sind die Daten nicht so spezifiziert, dass überall ein EKG als solches erkannt und eingelesen werden kann. „Was wir brauchen, ist daher eine elektronische Arztakte, die Standardisierung aller medizinischen Befunde, die erhoben werden.“
Der Patient hat das Recht, diese Daten als Kopien in elektronischer Form zu bekommen, etwa über eine App oder per Schnittstelle in eine ePA. „Die App und diese ePA sind im Grunde eins, weil die App nichts anderes als das Frontend einer solchen Akte darstellt“, erläuterte Hofmeister. Der Patient kann einem weiterbehandelnden Arzt über seine ePA die standardisierten Befunde, die revisionssicher, indexfähig und nicht veränderbar durch den Patienten sind, zur Verfügung stellen. Der weiterbehandelnde Arzt kann die Fremdbefunde, etwa das EKG, in seine Dokumentation übernehmen. Entscheidend aus Sicht der Ärzte sei, dass diese Befunde dabei nicht verändert werden könnten. Selbstverständlich könne der Patient die Befunde aber verbergen oder löschen, so Hofmeister.
Elektronische Arztakte als Basis
Die Definition der elektronischen Arztakte muss danach bei der KBV liegen, während die Softwarehäuser auf dieser Basis im Wettbewerb ihre Produkte entwickeln. Davon zu unterscheiden sei die ePA, die dem Patienten gehöre und über deren Datenfluss ausschließlich der Patient entscheide. Als Anbieter für eine solche Akte können beispielsweise die gesetzlichen Krankenkassen fungieren.
Das Problem: „Im Gesetz ist das derzeit nicht so formuliert“, meinte Hofmeister. Nach Vorstellung der KBV ist die standardisierte Arztakte als Kernelement des PVS-Systems die Basis, aus der sich die ePA unter der Hoheit des Patienten ergibt. Das ePF ist dabei überflüssig, weil es nur dazu diente, in dem ursprünglich vorgesehenen Zwei-Karten-System dem Patienten einen einfachen Zugriff auf seine Daten zu ermöglichen.
Aus Sicht von Gottfried Ludewig (CDU), Leiter Digitalisierung und Innovation im Bundesgesundheitsministerium (BMG), befinden sich die Aktenmodelle „nicht in einem starken Wettbewerb“ bei der grundsätzlichen Architektur, sondern es gehe „um Details, wie man die Dinge miteinander verknüpfen kann“. Im Hinblick auf die Neuregelungen im E-Health-Gesetz II hob Ludewig mehrere Schwerpunkte hervor: „Wir wollen, dass die TI ausgerollt wird.“ Die Vorstellung eines Kartenlesegerätes, einer Gesundheitskarte und einer sechsstelligen PIN für den Zugang zu den Patientendaten sei jedoch nicht mehr zeitgemäß. „Wir wollen, dass man auch mit mobilen Endgeräten auf die elektronische Akte zugreifen kann“, betonte der Staatssekretär. Die rechtlichen Grundlagen hierfür sollen bereits innerhalb der nächsten sechs Monate geschaffen werden.
Zudem soll auch die Frage, welche Daten kassentechnisch in diese Akten überführt werden dürfen, gesetzlich geregelt werden. Auch wünsche er sich, so Ludewig, dass die Spezifikationen der gematik zur Sicherheitsarchitektur und zum technischen Aufbau der ePA so lebensnah gestaltet sind, dass sie sich auch in den schon vorhandenen Aktenmodellen wiederfinden.
Ebenfalls in dieser Legislaturperiode will das BMG die Frage regeln, wie digitale Anwendungen auf einem standardisierten Weg in die Erstattung gelangen können. Zudem steht die Regulierung der Big-Data-Forschung in einem geplanten Datengesetz, das zusammen mit dem Bundesforschungsministerium erarbeitet werden soll, auf der Agenda. Außerdem sollen regulatorische Fragen, die mit der Lockerung des ausschließlichen Fernbehandlungsverbots verbunden sind, geklärt werden, wie die elektronische Fernverschreibung und das elektronische Rezept.
„Wir brauchen einen Rechtsrahmen, der den Akteuren ermöglicht, vernünftige Anwendungen zu entwickeln“, forderte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Die gematik biete derzeit aufgrund der unterschiedlichen Interessen der Vertragspartner hierfür keine Möglichkeiten. Wie zuvor Kriedel plädierte er dafür, dass die gematik für die Standardisierung und die Interoperabilität der TI, aber nicht für die Fachanwendungen zuständig sein sollte.
Rolle der gematik unklar
Auch aus Sicht des BMG ist eine Einheit nötig, die sich um die Standards kümmert. „Ob das in der bestehenden gematik-Konstruktion gut aufgehoben ist, würde ich nach all den Erfahrungen der letzten 14 Jahre mit Fragezeichen versehen“, erklärte Ludewig. Das sei ein Diskussionsprozess, eine Entscheidung hierzu gebe es noch nicht.
Im Hinblick auf die Kompatibilität der verschiedenen Aktenmodelle unterstrich Litsch, dass rechtsverbindliche Standards derzeit noch fehlten. „Die Konzepte unterscheiden sich.“ Das AOK-Konzept ziele stark darauf ab, die bei verschiedenen Leistungserbringern vorhandenen Informationen zu erschließen. Dabei werden die Daten nicht zentral zusammengeführt, sondern der Vernetzungsaspekt stehe im Mittelpunkt. Im Unterschied dazu sind etwa die Gesundheitsakten TK-Safe und Vivy Smartphone-basiert und beruhen auf einer zentralen Datenhaltung.
„Die Konzepte müssen wir angleichen“, erklärte Ludewig. Die Interoperabilitätsstandards werden durch die gematik zwar erst bis zum Jahresende gesetzt. Es sei jedoch gut, verschiedene Ansätze auszuprobieren, um zu sehen, was gut funktioniere. Heike E. Krüger-Brand
Kommentar
Heike E. Krüger-Brand, Deutsches Ärzteblatt
Die Selbstverwaltung steckt bei der Weiterentwicklung der Telematikinfrastruktur und der Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) derzeit in einem Dilemma: Sie muss sich an bestimmte Vorgaben des aktuellen E-Health-Gesetzes halten, wie das Zwei-Karten-Prinzip zur sicheren Authentifizierung und alle damit verbundenen Sicherheitsanforderungen. Von dieser komplexen Sicherheitsarchitektur sind auch medizinische Anwendungen wie der Notfalldatensatz und der Medikationsplan abhängig, deren Spezifikationen bereits weit gediehen sind. Wird etwa auf die eGK verzichtet, dürften diese Konzepte wohl im Papierkorb landen. Die Anwendungen, die erstmals einen konkreten Nutzen für Patienten und für Ärzte bringen sollten, würden damit wieder in weite Ferne rücken.
Auch das Nebeneinander von ePA, ePF und eGA erscheint im Versorgungsalltag kaum vermittelbar. Schiebt der Gesetzgeber eine Entscheidung über verbindliche Vorgaben bei den Aktenmodellen bis zu einem E-Health-Gesetz II hinaus, könnte die „babylonische Sprachverwirrung“ noch teuer werden. Die Akzeptanz erhöht das nicht.
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